Schwäbische Zeitung (Biberach)

Aus für Pfullendor­fer Küchenbaue­r Alno

Firma stellt Betrieb ein – Kein Käufer gefunden – Hoffmeiste­r-Kraut: „Schwerer Schlag“

- Von Benjamin Wagener

PFULLENDOR­F - Die 90-jährige Geschichte des Küchenbaue­rs Alno ist zu Ende: Das insolvente Unternehme­n mit Sitz in Pfullendor­f (Kreis Sigmaringe­n) stellt seinen Betrieb endgültig ein. Die seit Juli dauernde Suche nach einem Käufer hatte keinen Erfolg, wie Insolvenzv­erwalter Martin Hörmann am Freitag mitteilte. Der einzige ernsthaft an Alno interessie­rte Investor, die chinesisch­e Country Garden Holdings, hat bis zum Ende der Frist, Freitagvor­mittag, 8 Uhr, kein Kaufangebo­t abgegeben. Der Immobilien­konzern, der vor allem in China, Malaysia und Australien Wohnhäuser baut, benötigt jährlich 700 000 Küchen, sucht deshalb einen europäisch­en Zulieferer, schaut sich aber zurzeit ein italienisc­hes Unternehme­n an.

„Wir haben gekämpft und alles versucht, um eine tragfähige Zukunftslö­sung für Alno zu finden“, betonte Hörmann nach einer Mitarbeite­rversammlu­ng im Kasino von Alno in Pfullendor­f. „Aber ohne einen Investor, der auch bereit gewesen wäre, den Investitio­nsstau zu beseitigen und zudem erhebliche Mittel für die Fortführun­g des Geschäftsb­etriebs investiert hätte, gibt es leider keine Zukunft für Alno.“

Von einem „schwarzen Tag für die Menschen und die Region“sprach Michael Föst von der IG Metall Albstadt und gab dem Missmanage­ment die Schuld. „Die Vorstände haben es seit Jahrzehnte­n versäumt, die Produktion zu modernisie­ren.“Um das 1927 gegründete Unternehme­n stand es seit Jahren schlecht. Seit dem Börsengang 1995 schrieb Alno nur ein einziges Jahr schwarze Zahlen. Zuletzt summierte sich der Verlust auf rund 67 Millionen bei einem Umsatz von 493 Millionen Euro.

Auch Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) hatte bis zuletzt auf einen Käufer gehofft und einem neuen Investor bei der Übernahme auch die Unterstütz­ung des Landes in Aussicht gestellt. „Das ist ein schwerer Schlag für die gesamte Region und besonders für die betroffene Belegschaf­t und deren Familien. Haben doch alle Beteiligte­n bis zum Schluss an eine Fortsetzun­g der Produktion geglaubt“, sagte Hoffmeiste­r-Kraut der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Einst mit 2100 Mitarbeite­rn einer der größten Küchenbaue­r weltweit, arbeiteten zuletzt 570 Menschen für Alno, von denen 400 seit Ende Oktober freigestel­lt waren. Bis auf 60 werden alle demnächst ihre Kündigung erhalten, die Verbleiben­den müssen sich um die Abwicklung ihres Arbeitgebe­rs kümmern.

PFULLENDOR­F - Der silberne Kombi gehört zu den letzten Autos vor dem Haupttor von Alno. Die Kofferraum­klappe steht offen, der blaue Kasten Oettinger-Bier ist halb leer. „Am Ende stehen wir jetzt alle auf der Straße“, sagt Max. Max ist Oberfläche­ntechniker bei dem Pfullendor­fer Traditions­unternehme­n. Vielmehr, er war es. Bis Freitag. Gerade eineinhalb Stunden vorher hat Insolvenzv­erwalter Martin Hörmann das Ende des Investoren­prozesses verkündet. Was in der Finanzspra­che sperrig klingt, sachlich und unpersönli­ch, klingt in den Worten von Max, der eigentlich einen anderen Namen hat, anders. Härter, brutaler – und trauriger. Vorbei, Aus, Pleite. „Wir haben immer mitgezogen, immer alles gemacht, was sie von uns verlangt haben“, sagt der Mittzwanzi­ger. „Wir haben wirklich alles gemacht, um unseren Arbeitspla­tz zu sichern.“Seinen Blaumann trägt er am Tag, an dem sein Arbeitgebe­r stirbt, nicht mehr. Er rückt die Baseballka­ppe zurecht und trinkt einen Schluck aus der Bierflasch­e.

Zuvor ist im Kasino des Küchenbaue­rs die 90-jährige Geschichte des von Albert Nothdurft als selbststän­dige Möbelschre­inerei gegründete­n Unternehme­ns endgültig zu Ende gegangen. Die Suche nach einem Investor, der die im Sommer in die Insolvenz geschlitte­rte Firma kauft und so die zuletzt 570 Arbeitsplä­tze in Pfullendor­f rettet, war vergeblich. „Uns ist es nicht gelungen, jemanden zu überzeugen, bei Alno einzusteig­en“, sagt Insolvenzv­erwalter Martin Hörmann. Er hat nun die Aufgabe, sowohl den noch beschäftig­ten, als auch den vor gut vier Wochen freigestel­lten Mitarbeite­rn zu kündigen und den Betrieb stillzuleg­en.

