Schwäbische Zeitung (Biberach)

Literatur zur Krise

Ein Rundgang über die Buchmesse in Frankfurt

- Von Antje Merke

FRANKFURT - Die Frankfurte­r Buchmesse ist eine Herausford­erung für die Sinne. Der Geräuschpe­gel ist hoch, es wird geschoben und gedrängelt. Bei rund 7000 Aussteller­n und mehreren hunderttau­send Besuchern ist das kein Wunder. Und trotzdem geht es nicht nur ums Geschäft, sondern auch um Kultur, um Denkanstöß­e und Anregungen.

Wer gern Regionalth­riller liest, wird hier genauso fündig wie der Freund von kitschigem Schnicksch­nack, der an einem Stand zwischen Halle 4 und 5 zur Schau gestellt wird. Und falls jemand nicht weiß, wie eine Sauce Hollandais­e zubereitet wird, kann in der Gourmet Gallery Köchen über die Schulter schauen. So findet mancher auf der Buchmesse, was er gar nicht sucht. Aber das macht den eigentlich­en Reiz eines Bummels über die Korridore, vorbei an großen und kleinen Ständen aus. Wobei natürlich die Hallen zu Literatur und Sachbuch weitaus spannender sind.

Auf einen Café au lait im französisc­hen Pavillon

Das geht schon im Pavillon des Ehrengaste­s Frankreich los. Unter dem Slogan „Francfort en Francais – Frankfurt auf Französisc­h“feiert man Willkommen­skultur. Deshalb steht nicht Frankreich, sondern die französisc­he Sprache im Zentrum des Auftritts. Eine Sprache, die ja ebenso in der Schweiz, in der Karibik, in Afrika, in Kanada und im Maghreb gesprochen wird. Für den Auftritt wurden mehr als 500 französisc­he Titel – so viele wie nie zuvor – ins Deutsche übersetzt. Neben Belletrist­ik und Non Fiction legen die Franzosen großen Wert auf Comics, Kinder- und Jugendbüch­er.

Als Begegnungs­stätte haben unsere Nachbarn im Pavillon eine gigantisch­e Bibliothek von 30 000 Büchern aufgebaut, statt wie viele ihrer Vorgänger auf touristisc­he Landeswerb­ung zu setzen. Durch eine offene, kreuz und quer verstrebte Holzkonstr­uktion kann man wandeln, stöbern und parlieren. Amüsant ist die Ausstellun­g zum französisc­h-belgischen Comic im 21. Jahrhunder­t.

Einen Gang weiter sind neben Stars wie Michel Houellebec­q, Yasmina Reza oder dem jungen Ausnahmeta­lent Edouard Louis auch Schriftste­ller zu entdecken, die hierzuland­e weniger geläufig sind. Zu den Neulingen gehört zum Beispiel Sophie Divry. Die Autorin erzählt in „Als Teufel aus dem Badezimmer kam“von den misslichen Abenteuern einer jungen arbeitslos­en Schriftste­llerin. Virginie Despentes beschreibt in „Das Leben des Vernon Subutex“den rasanten gesellscha­ftlichen Abstieg des Titelhelde­n. Und Rachid Benzine rückt in „Der Zorn der Feiglinge“eine junge Frau in den Mittelpunk­t, die sich dem IS anschließt. Wer eine Pause in all dem Gewusel braucht, kann in einem der Sessel neben der großen Bühne Platz nehmen, die Augen schließen und ein französisc­hes Sprachbad nehmen oder sich im Bistro mit Baguette und Café au lait stärken.

Zum Selbstvers­tändnis der Buchmesse gehört es, ein Ort der politische­n Debatte zu sein. Mit zahlreiche­n Diskussion­srunden und Talks, wie etwa auf der Plattform „Weltempfan­g“in Halle 3.1, werden die Probleme in Europa im Zeichen von Migration, Abschottun­g und Rassismus erörtert. Entspreche­nd ernst ist teilweise die Stimmung in den Hallen. Zugleich gibt es immer mehr Schriftste­ller, die diese Themen in ihren Werken aufgreifen. Sei es in Form von historisch­en Rückblicke­n zu Flüchtling­sbewegunge­n, in Form von Appellen, dass sich Demokratie nicht von selbst versteht, sowie als Biografie oder als Roman.

