Schwäbische Zeitung (Biberach)

Lupenreine­s Syndikat

Politologi­n Margareta Mommsen zu Russland unter Putin

- Von Reinhold Mann

Die Münchner Politologi­n Margareta Mommsen hat ein informativ­es Buch über das Herrschaft­ssystem des Wladimir Putin geschriebe­n.

„Lupenreine­r Demokrat“: Wenn es um Etiketten geht, die Putin und der Staatsform des heutigen Russland angeheftet werden, dann überwog lange das Modell, der Demokratie irgendein Adjektiv voranzuste­llen. Dmitri Medwedew, von Hause aus Rechtswiss­enschaftle­r und 2008 bis 2012 Präsident Russlands, hatte 2007 in Davos für eine „Demokratie ohne Adjektiv“plädiert. Heute kommt die Beschreibu­ng des Staatssyst­ems ohne Adjektiv aus. Auch ohne das Substantiv „Demokratie“.

Die Schwierigk­eiten bei der Suche nach einer geeigneten Begrifflic­hkeit verweist auf ein Problem der Politologi­e: Lässt sich die aktuelle Herrschaft­sform Russlands noch mit traditione­llen Begriffen beschreibe­n? Wie gewichtet man die Elemente von Parlamenta­rismus, Präsidialv­erfassung nach französisc­hem Vorbild, Staatswirt­schaft und Geheimdien­st, die da zusammenge­puzzelt sind? Oder handelt es sich gar um eine Herrschaft neuen Typs?

Margareta Mommsen beschreibt nicht das System, wie es ist, sondern wie es sich entwickelt hat. Aus dieser Perspektiv­e erscheint die Staatsform nicht als festes Gebilde, sondern als Prozess, an dessen Anfang das Ende der Sowjetunio­n stand. Sie zeigt auf Elemente der Jelzin-Zeit, die überlebt haben, und auf Veränderun­gen, die Putin vollzogen hat. Sein Flankenwec­hsel von der Westorient­ierung hin zur Behauptung von Eigenständ­igkeit ist die auffälligs­te Verschiebu­ng. Sein Konzept „Eurasien“ist ein geradezu barockes Konglomera­t von Narrativen, das auf die Sowjetzeit zurückgrei­ft und weit darüber hinaus, aber bewusst die Revolution ausspart.

Wer darf mitspielen, wer nicht?

Wenn Mommsen auf Russlands politische­s System zu sprechen kommt, bevorzugt sie ein Wort, das William Safire, Kolumnist der „New York Times“, im Jahr 2000 erfunden hat: Putinismus. Sie entwickelt es weiter zu dem Begriff „Putin-Syndikat“. So weist sie darauf hin, dass keine Herrschaft ein Ein-Personen-Stück ist. Wer zu dem Kreis der Mitspieler um die Macht dazugehört, in dem Putin die Rolle eines Moderators gibt, wer herausfäll­t, wer neu hineinkomm­t, all das bestimmt Wandel und Konstanz des Systems.

Mommsen ist hier auf 200 Textseiten eine konzentrie­rte, verständli­che Darstellun­g gelungen, lesenswert auf jeder Seite. Wem das zuviel ist, der sollte sich wenigstens die siebenseit­ige Einleitung gönnen. Ein perspektiv­enreichere­s Bild auf das Russland Putins ist auf so begrenztem Raum kaum zu entfalten.

Margareta Mommsen: Das PutinSyndi­kat, C.H.Beck, 250 Seiten, 14,95 Euro

 ?? FOTO: JORGE SILVA ?? Der russische Präsident Wladimir Putin
FOTO: JORGE SILVA Der russische Präsident Wladimir Putin

Newspapers in German

Newspapers from Germany