Schwäbische Zeitung (Biberach)

EU-Parlament debattiert über Sexismus

Sprecherin bestätigt mehrere Fälle sexueller Verfolgung und Belästigun­g

- Von Daniela Weingärtne­r

STRASSBURG - Die Debatte über sexuelle Belästigun­g am Mittwoch im Europaparl­ament (EP) ist so emotional aufgeladen gewesen, dass die Dolmetsche­rinnen mit dem Übersetzen nicht hinterherg­ekommen sind. Angestoßen durch die Weinstein-Affäre in Hollywood hatte das Parlament das Thema auf die Tagesordnu­ng gesetzt. Fast vierzig Abgeordnet­e meldeten sich zu Wort, darunter auch fünf Männer.

Terry Reintke, die frauenpoli­tische Sprecherin der Grünen im EP, stellte sich vor ihre Kollegen und hob ein Schild in die Höhe: „Me Too“, zu Deutsch: Auch mir ist es passiert. An ihre männlichen Kollegen appelliert­e sie, nicht länger wegzuschau­en, wenn sie Zeugen sexueller Belästigun­g würden. Der Sozialdemo­krat Udo Bullmann, einer der wenigen

Männer auf der Rednerlist­e, erklärte: „Wir verneigen uns vor dem Mut der Betroffene­n. Es ist nicht einfach, diese Vorgänge aufzudecke­n. Es ist diese Kultur der Zulässigke­it von Übergriffe­n, dieses dümmliche Dominanzve­rhalten. Wir müssen dem eine Kultur des Respekts und der Würde entgegense­tzen.“Mit dem Mut der Betroffene­n allerdings ist es so weit gar nicht her. Mehrere Journalist­en hatten in den vergangene­n Wochen versucht, Zeuginnen im Europaparl­ament zu finden, die bereit wären, ihre eigenen negativen Erfahrunge­n öffentlich zu machen – vergeblich.

Zwar meldeten sich über ein anonymes Webformula­r mehr als 30 Männer und Frauen aus dem Europaparl­ament bei der Zeitschrif­t Politico und berichtete­n über entspreche­nde Erfahrunge­n. Doch an die Öffentlich­keit will niemand von ihnen gehen. Eine Sprecherin des Parlaments bestätigte auf Anfrage, dass es in den vergangene­n Jahren mehrere Fälle sexueller Verfolgung und Belästigun­g gegeben habe. Man habe „angemessen­e Maßnahmen“ergriffen und auch Mitarbeite­r suspendier­t. Mehr könne sie aus Datenschut­zgründen nicht sagen. Die liberale Abgeordnet­e Sophia In‘t Veld bestätigte, dass es im Europaparl­ament einen Ausschuss gebe, an den sich betroffene Frauen wenden könnten, aber: „Seit 2014 ist das nur zehn Mal vorgekomme­n. Die Schwelle ist zu hoch.“Von männlichen Kollegen werde sie nun gefragt, was denn angemessen­es Verhalten überhaupt sei. „Die Antwort ist leicht. Jeder sollte sich einfach fragen, wie er seine eigene Tochter behandelt wissen will. Sexistisch­e Späße sind nicht witzig, sie sind sexistisch. Punkt.“

2013 erteilte die EU-Ombudsfrau dem Europäisch­en Parlament einen Verweis, weil die Beschwerde einer ehemaligen Praktikant­in wegen sexueller Belästigun­g verschlepp­t worden sei. Es handle sich um einen klaren Fall von schlechter Verwaltung­sführung, kritisiert­e sie. Die EU-Kommission erklärte gestern auf Anfrage, man habe eine „Null-Toleranz-Politik gegenüber sexuellen Übergriffe­n.“

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FOTO: DPA Medienberi­chte über sexuelle Belästigun­g auch im Europaparl­ament haben die EU-Abgeordnet­en in Zugzwang gebracht.

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