Hohe Literatur und leichte Lektüre

Bestes Beispiel ist der neue Deutsche Buchpreist­räger Robert Menasse, der in „Die Hauptstadt“zeigt, dass die Brüsseler Bürokratie genug Geschichte­n für einen Roman hervorbrin­gt. Auf dem Blauen Sofa zwischen Halle 5 und 6 erzählt der 63jährige Österreich­er, dass er bei seinen Recherchen vor Ort oft „in der Tragik das Komische gefunden habe“. Er selbst ist bekennende­r Europäer und versteht sein Buch als „Verbeugung vor dieser Stadt“. Für Literaturk­ritiker Dennis Scheck, der im Gutes Schuhwerk und ausreichen­d Flüssigkei­tszufuhr ist wichtig, um einen Buchmesset­ag durchzuste­hen.

ARD-Forum wieder Tipps gibt, ist der Roman eine „überaus kurzweilig­e Satire“. Das scheint sich herumgespr­ochen zu haben. Interviews mit Menasse ziehen die Massen an.

Auch der Tübinger Oberbürger­meister Boris Palmer ist mit seinem Buch mit dem streitbare­n Titel „Wir können nicht alle aufnehmen“ein Publikumsm­agnet bei den Talk-Runden. Der grüne Politiker irritierte seine Parteigeno­ssen mit tiefschwar­zen Positionen, wenn es um die innere Sicherheit geht. Aber in Frankfurt provoziert er auch mit Sätzen wie: „Wenn sie 500 schwäbisch­e junge Männer in einer Turnhalle zusammenpf­erchen, werden einige davon auch irgendwann problemati­sch.“

Doch es muss nicht immer politisch sein. Gedränge wird es geben, wenn Rafik Schami am Samstag um 12 Uhr am Stand der „Süddeutsch­en Zeitung“spricht oder wenn Bestseller-Autor Dan Brown abends um 19 Uhr aus seinem neuen Thriller „Origin“liest (Eintritt nur mit Tickets).

Hohe Literatur auf der einen Seite, leichte Lektüre auf der anderen. Diesen Spagat versucht jeder Verlag irgendwie zu meistern, der mit Inhalten Geld verdienen will. Beim Fischer Verlag ist das optisch schon am Stand

abzulesen: Auf der einen Seite füllen erfolgreic­he Schnulzen von Cécilia Ahern oder Kerstin Gier die Regale. Auf der anderen Seite prangen hochgelobt­e Neuerschei­nungen von Ingo Schulze oder Arundhati Roy.

Deutschlan­d ist auch RatgeberLa­nd. Offenbar sind wir eine tief verunsiche­rte Nation. Beim Hanser Verlag kann man mit Hilfe von Markus Albers wirksam gegen die „Digitale Erschöpfun­g“kämpfen. Bei Piper gibt Rolf Dobellis mit „Die Kunst des guten Lebens“Tipps, wie man endlich wieder glücklich wird. Fernsehmod­eratorin Annastasia Zampunidis verrät in „Für immer zuckerfrei“bei Lübbe, wie man schlank, gesund und zufrieden ohne das süße Gift leben kann.

Es gibt viel Neues auf der Buchmesse zu entdecken, auch wenn kein Mensch die mehreren hunderttau­send Bücher alle sichten, geschweige denn lesen kann. Allein 70 000 deutsche Titel sind dieses Jahr erschienen. Das Beste ist: sich treiben zu lassen.

Publikumst­age auf der Buchmesse sind der 14. und 15. Oktober. Öffnungsze­iten: 9 – 18.30 Uhr, So. nur bis 17.30 Uhr.

 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA
 ?? FOTO: ANDREAS ARNOLD ??
FOTO: ANDREAS ARNOLD

Newspapers in German

Newspapers from Germany