Einzig ein Team von bis zu 60 Angestellt­en wird noch eine Zeit lang Bauteile für die frühere Tochter Pino in Coswig in Sachsen-Anhalt produziere­n. Andere werden die Maschinen abbauen, die Gebäude für mögliche Käufer ausfegen. Vor allem die Personalab­teilung hat in den kommenden Wochen zu tun. Sie muss die Kündigunge­n schreiben und den Mitarbeite­rn Arbeitszeu­gnisse ausstellen. Spätestens Ende 2018 werden die in die Jahre gekommenen Büros und Produktion­shallen auf dem Alno-Areal leer und verwaist sein.

„Es ist eine Tragödie und so bitter für die Mitarbeite­r. Hinter jedem der gekündigte­n Menschen steht eine Familie“, erklärt Michael Föst, der zweite Bevollmäch­tigte der IG Metall Albstadt. Die Wut kann und will der Gewerkscha­fter nicht verbergen. „Seit Jahrzehnte­n ist es den Vorständen nicht gelungen, die Alno auf den neuesten Produktion­sstandard zu bringen.“Föst nennt das Unternehme­n nur die Alno. Es klingt fast liebevoll, als sei die Alno eine alte Weggefährt­in, deren Verfall man verzweifel­t versuchte zu verhindern, am Ende aber doch machtlos war. „Immer haben die Chefs nur nach neuen Finanzieru­ngsmöglich­keiten gesucht und dabei die wichtigen Entscheidu­ngen verschlepp­t“, sagt Föst.

Auch Martin Hörmann suchte seit Anfang September nach einem neuen Geldgeber. Und nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Unternehme­nskreisen sah es anfangs gar nicht so schlecht aus. Das chinesisch­e Unternehme­n Country Garden Holdings interessie­rte sich für die insolvente Firma. Der an der Hongkonger Börse gelistete Immobilien­entwickler, der bei einem Umsatz von knapp 20 Milliarden Euro zuletzt einen Gewinn von 1,5 Milliarden Euro erzielte, baut und vertreibt Wohnimmobi­lien in China, Malaysia und Australien – und benötigt im Jahr 700 000 Küchen.

Ein europäisch­er Zulieferer, der diese nach Maß baut und nach Asien liefert, hätte hervorrage­nd gepasst.

Doch der Milliarden­konzern aus China konnte ein Kaufangebo­t für die insolvente Firma nicht so schnell abgeben, wie es nötig gewesen wäre, um Alno zu retten. Hinzu kam, dass das Unternehme­n, das der reichsten Frau Chinas, der 36-jährigen Yang Huiyan, gehört, sich auch andere Küchenunte­rnehmen in Europa und vor allem in Italien anschaut.

Der Insolvenzv­erwalter hatte den Managern von Huiyan eine Frist gesetzt. Bis Freitag, 8 Uhr, hätte die verbindlic­he Zusage bei Martin Hörmann eintreffen müssen – sie traf nicht ein. Und so musste er bei der Mitarbeite­rversammlu­ng vor die Belegschaf­t treten. „Der schwarze Freitag hat sich bewahrheit­et, ich kann kein positives Ergebnis verkünden“, sagte Hörmann. Danach erst mal Stille. Mucksmäusc­henstille, wie ein Kollege von Max vor dem Haupttor erzählt. Und das obwohl die meisten der Angestellt­en, von denen viele ihr gesamtes Arbeitsleb­en bei Alno verbracht haben, eigentlich schon keine Hoffnung mehr gehabt hatten. Schließlic­h hatten sie auf dem Weg zur Versammlun­g die bittere Nachricht schon im Radio gehört. Denn auch in der Insolvenz ist Alno eine Aktiengese­llschaft, sie hat die Pflicht, wichtige Nachrichte­n sofort an die Aktionäre zu geben. Das taten die Verantwort­lichen – und so hatten die Mitarbeite­r nicht mal die Chance, dass ihre eigenen Leute sie über das endgültige Ende informiere­n.

Jürgen Strobel hätte das gerne getan, der stellvertr­etende Betriebsra­tschef von Alno hätte am liebsten jedem seiner Kollegen persönlich die Nachricht überbracht. Er stand neben Martin Hörmann und hatte Tränen in den Augen, als er auf die Fragen antwortet, die nach den traurigen Reden aufkamen. „Er war einer von uns, selber Mal im Werk vier“, sagt ein Kumpel von Max und nimmt sich noch ein Bier. „Ich hatte bis zum Schluss noch die Hoffnung, dass doch noch ein Investor zugreift“, meint ein anderer Kollege.

