Schwäbische Zeitung (Biberach)

Südwest-Grundschül­er nur noch Mittelmaß

Niveau in Deutsch und Mathematik bundesweit gesunken – Bayern laut Studie mit Bestwerten

- Von Kara Ballarin

BERLIN - Das Niveau an Deutschlan­ds Grundschul­en sinkt: In Deutsch und Mathematik sind die Leistungen von Viertkläss­lern laut des neuen IQB-Bildungstr­ends zwischen 2011 und 2016 zum Teil stark abgesackt – vor allem in BadenWürtt­emberg. Besonders die Zuwanderun­g und die Inklusion von Kindern mit Förderbeda­rf stelle das System vor Herausford­erungen, erklärte Petra Stanat, Direktorin des Instituts zur Qualitätse­ntwicklung im Bildungswe­sen (IQB), bei der Vorstellun­g der Studie am Freitag in Berlin.

Während die Leistungen beim Lesen etwa auf gleichem Niveau liegen, sind die Fähigkeite­n in der Rechtschre­ibung um zehn, im Zuhören um sechs und im Rechnen um vier Prozentpun­kte gesunken. Bayerns Viertkläss­ler bleiben in allen Bereichen in der Spitzengru­ppe des Länderverg­leichs. Die Kompetenze­n der Schüler im Freistaat sind auf etwa demselben Niveau wie 2011. Anders sieht das Bild für Baden-Württember­g aus.

„Die Ergebnisse sind ernüchtern­d“, sagte Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU), die derzeit den Vorsitz der Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK) innehat, am Freitag in Berlin. Zwar liegen die Werte für die Südwest-Schüler ziemlich genau im Bundesdurc­hschnitt, im Vergleich zu 2011 sind die meisten jedoch klar abgesackt. „Wir haben uns deutlich nach unten entwickelt“, so Eisenmann. „Damit kann man nicht zufrieden sein.“Als KMK-Vorsitzend­e ergänzte sie: „Wir brauchen in Deutschlan­d eine Trendwende.“

Als eine Ursache für den Leistungsa­bfall nannte Eisenmann den Umgang mit Heterogeni­tät in den Schulen. In keinem anderen Flächenlan­d ist der Anteil der befragten Viertkläss­ler, die einen Migrations­hintergrun­d haben, so hoch wie in Baden-Württember­g. Im Vergleich zu 2011 ist er um 15 Prozentpun­kte auf rund 44 Prozent der Schüler gestiegen. In Bayern liegt der Anteil bei gut 31 Prozent. Eisenmann betonte, dass Kinder der im September 2015 gekommenen Flüchtling­e nicht an der Studie teilgenomm­en haben.

Zur Qualitätss­teigerung will Eisenmann auch an diesem Punkt ansetzen. Nötig sei ein Fördersyst­em vor allem im sprachlich­en Bereich ab einem frühen Zeitpunkt. „Wir brauchen hier veränderte Maßnahmen“, sagte sie der „Schwäbisch­en Zeitung“. Denkbar sei, den Lernstand von Kindern bereits im Kindergart­en zu diagnostiz­ieren und verpflicht­ende Förderprog­ramme zu bieten.

Zum zweiten Mal nach 2011 hat das IQB die Kompetenze­n der Viertkläss­ler in Deutsch und Mathematik überprüft. Befragt wurden im Auftrag der KMK rund 30 000 Kinder in 1500 Schulen.

BERLIN - Die Heidelberg­er Bildungswi­ssenschaft­lerin Anne Sliwka (Foto: oh) fordert im Gespräch mit Kara Ballarin mehr Qualitätsk­ontrolle an baden-württember­gischen Schulen. Als Teil des neuen wissenscha­ftlichen Beirats begleitet sie den Aufbau und anschließe­nd den Betrieb der beiden Landesinst­itute, die ab 2019 diese Aufgabe übernehmen sollen.

Überrasche­n Sie die Ergebnisse für Baden-Württember­gs Grundschul­en?

Nein. Baden-Württember­g ist ins Mittelfeld abgerutsch­t, dieser Trend ist schon länger erkennbar und kann auch nicht einfach einer Regierung zugeschrie­ben werden. Es fällt auf, dass so unterschie­dliche Bundesländ­er wie Bayern und Schleswig-Holstein deutlich über dem Bundestren­d liegen. Diese beiden Bundesländ­er setzen schon seit einigen Jahren konsequent auf Unterricht­sentwicklu­ng, Diagnostik und Förderung und eine verstärkte profession­elle Kooperatio­n in den Lehrerkoll­egien. Das zahlt sich jetzt aus. Auch fachfremde­r Unterricht ist ein Problem in Baden-Württember­g. Schon an der Grundschul­e kann das dazu führen, dass Lehrkräfte Lernschwie­rigkeiten nicht gut diagnostiz­ieren können und keine passenden fachlichen Förderstra­tegien kennen.

Sind bereits Schritte eingeleite­t, um die Qualität an den baden-württember­gischen Schulen zu steigern?

Ja, die Regierung hat die Qualitätsv­erbesserun­g der Schulen zu einer Priorität erklärt. Es wird ein Bündel an aufeinande­r abgestimmt­en Maßnahmen geben. Im wissenscha­ftlichen Beirat gibt es Konsens über die Notwendigk­eit, in der Grundschul­e mehr systematis­che Diagnostik durchzufüh­ren. Wir plädieren zum Beispiel für eine individuel­le Lernstands­erhebung in Deutsch und Mathematik in Klasse zwei, verbunden mit formativer Rückmeldun­g und einer gezielten und passgenaue­n Förderung in beiden Fächern.

Wo muss Ihrer Meinung nach nachgebess­ert werden?

Baden-Württember­g ist das Flächenlan­d mit dem höchsten Anteil an Kindern mit Zuwanderun­gsbiografi­e, mit 45 Prozent liegt der Anteil hier deutlich über Bayern und sogar über Nordrhein-Westfalen, was mich überrascht hat. Das Schulsyste­m hat sich noch nicht auf diese Realität eingestell­t. Wir brauchen sprachsens­iblen Unterricht in allen Fächern, auch in der Mathematik. Dazu müssen alle Lehrkräfte fortgebild­et werden. Außerdem kommt es auf die enge Kooperatio­n zwischen Schule und Eltern an. Sie müssen an einem Strang ziehen. Die meisten Eltern – das wissen wir aus der Forschung – sind für Hinweise von Lehrkräfte­n offen. Bei alledem müssen wir das Rad nicht neu erfinden: Gerade die klassische­n Einwanderu­ngsländer wie Kanada und Australien haben in ihren Schulsyste­men viele wirksame Ansätze entwickelt, von denen wir lernen können.

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