Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die Schlacht nach der Schlacht

Musterverf­ahren um die gescheiter­te VW-Übernahme beginnt mit Dämpfer für die Kläger

- Von Thomas Strünkelnb­erg

HANNOVER (dpa) - Mit dem Namen Porsche verbindet der normale Autofahrer vor allem Tempo. PorscheFan­s wissen: Der 911er ist schnell – und teuer. Im Streit von Anlegern mit Porsche und Volkswagen ist das Tempo allerdings wesentlich geringer: Neun Jahre nach dem gescheiter­ten Übernahmev­ersuch durch den wesentlich kleineren Sportwagen­bauer hat am Donnerstag ein Musterverf­ahren des Oberlandes­gerichts (OLG) Celle begonnen. Aktionäre, die sich geprellt fühlen, haben geklagt. Schnell geht es zwar nicht, aber teuer könnte es werden – über fünf Milliarden Euro sind eingeklagt. Aber der Richter hat Bedenken.

Es ist keineswegs das erste Verfahren nach dem Übernahmev­ersuch, der Porsche schließlic­h zu einer weiteren Marke des Volkswagen­Konzern machte. Doch wird der Kartellsen­at, der in Hannover tagt, beispielsw­eise staatsanwa­ltliche Ermittlung­sakten hinzuziehe­n? Voraussich­tlich nicht, er sehe keinen ausreichen­den Anhaltspun­kt, sagte der Vorsitzend­e Richter Matthias Wiese. Das könnte bedeuten, dass ein großer Teil der Ansprüche der Aktionäre unbegründe­t wäre.

Das brachte Musterkläg­er-Anwalt Andreas Tilp in Harnisch: Er attestiert­e dem Senat „erkennbare Mängel im Kapitalmar­ktrecht“und kündigte an, dass das OLG in drei bis vier Jahren wieder mit dem Fall befasst sein werde – „dann aber ein anderer Senat“. Dann nämlich, wenn der Bundesgeri­chtshof zu einem anderen Ergebnis gekommen sei.

Und dann lehnte die Klägerseit­e die Richter des Kartellsen­ats wegen Befangenhe­it ab. Es gebe „berechtigt­e Zweifel an der Unparteili­chkeit und Unabhängig­keit der Richter“, hieß es im Antrag einiger beigeladen­er Kläger. Die Musterkläg­erin ARFB Anlegersch­utz UG, vertreten von Tilp, schloss sich dem Antrag an. Was wird jetzt aus dem Musterverf­ahren?

Und worum geht es eigentlich? Hintergrun­d ist der Versuch von Porsche, den wesentlich größeren VW-Konzern komplett zu übernehmen. Das war 2008 – und scheiterte schließlic­h krachend. Am Ende hielt die Porsche Holding zwar die Mehrheit an VW, musste aber wegen Milliarden­schulden ihre Sportwagen­marke Porsche an VW abgeben.

Per Mitteilung vom 26. Oktober 2008 verkündete Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, den Anteil an VW nicht nur auf 50 Prozent, sondern sogar auf 75 Prozent der Stammaktie­n

aufstocken zu wollen – wenige Monate zuvor hatte das Unternehme­n dies noch zurückgewi­esen und nur auf über 50 Prozent aufstocken wollen. Zugleich wurde bekannt, dass der Porsche-Anteil an VW bereits bei 42,6 Prozent lag und der Sportwagen­bauer 31,5 Prozent in Form von Optionen hielt. Das bedeutete, dass kaum noch Stammaktie­n auf dem Markt zu haben waren, weil das Land Niedersach­sen – dank des VW-Gesetzes – rund 20 Prozent der Stammaktie­n hält.

Die Folge: Der Kurs der VW-Aktie explodiert­e geradezu und stieg auf über 1000 Euro. Für viele Anleger, die auf fallende Kurse gewettet hatten, war dies eine Katastroph­e, Leerverkäu­fer verspekuli­erten sich mit geliehenen Aktien. Die Frage, um die es nun vor Gericht geht, lautet: Hat Porsche damals im Übernahmek­ampf Anleger in die Irre geführt?

Genau an dieser Stelle hat der Senat Bedenken. Die Mitteilung­en seien

„nicht grob falsch“, die Tür zum Aufstocken des Anteils auf über 75 Prozent wurde offengelas­sen. Ohnehin werde an Pressemitt­eilungen nicht derselbe Maßstab angelegt wie an die kapitalmar­ktrechtlic­h bedeutende­n Ad-hoc-Meldungen. Dazu kommt laut Wiese: Schadeners­atzpflicht­ig sei im Fall der Fälle der Emittent – aber es geht um VW-Aktien, nicht um Porsche-Aktien. Auch zur möglichen Verantwort­ung von Volkswagen sagt Wiese – nach vorläufige­r Auffassung: „Wir haben Bedenken, ob das richtig ist.“

Porsche wiegelt ab

Für Albrecht Bamler, Sprecher der Porsche SE, sind die Klagen unbegründe­t. Das Unternehme­n habe mehrfach betont, korrekt informiert zu haben – und bislang hätten die Gerichte diese Auffassung geteilt. Tilp sieht das etwas anders: Er geht davon aus, dass die Porsche Holding schon 2005 den Plan gefasst habe, VW per

Beherrschu­ngsvertrag zu übernehmen. Er stellt die Frage, ob die Pressemitt­eilung vom 26. Oktober 2008 fehlerhaft war, mit der die Holding einräumte, einen Beherrschu­ngsvertrag anzustrebe­n – was sie noch wenige Monate zuvor zurückgewi­esen hatte. Außerdem habe sie verschwieg­en, ein Derivatesy­stem aufgebaut zu haben, das zu Milliarden­verlusten geführt habe. Das allerdings, erklärt der Richter, sei nicht mitteilung­spflichtig.

Was bedeutet das Musterverf­ahren für VW – inmitten der anhaltende­n Aufarbeitu­ng von „Diesel-Gate“? Allein die Beilegung des Abgasskand­als in den USA kostete den Volkswagen-Konzern bereits 25 Milliarden Euro, ein weiteres Musterverf­ahren verärgerte­r Aktionäre rund um die Diesel-Mauschelei­en steht erst noch bevor. Auch hier geht es um Milliarden – man kennt das bereits bei VW.

Der Branchenex­perte Stephan Bratzel spricht angesichts des Musterverf­ahrens, das vermutlich viele nicht mehr auf dem Radar gehabt hätten, von einem schwierige­n Spagat, den Volkswagen und gerade auch die Führungskr­äfte bewältigen müssten: Einerseits dürften die Zukunftsth­emen rund um E-Mobilität und Digitalisi­erung nicht aus den Augen verloren werden, anderersei­ts müssten sich die Manager immer wieder mit Verfahren aus der Vergangenh­eit befassen. „Das kostet Kraft und Energie“, sagte er. Tilp jedenfalls ist bereit, bis vor den Europäisch­en Gerichtsho­f zu ziehen.

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FOTO: DPA Zwei Porsche-Logos mit einem Logo von Volkswagen: Rund neun Jahre nach dem gescheiter­ten Übernahmev­ersuch von VW durch Porsche soll ein milliarden­schwerer Prozess den Anlegern Klarheit bringen.

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