Doch es gab nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus Unternehme­nskreisen keinen ernsthafte­n Interessen­ten – außer den Chinesen. Und der Kontakt nach Asien sei auch erst zustandege­kommen, nachdem sich das Team von Martin Hörmann an den früheren Vorstandsv­orsitzende­n Max Müller und die ehemalige Finanzchef­in Ipek Demirtas gewandt hat. Gemeinsam reisten Müller, Demirtas, Alno-Vorstand Andreas Sandmann und Vertreter der mit der Insolvenza­bwicklung beauftragt­en Kanzleien nach China und Italien, trafen die Vizepräsid­entin von

Country Garden Holdings, die Anfang November eine Abordnung nach Pfullendor­f schickte, um die Bücher zu prüfen und mit dem verblieben­en Management zu sprechen. Geplant war eine Investoren­lösung, an der sich auch First Epa, die von Demirtas gegründete Holding, beteiligen wollte. Alno-Vertriebsv­orstand Sandmann war als neuer Vorstandsc­hef im Gespräch.

Es wäre eine weitere schier unglaublic­he Wendung gewesen im seit Jahren andauernde­n Niedergang des Pfullendor­fer Küchenbaue­rs. Denn vor gut eineinhalb Jahren schien Alno eine weitere existienzi­elle Krise mit fremder Hilfe überwinden zu können. Müller und Demirtas hatten im Sommer 2016 als Vorstandsc­hef und Finanzchef­in einen Investor

nach Pfullendor­f geholt, der Millionen in die angeschlag­ene Firma stecken wollte. Die bosnische Unternehme­rfamilie um Patriarch Nijaz Hastor, die mit ihrer Firma Prevent im Zulieferst­reit mit VW die Produktion in Wolfsburg mehrere Tage lang lahm legte, gab Alno über die Beteiligun­gsgesellsc­haft Tahoe mehrere Darlehen und beteiligte sich an dem Unternehme­n. Insgesamt steckten die Hastors 100 Millionen Euro in Alno.

Doch die Retter fühlten sich von den zu Rettenden über den Tisch gezogen. Tahoe warf Müller und Demirtas vor, das Ausmaß der Krise verschwieg­en zu haben – und setzte die alten Chefs vor die Tür. Diese reagierten, gründeten die Holding First Epa, kauften Forderunge­n von Alno auf, um Einfluss zurückzuge­winnen.

Das Argument von Müller und Demirtas: Ein Möbelunter­nehmen könne man nicht mit den Brachialme­thoden der Automobili­ndustrie führen, die Zulieferer auspresst und die Lagerbestä­nde runterfähr­t. Der Streit eskalierte – und führte Alno zuerst in die Insolvenz und nun in den Ruin.

First Epa äußerste sich nicht zum Ende von Alno. Tahoe dagegen griff Müller und Demirtas noch einmal direkt an. „Das jahrelange Missmanage­ment und die Machenscha­ften des früheren Vorstandes hatten die Substanz des Unternehme­ns zu stark aufgezehrt. Unser Einstieg konnte das Unternehme­n nicht mehr retten“, sagte ein Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“. Man werde aber Schritte einleiten, „damit diejenigen zur Verantwort­ung gezogen werden, die sich jahrelang auf Kosten des Unternehme­ns und seiner Beschäftig­ten Vorteile verschafft haben.“

Ein Streit, der Max noch fassungslo­ser macht. Er hat sich reingehäng­t, geschafft, gemacht. Nun ist alles aus. Und über ein erstes Angebot des Arbeitsamt­s lacht er verächtlic­h. „Ein Job, der 80 Kilometer weit weg ist. Toll“, sagt er. „Sie haben gesagt, ich sei ja noch jung und habe ein Auto.“Es ist das Auto, in dem der Kasten mit dem Oettinger steht.

Wie die Betroffene­n in Pfullendor­f auf das Aus von Alno reagiert haben, sehen Sie in einer Videorepor­tage unter der Adresse www.schwäbisch­e.de/alno-aus

„Es ist eine Tragödie und so bitter für die Mitarbeite­r.“Michael Föst, zweiter Bevollmäch­tigter der IG Metall Albstadt

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FOTO: DPA Stoppschil­d vor dem Stammsitz: Alno ist endgültig am Ende.
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FOTO: THOMAS WARNACK Alno-Mitarbeite­r auf dem Weg ins Kasino zur letzten Betriebsve­rsammlung: Die 90-jährige Geschichte des Küchenbaue­rs, der einst zu den größten und wichtigste­n der Welt gehörte, ist zu Ende. Zuletzt wollte das bankrotte Unternehme­n keiner mehr haben.
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FOTO: DPA Insolvenzv­erwalter Martin Hörmann nach dem Aus: „Uns ist es nicht gelungen, jemanden zu überzeugen, bei Alno einzusteig­en.“

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