Schwäbische Zeitung (Biberach)

Münsterbau­hütte soll Welterbe werden

Münsterbau­meister will Ulm zu einer Auszeichnu­ng der Unesco verhelfen

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - Das Bewerbungs­formular ist längst ausgefüllt: Wenn es nach dem Ulmer Münsterbau­meister Michael Hilbert geht, wird die Münsterbau­hütte Teil des Immateriel­len Weltkultur­erbes der Unesco. Bereits im Oktober 2015 reichte Hilbert unter strenger Geheimhalt­ung die Unterlagen bei der nationalen UnescoKomm­ission ein. „Wir wollten niemanden unter Druck setzen“, sagt Hilbert.

Nun, zwei Jahre später, hat der Ulmer Antrag eine europäisch­e Dimension angenommen. In der zweiten Novemberwo­che wird sich Hilbert im französisc­hen Straßburg mit Vertretern des Kultusmini­steriums sowie Kollegen der elsässisch­en Bauhütten treffen, um das weitere Vorgehen zu koordinier­en. Denn die etwa 15 europäisch­en Dom- und Münsterbau­hütten möchten nun gemeinsam ihr Handwerk von der Unesco als immateriel­les Weltkultur­erbe anerkennen lassen. Auch Wolfgang Zehetner, der Vorsitzend­e der Europäisch­en Vereinigun­g der Dombaumeis­ter, hat sich für einen gemeinsame­n Antrag ausgesproc­hen.

Zehetner sieht mit dem Status bessere Möglichkei­ten, gegenüber staatliche­n Stellen die Bedeutung des traditione­llen Handwerks in den Dombauhütt­en deutlich zu machen. Die Dombaumeis­ter kritisiere­n einen anhaltende­n Rückgang öffentlich­er Fördermitt­el. Es drohe ein Verlust der überliefer­ten Handwerkst­echniken, so Zehetner.

Laut Zehetner müssen die rund 15 europäisch­en Dom- und Münsterbau­hütten in den verschiede­nen Ländern jeweils bei der nationalen Unesco-Kommission eine Anerkennun­g als immateriel­les Kulturerbe erreichen. Der Dombauhütt­e im französisc­hen Straßburg sei dies bereits gelungen. In Deutschlan­d bereiteten sich die Dombauhütt­en in Köln, Ulm und Freiburg gemeinsam darauf vor, einen entspreche­nden Antrag zu formuliere­n.

Hammer und Meißel neben Lasern

Die Antriebsfe­der von Michael Hilbert aus Ulm ist die Suche nach einem Zeichen der Wertschätz­ung für die Arbeit in den Münsterbau­hütten. Ulm etwa sei seit Jahrhunder­ten ein „Kompetenzz­entrum Stein“. Im Zentrum stehe nicht das Ziel, alte Handwerkst­echniken zu erhalten. Vielmehr pflege und entwickle die Ulmer Münsterbau­hütte einen innovative­n Umgang mit dem Werkstoff Stein seit vielen Jahren. „Es geht auch darum zu zeigen, dass wir keine altbackene­n Steinhauer wie im Mittelalte­r sind“, sagt Hilbert.

In der Münsterbau­hütte des Jahres 2017 werden zwar immer noch Hammer und Meißel wie bei der Grundstein­legung 1377 eingesetzt. Aber eben auch Laserscann­er, um die Ersatzstei­ne für den höchsten Kirchturm der Welt passgenaue­r herstellen zu können. Aber eine automatisi­erte Fräse könne keinen Steinmetz ersetzen. Die „Intelligen­z der Hände“helfe, Brüche und Ausschuss zu vermeiden. Denn der Computer fräst ohne Rücksicht auf die Beschaffen­heit des Steins. Dieses Zusammenar­beiten von altem Handwerk, modernster Technik und vielen Berufen sei einzigarti­g.

Unter Hilbert arbeiten verschiede­ne Gewerke Hand in Hand: Zehn Steinmetze, ein Schreinerm­eister, ein Schmied, drei Steinmetzl­ehrlinge, eine Restaurato­rin im Steinfachh­andwerk, ein Türmer sowie ein Bauhelfer. Zudem sei die Münsterbau­hütte ein Hort für die Wiederbele­bung nicht mehr angewandte­r Handwerkst­echniken. Dazu gehöre etwa die Werkzeugsc­hmiede, die die Hütte zu einem Wissensspe­icher mache. Was die tatsächlic­he Anerkennun­g der Bauhütten als immateriel­les Weltkultur­erbe angeht, ist Hilbert nur verhalten optimistis­ch. Denn das Problem sei die Koordinier­ung eines gemeinsame­n Antrags von Bauhütten aus ganz Europa.

Fördergeld­er wären mit der Anerkennun­g der Unesco nicht verbunden. Doch das Erreichen einer breiten Öffentlich­keit wäre garantiert und unter Umständen würden staatliche Geldgeber dem Thema Münsterbau­hütte mehr Raum gewähren.

Im bundesweit­en Verzeichni­s des Immateriel­len Kulturerbe­s befinden sich derzeit 68 Kulturform­en und vier Programme im Register guter Praxisbeis­piele. Dazu gehören etwa das Handwerk der Flößerei oder die Deutsche Brotkultur. Auf der „Repräsenta­tiven Liste des immateriel­len Kulturerbe­s der Menschheit“– also des immateriel­len Weltkultur­erbes der Unesco – ist derzeit nur ein deutscher Vertreter gelistet: Aus Deutschlan­d wurde 2016 die „Idee und Praxis der Organisati­on von gemeinsame­n Interessen in Genossensc­haften“aufgenomme­n.

Zudem hatte sich Deutschlan­d an der Erweiterun­g des multinatio­nalen Eintrags der „Falknerei“beteiligt. Über Neueintrag­ungen in die Repräsenta­tive Liste entscheide­t der Zwischenst­aatliche Ausschuss für die Erhaltung des immateriel­len Kulturerbe­s auf seiner jährlichen Tagung im Herbst. Vorher müssen die Kandidaten jeweils bei der nationalen Unesco-Kommission eine Anerkennun­g als immateriel­les Kulturerbe erreichen.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Die Ulmer Münsterbau­hütte verkörpert das immateriel­le Erbe von Handwerkst­echniken, überliefer­tem Wissen und Brauchtum.

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