Schwäbische Zeitung (Biberach)
Das Schweigen der Männer
Viele in der Szene wussten von Verfehlungen Weinsteins – auch Regiestar Tarantino
LOS ANGELES (dpa/AFP) - Regisseur und Drehbuchautor Quentin Tarantino distanziert sich von Produzent Harvey Weinstein, mit dem er mehr als 20 Jahre zusammengearbeitet hat. Dabei gibt er eigenes Fehlverhalten zu. „Ich wusste genug, um mehr zu tun, als ich getan habe“,sagte Tarantino (54, „The Hateful Eight“) in einem Interview der „New York Times“. Er habe die Vorwürfe „heruntergespielt“und als schlechtes Benehmen abgetan, räumte Tarantino ein. „Alles, was ich jetzt sage, wird wie eine beschissene Entschuldigung klingen.“Er wünschte, er hätte „Verantwortung übernommen. Wenn ich getan hätte, was ich hätte tun müssen, hätte ich nicht mit ihm zusammengearbeitet“, sagte Tarantino. Seine erste gemeinsame Produktion mit Weinstein war „Reservoir Dogs“im Jahr 1992, später folgten „Pulp Fiction“, „Kill Bill“, „Inglourious Basterds“und „The Hateful Eight“.
Tarantino räumte ein, schon lange von sexuellen Übergriffen gewusst zu haben. 1995 habe ihm seine damalige Freundin, die Schauspielerin Mira Sorvino, von früheren Belästigungen erzählt. Er sei damals „schockiert und aufgebracht“gewesen und habe danach von weiteren Fällen gehört, aber nie das ganze Ausmaß der mutmaßlichen Vorfälle erkannt.
Seit Donnerstag ermittelt auch die Polizei in Los Angeles wegen Missbrauchsvorwürfen gegen Weinstein. Ein mögliches Missbrauchsopfer sei von der Polizei befragt worden. Der „Los Angeles Times“zufolge soll es sich um eine 38-jährige Schauspielerin aus Italien handeln.
Noch ein Vergewaltigungsvorwurf
Die Frau, die auch als Model arbeitet, soll demnach angegeben haben, 2013 in einem Hotel in Beverly Hills vergewaltigt worden zu sein. Weinstein sei nach Mitternacht unangekündigt in ihrem Hotel erschienen, sagte sie dem Blatt. Er sei „sehr aggressiv“geworden, habe sie ins Badezimmer gezogen und dort vergewaltigt. „Als er ging, hat er so getan, als sei nichts passiert“, schilderte die Frau. Sie will anonym bleiben.
Es handelt sich um den sechsten Vergewaltigungsvorwurf gegen den Produzenten. Zuvor hatten bereits fünf Frauen Weinstein der Vergewaltigung beschuldigt. Auch in New York und Großbritannien wurden Ermittlungen wegen der Vorwürfe eingeleitet.
Zuletzt hatte auch Oscarpreisträgerin Lupita Nyong’o (34, „Twelve Years a Slave“) erklärt, von Weinstein sexuell belästigt worden zu sein. Er habe sie vor mehreren Jahren zu einem privaten Kinoabend mit seiner Familie in sein Haus eingeladen, erzählte die damalige Studentin der „New York Times“. Doch schon wenig später sei er mit ihr ins Schlafzimmer gegangen und habe ihr eine Massage angeboten. „Ich dachte erst, er mache einen Witz.“Sie habe dann zunächst angeboten, ihn zu massieren, um die Kontrolle zu behalten. Als er seine Hose ausziehen wollte, habe sie das Haus verlassen. „Ich habe mein Erlebnis mit Harvey in die Untiefen meines Gedächtnisses gepackt und mich so in das Schweigekomplott eingereiht, dass es diesem Jäger erlaubte, so viele Jahre herumzustreifen“, schrieb Nyong’o in dem Essay für die Zeitung.
Kosslick rügt Machtmissbrauch
Berlinale-Chef Dieter Kosslick mahnte an, es sei Zeit, offen über Machtmissbrauch in der Filmbranche zu reden. „Ich finde, dass das erst der Zipfel einer Geschichte ist, die hoffentlich die Bettdecke endlich mal wegzieht und diese Abhängigkeiten auch mal klarmacht“, sagte Kosslick dem Rundfunk Berlin-Brandenburg. Er selbst sei mehrfach von Weinstein unter Druck gesetzt worden. „Da sollte mir ein Film reingedrückt werden, in den Wettbewerb. Normalerweise haben Sie dann keine Chance, weil er dann sagt: Wenn du diesen Film nicht nimmst, dann kriegst du überhaupt keinen mehr. Und dann bist du fertig, mein lieber kleiner Zwerg.” Er habe dann den Kontakt zu dem Filmproduzenten abgebrochen. „Dann war man eigentlich am Ende als Festivalleiter, wenn man sich mit Harvey Weinstein angelegt hat.“