Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wenn die Arbeit das Maß der Dinge ist
Das Drama „Jetzt. Nicht“überzeugt vor allem durch die Leistung der Schauspieler
BIBERACH (sch) - Es ist ein Thema, das heute vielleicht aktueller denn je ist: Regisseurin und Drehbuchautorin Julia Keller beschäftigt sich in dem Drama „Jetzt. Nicht“damit, wie die moderne Gesellschaft mit Arbeit umgeht. Das Filmfest-Publikum ist begeistert – und fühlt sich durch den Film auch zum Nachdenken angeregt.
Walter Stein, fantastisch gespielt von Godehard Giese, liebt seinen Job, vielleicht sogar mehr als seine Frau Nicola (Loretta Pflaum). Als er unerwartet entlassen wird, bricht für den Marketingdirektor eine Welt zusammen. Walter brennt durch, versenkt sein Auto in einem See und trifft per Zufall auf den Geschäftsmann Anton Schneider, der bald darauf an Herzversagen stirbt. Walter trifft eine ungewöhnliche Entscheidung: Er schlüpft in die Rolle von Anton – er nutzt seine Kreditkarten, geht als Anton zu einem Vorstellungsgespräch und stellt sich fortan als Anton vor. So versucht Walter seinem alten Leben zu entfliehen, das für ihn ohne seine Arbeit keinen Inhalt mehr zu haben scheint.
Julia Keller inszeniert Walter Stein als einen verunsicherten Mann, der wenig spricht und noch weniger Gefühlsregungen zulässt. Trotzdem übermannt Walter mit dem Verlust des Jobs eine Leere, mit der er nicht umzugehen weiß. Ist Arbeit also das Maß aller Dinge?
Ende ist offen gehalten
Über diese Frage kann der Zuschauer noch nach dem Film nachdenken. Das Ende von „Jetzt. Nicht“ist offen gehalten und lässt Spielraum für Interpretationen. Ob sich Walter für einen neuen Job oder für etwas ganz anderes entscheidet, bleibt unklar. Klar wird aber: Er akzeptiert nun, dass er etwas verloren hat, was bislang zu seiner Identität gehört hat. Der Zuschauer wünscht ihm, dass er nun nach neuen Wegen suchen kann.
„Jetzt. Nicht“ist das Porträt einer Gesellschaft, die durchsetzt ist von spätkapitalistischen Systemzwängen. Die Geschichte zeigt, wie sehr sich Menschen durch ihre Arbeit definiert sehen. Ein spannendes Thema, das schauspielerisch grandios umgesetzt wurde.
Julia Kellers Drama wurde dieses Jahr beim Max-Ophüls-Filmfestival in Saarbrücken uraufgeführt und kommt noch im November in die deutschen Kinos.