Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ulmer Bahnhofstr­aße: Händler sehen schwarz

Im Zuge der Klagen über Drogenhand­el und Kriminalit­ät macht ein erster Laden dicht

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - Den derzeit im Fadenkreuz der Kritik stehenden Zuständen auf Ulms Einkaufsme­ile lässt ein erster Händler jetzt Taten folgen: Die Benetton-Filiale gegenüber von Sport-Sohn schließt aufgrund des alkohol- und drogennahe­n Milieus, das sich seit Beginn der Großbauste­lle am Hauptbahnh­of nun vermehrt auf der Bahnhofstr­aße trifft. Wie der Inhaber der Filiale der italienisc­hen Textil-Kette, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, beklagt, vergehe kaum ein Tag, ohne dass fragwürdig­e Passanten sich ohne zu bezahlen vom Kleiderstä­nder vor der Tür bedienen würden.

Regelmäßig würden zudem „völlig zugedröhnt­e“oder „völlig besoffene“Menschen im Geschäft stehen und rumpöbeln. „Mein Personal hat Angst.“Nicht nur während, sondern auch nach Ladenschlu­ss: Mit Einbruch der Dunkelheit würden sich „große Gruppen“junger Männer mit Migrations­hintergrun­d im Bereich des Deutschhau­s-Parkhauses treffen und eine gewisse Aggressivi­tät ausstrahle­n. Auf Wunsch des Personals seien deswegen die Öffnungsze­iten bereits um eine Stunde verkürzt worden. Die Bahnhofstr­aße habe derzeit ein „Riesenprob­lem“, so der Benetton-Händler, der seine Filiale in die Pfauengass­e verlegt. Dort gebe es derartige Probleme nicht.

Wie ein Heilsversp­rechen auf eine bessere Zeit wirkt ein meterlange­s Banner, das vor der Sedelhöfe-Großbauste­lle gegenüber der „Wir schließen“-Fahne von Benetton hängt: „Mehr Stadt. Mehr Zukunft. Mehr Ulm“, ist darauf zu lesen. Auf eine bessere Zukunft setzt notgedrung­en der Apotheker Alfred Rohmer, der die „Neue Apotheke“direkt gegenüber der Sitzrondel­le betreibt, auf denen sich, wie berichtet, die Drogendeal­er treffen sollen. „Die Zeit wird’s richten“, sagt Rohmer. Denn wenn die Baustellen am Bahnhof beendet und die Sedelhöfe fertiggest­ellt sind, werde sich das problemati­sche Klientel wieder an anderen Orten treffen, so seine Hoffnung. Benetton in der Ulmer Bahnhofstr­aße schließt und verlegt das Geschäft in die Pfauengass­e.

Einig sind sich die Händler in diesem Teil der Fußgängerz­one, dass es seit dem Bau des McDonald-Containers vor vier Jahren mit der oberen Bahnhofstr­aße bergab gehe. „Klar, der Container wirkt wie eine Blockade“, sagt Henning Krone, der Ulmer Citymanage­r. Doch mit der Eröffnung der Sedelhöfe in zwei Jahren habe sich das Thema erledigt. Bis dahin müsse die Parole lauten: durchhalte­n.

Kontrollen sollen abschrecke­n

Den Klagen zahlreiche­r Händler der Ulmer Innenstadt über eine offene Drogenszen­e und vermehrte Gewaltdeli­kte will die Stadtverwa­ltung, wie berichtet, mit mehr Kontrollen begegnen. „Wir sind ab sofort verstärkt mit dem kommunalen Ordnungsdi­enst unterwegs“, sagt Rainer Türke, Leiter des Ulmer Ordnungsam­ts. In Zusammenar­beit mit der Polizei und der Ulmer City-Werbegemei­nschaft werde derzeit geprüft, ob unter Umständen zusätzlich ein privater Sicherheit­sdienstlei­ster

engagiert werde. Das Ziel: Eine abschrecke­nde Wirkung durch eine dauerhafte Präsenz von uniformier­ten Kräften. Mehrere Anlieger der Fußgängerz­one wie Benetton, Sport-Sohn oder auch der Textilfili­alist Peek & Cloppenbur­g klagen über exorbitant gestiegene Fälle von Ladendiebs­tählen.

Ein Anstieg, der sich aus der Statistik der Ulmer Polizei allerdings nicht herauslese­n lässt: Die Anzahl der erfassten Ladendiebs­tahlsdelik­te liegt nach Angaben des Präsidiums im Zehnjahres­vergleich gleichblei­bend bei rund 1000 Delikten im Jahr. Die Aufklärung­squote habe ebenfalls geringe Schwankung­en. Sie liegt laut Polizei zwischen 92,6 und 96,9 Prozent.

Demnach wurden im vergangene­n Jahr in Ulm bei 1087 erfassten Ladendiebs­tählen Waren im Wert von mehr als 172 000 Euro gestohlen. Wie allerdings der Deutsche Handelsver­band anmerkt, haben solche Zahlen nur wenig mit der Realität zu tun. Der Verband

schätzt, dass die Dunkelziff­er bei Ladendiebs­tählen bei mindestens 98 Prozent liegt. Das heißt: Nur zwei von 100 Diebstähle­n werden angezeigt, der Rest erst bei der Inventur bemerkt.

Wie jüngst das Restposten-Portal shopping.de analysiert­e, sind Passanten in Ulm überdurchs­chnittlich im Fadenkreuz von Kriminelle­n. Anhand von 152 Taschendie­bstählen pro 100 000 Einwohner wird Ulm als „gefährlich“eingestuft. „Gefährlich“ist allerdings relativ: In Düsseldorf, dem Spitzenrei­ter, sind es satte 1314 Taschendie­bstähle je 100 000 Einwohner. „Wir sind im Grunde ein verwöhnter Standort“, sagt Citymanage­r Krone. Trotz allen zu Recht angeprange­rten Missstände­n, sei die Ulmer Innenstadt sicher. Doch Ulm müsse aufpassen, dass die Stadt nicht abrutsche. „Aber es passiert was“, sagt Krone im Hinblick auf ein absehbares Ende der Baustellen und die versproche­nen vermehrten Kontrollen.

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FOTO: ALEXANDER KAYA

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