Schwäbische Zeitung (Biberach)
Historiker-Studie zu Reformation und Neuzeit
MÜNSTER (KNA) - Die Wirkungen der Reformation auf die moderne Welt sind nach Ansicht des Historikers Matthias Pohlig kaum zu belegen. Errungenschaften wie der moderne Staat, Religionsfreiheit, Kapitalismus oder Säkularisierung ließen sich nicht als direkte Folgen der Reformation nachweisen, heißt es in einer am Montag in Münster vorgestellten Studie des Wissenschaftlers. Eine Verknüpfung der Reformation mit guten wie schlechten Phänomenen der Moderne sei sehr problematisch. Je größer der zeitliche Abstand zwischen den Ereignissen und der Reformation sei, desto weniger lasse sich wissenschaftlich ein direkter Zusammenhang herstellen.
Vieles, was heute mit dem Protestantismus assoziiert werde, „widerspricht ziemlich deutlich dem, wofür die Reformation historisch steht“, so der Historiker. So habe Luther weder die Aufklärung noch den Kapitalismus angestrebt. Ohne Reformation hätte es aber möglicherweise keine Trennung von Politik und Religion im Reich gegeben, führte Pohlig aus. So hätten die Religionsfrieden von 1555 und 1648 den Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten damit gelöst, religiöse Wahrheitsansprüche aus der Politik auszuklammern. Daraus könne jedoch kein linearer Weg zu Toleranz, Säkularisierung und einem modernen Verfassungsstaat abgeleitet werden.
Nachweisen lassen sich nach Einschätzung des Forschers jedoch kurzfristige Wirkungen auf Ereignisse im 16. Jahrhundert. Die Kirchenspaltung oder der Bauernkrieg seien „tatsächlich undenkbar ohne die Reformation“. Auch kulturell habe die Reformation einiges verändert. Luthers Bibelübersetzung habe sich etwa auf die Entwicklung des Buchdrucks ausgewirkt. Pohlig geht in der Studie „Eine Neuzeit ohne Reformation?“der Frage nach, wie die Geschichte in Deutschland und der Welt ohne die Reformation verlaufen wäre.