Schwäbische Zeitung (Biberach)
Beethoven als Ikone der Hoch- und Popkultur
Christoph Hagel setzt sein Erfolgskonzept Breakdance-Crossover mit „Beethoven! The Next Level“fort
BIBERACH - Beeindruckend. Der musikalische Leiter und Regisseur Christoph Hagel hat in Biberach mit einer atemberaubenden innigen Verschränkung von Klassik und Breakdance einen neuen Meilenstein seiner stilübergreifenden Kunst gesetzt.
„Beethoven! The Next Level“steht für Musik, Tanz und exzentrischen Taumel. Hier vereinen sich Hoch- und Popkultur in atemberaubender Exaltiertheit. Der aus Schemmerhofen stammende Christoph Hagel ist Dirigent, Regisseur und Pianist. Er bricht mit klassischen Konventionen und erreicht immer neues Publikum für seine Projekte. In Berlin brachte er Mozarts „Zauberflöte“in einen U-Bahnhof, ließ Bachs „Weihnachtsoratorium“und „Johannispassion“im Berliner Dom tanzen. Mit „Flying Bach“und „Breakin‘ Mozart“, 2012 und 2015 in Biberach zu sehen, machte er die Fusion aus klassischem Tanz und Breakdance möglich, ihm gelang die harmonische Vereinigung von Hip-Hop-Beats und klassischer Musik.
Und das Beethoven-Thema zeigte sich nun in der Stadthalle als sagenhafte Verschmelzung von Klassik und Urban Dance zu einer einzigartigen Show. Mit „Beethoven! The Next Level“bringt Hagel den Startänzer und Choreografen Khaled Chaabi mit seiner deutschlandweit bekannten Tanzgruppe B-Town Allstars aus der Hauptstadt auf die Bühne. Acht junge Männer und zwei junge Frauen sprengen alle scheinbaren körperlichen Hemmnisse für extreme Bewegungsabläufe. Unterstützt werden die Breakdancer von der klassischen Ballerina Yui Kawaguchi.
Bewegung im Höchsttempo
Ständige Bewegungen in körperlich möglichen Höchsttempi, solo und gruppenweise, mit Wurffiguren, Überschlägen, Kopfdrehern, einarmigen hüpfenden Handständen. Ein „Pas de deux“, der das uralte Werben eines Mannes um eine Frau thematisiert, ist meilenweit entfernt von klassischem Ballett, aber voll atemberaubender Spannung.
Hagel im Interview: „Breakdance ist Kraft, ist Power. Die Breakdancer nennen ihre Akrobatik Powermoves. Energie steht im Vordergrund, wie bei Beethoven.“Und die Grenzen zwischen hochtrainiertem Kunstturnsport und hoch künstlerischer Tanzexpression sind allemal fließend, eher gar nicht vorhanden. Hochleistungssport wird zu expressiver Kunst. Nebeneinander gesetzte statuarische Haltungen und hochfrequente Tanz- und Sprungelemente halten immer große Spannungen aufrecht. Die Solochoreografien loten die Riesenbandbreite zwischen körperhafter Grazie, Musikempfinden und technischer Perfektion total aus.
Den Beethoven-Abend eröffnet Hagel am Flügel mit der Sonate op. 57 f-Moll, der „Appassionata“(die Leidenschaftliche). Und Leidenschaft zieht sich als beherrschendes Ausdruckselement durch das ganze Programm. Musikalische Einspielungen von modernen rhythmisierten Beethoven-Themen wechseln ab mit den Soli von Christoph Hagel. Man hört Ausschnitte aus den Sinfonien fünf, c-Moll, sieben, A-Dur und vor allem aus der Neunten, d-Moll, das Scherzo und Teile des Schlusschors. Hagel selbst spielt die „Mondscheinsonate“, op 27, cis-Moll.
„Mein Engel, mein alles“
Es werden Abschnitte aus Beethovens Leben getanzt. Es selbst tritt als meisterhafter Breakdancer (Khaled Chaabi) auf. Menschen seines Lebens lässt Regisseur Hagel um ihn herum entstehen, seinen Vater, seinen Neffen, Freunde, die bis heute von den Historikern nicht eindeutig definierte „unsterbliche Geliebte.“Seinen unadressierten Brief an sie hatte Beethoven am 6. Juli 1812 mit den Worten eröffnet: „Mein Engel, mein alles, mein Ich.“Yui Kawaguchi tanzte das hinreißend. Etwa 800 begeisterte Besucher erlebten eine ebenso irre wie harmonische Melange aus Klassik und Breakdance.