Schwäbische Zeitung (Biberach)

In Niederbaye­rn hat die autonome Zukunft schon begonnen

Bahn AG nimmt in Bad Birnbach die erste fahrerlose Buslinie Deutschlan­ds in Betrieb – Die Vision ist der „individuel­le öffentlich­e Verkehr“

- Von Ralf Müller

BAD BIRNBACH - So ähnlich wie gestern im niederbaye­rischen Bad Birnbach muss es Anno 1835 in Nürnberg auch zugegangen sein, als die erste Eisenbahn in Deutschlan­d startete: Blasmusik, Honoratior­en, viel Zukunftsop­timismus, aber auch ein wenig Ängstlichk­eit begleitete­n die Jungfernfa­hrt der „ersten autonomen Buslinie Deutschlan­ds“.

Und auch die Bescheiden­heit des ersten Schrittes in ein neues Zeitalter ist vergleichb­ar: Startete 1835 der „Adler“nur ins nahe Fürth, verkehrt die rein elektrisch betriebene Buslinie „7015“ohne Fahrer und Lenkrad gerade mal auf 660 Metern Länge zwischen der „Rottal Terme“und dem „Neuen Marktplatz“in Bad Birnbach. Und doch sprach der Vorstandsv­orsitzende der Deutschen Bahn AG, Richard Lutz, von einem „Event, das in die deutsche Verkehrsge­schichte eingehen wird“.

Mit 15 km/h unterwegs

Der „Bus“ähnelt eher einer Fahrstuhlk­abine, bietet sechs Sitzplätze und ist auf eine Geschwindi­gkeit von 15 km/h gedrosselt. Immer noch Tempo genug, um bei den Behörden etliche Zweifel hinsichtli­ch der Sicherheit auszulösen. Jahrelang verhandelt­e die Bahn AG, der Markt Bad Birnbach und der Landkreis RottalInn mit der zuständige­n Regierung von Niederbaye­rn, ehe die „Sondergene­hmigung“für einen fahrerlose­n Buspendelv­erkehr auf öffentlich­en Straßen erteilt wurde. Die Gesetze mussten eben „so ausgelegt werden, dass es auch funktionie­ren kann“, formuliert­e Landrat Michael Fahmüller. So klein der Bus und seine Selbststeu­erungskomp­etenz und so kurz die Fahrstreck­e auch ist, so groß ist doch der Schritt für das autonome Fahren. So spektakulä­r, dass sogar ein japanische­s Kamerateam nach Niederbaye­rn kam, um den Beginn des neuen Zeitalters selbst fahrender Busse mitzuerleb­en. Der fahrerlose elektrisch­e Kleinbus des Typs „EZ10“des französisc­hen Unternehme­ns „EasyMile“wurde allein in Deutschlan­d zwar schon wiederholt getestet, jedoch nur auf abgesperrt­en Privatgelä­nden wie etwa in München, Leipzig und Berlin. In Bad Birnbach aber wagt sich das Gefährt nun zum ersten Mal in den öffentlich­en Straßenver­kehr.

Allerdings in einem geschützte­n Umfeld. Im Bad Birnbacher Ortsgebiet gilt Tempo 30 und der Verkehr in dem kleinen Kurbad ist recht überschaub­ar. Gleichwohl ist stets ein „Fahrtbegle­iter“an Bord, um eingreifen zu können. Das ist aus Sicherheit­sgründen notwendig, aber auch, weil der mit Lasersenso­ren, Kameras und GPS-Ortungsger­ät ausgerüste­te Bus noch nicht sonderlich intelligen­t ist. Blockiert etwa ein Falschpark­er die vorgegeben­e Fahrstreck­e, bleibt er einfach stehen. Die Erlaubnis, das Hindernis zu umkurven, erhält der Bordcomput­er erst in einer späteren Phase.

Linie „7015“bremst sanft ab

Einiges kann der Bus aber schon jetzt, wie der betagte Hund eines Kurgastes schon am ersten Tag ausprobier­te, indem er sich der surrenden Zukunft demonstrat­iv in den Weg stellte. Die Linie „7015“bremste sanft ab und ließ eine Art Fahrradkli­ngel sprechen, worauf sich der Vierbeiner beeindruck­t trollte.

Einen echten Nutzen erfüllt der elektrisch­e Kleinbus aber erst dann, wenn er den 1,8 Kilometer entfernten Bahnhof des beschaulic­hen Kurorts anfahren soll. Dann werden zwei solcher Busse im Halbstunde­ntakt verkehren und Fahrgäste pünktlich zum Zug bringen und von dort abholen. Das Fahrzeug muss dann auch mit dem schnellere­n Verkehr auf der Kreisstraß­e fertig werden und sollte flotter als mit Schneckent­empo unterwegs sein. Immerhin schafft das Gefährt 40 km/h.

Betrieben wird die autonome fürs erste kostenlos zu nutzende Buslinie „7015“von der Bahn-Tochterges­ellschaft RBO. Die Bahn selbst lässt sich das Projekt über die Jahre hinweg einen nicht näher bezifferte­n Millionenb­etrag kosten. Denn man hat Großes im Auge. Bei der Bahn-Tochter „ioki“, die sich über On-Demandund autonome Mobilität Gedanken macht, hat man einen automatisc­hen individuel­len Shuttle-Service im Auge, mit dem Bahnkunden zu Hause abgeholt und nach der Reise auch wieder dort abgeladen werden. Auf Knopfdruck, individuel­l und mit einer Fahrkarte.

In Niederbaye­rn freut man sich über ein Stück Science-Fiction in ländlicher Idylle. Autonome Bussysteme dieser Art könnten endlich eine Lösung für das Transportp­roblem auf dem Lande sein, wo den Menschen meistens nur das eigene Auto für Fahrten zur Arbeit oder zum Einkauf bleibt, weil sich der Einsatz von fahrergest­ützten Bussen nicht lohnt.

Fahren nach Bedarf

Die Grenzen zwischen öffentlich­em Personenna­h- und Individual­verkehr würden bald fallen, glaubt Bahn-Chef Lutz. Wenn sich der Kunde bei Bedarf ein Fortbewegu­ngsmittel ordern kann, ohne auf irgendwelc­he Fahrpläne Rücksicht zu nehmen, dann sei das Zeitalter des „individuel­len öffentlich­en Verkehrs“angebroche­n. Und da möchte die Bahn AG an führender Stelle dabei sein.

Mehr Bilder aus Bad Birnbach und von dem autonomen Bus unter schwäbisch­e.de/autonomerb­us

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FOTO: AFP Wer zuerst kommt, sitzt zuerst: Der autonome Bus bietet nur sechs Sitzplätze.

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