Schwäbische Zeitung (Biberach)
Aus für Pfullendorfer Küchenbauer Alno
Firma stellt Betrieb ein – Kein Käufer gefunden – Hoffmeister-Kraut: „Schwerer Schlag“
PFULLENDORF - Die 90-jährige Geschichte des Küchenbauers Alno ist zu Ende: Das insolvente Unternehmen mit Sitz in Pfullendorf (Kreis Sigmaringen) stellt seinen Betrieb endgültig ein. Die seit Juli dauernde Suche nach einem Käufer hatte keinen Erfolg, wie Insolvenzverwalter Martin Hörmann am Freitag mitteilte. Der einzige ernsthaft an Alno interessierte Investor, die chinesische Country Garden Holdings, hat bis zum Ende der Frist, Freitagvormittag, 8 Uhr, kein Kaufangebot abgegeben. Der Immobilienkonzern, der vor allem in China, Malaysia und Australien Wohnhäuser baut, benötigt jährlich 700 000 Küchen, sucht deshalb einen europäischen Zulieferer, schaut sich aber zurzeit ein italienisches Unternehmen an.
„Wir haben gekämpft und alles versucht, um eine tragfähige Zukunftslösung für Alno zu finden“, betonte Hörmann nach einer Mitarbeiterversammlung im Kasino von Alno in Pfullendorf. „Aber ohne einen Investor, der auch bereit gewesen wäre, den Investitionsstau zu beseitigen und zudem erhebliche Mittel für die Fortführung des Geschäftsbetriebs investiert hätte, gibt es leider keine Zukunft für Alno.“
Von einem „schwarzen Tag für die Menschen und die Region“sprach Michael Föst von der IG Metall Albstadt und gab dem Missmanagement die Schuld. „Die Vorstände haben es seit Jahrzehnten versäumt, die Produktion zu modernisieren.“Um das 1927 gegründete Unternehmen stand es seit Jahren schlecht. Seit dem Börsengang 1995 schrieb Alno nur ein einziges Jahr schwarze Zahlen. Zuletzt summierte sich der Verlust auf rund 67 Millionen bei einem Umsatz von 493 Millionen Euro.
Auch Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hatte bis zuletzt auf einen Käufer gehofft und einem neuen Investor bei der Übernahme auch die Unterstützung des Landes in Aussicht gestellt. „Das ist ein schwerer Schlag für die gesamte Region und besonders für die betroffene Belegschaft und deren Familien. Haben doch alle Beteiligten bis zum Schluss an eine Fortsetzung der Produktion geglaubt“, sagte Hoffmeister-Kraut der „Schwäbischen Zeitung“.
Einst mit 2100 Mitarbeitern einer der größten Küchenbauer weltweit, arbeiteten zuletzt 570 Menschen für Alno, von denen 400 seit Ende Oktober freigestellt waren. Bis auf 60 werden alle demnächst ihre Kündigung erhalten, die Verbleibenden müssen sich um die Abwicklung ihres Arbeitgebers kümmern.
PFULLENDORF - Der silberne Kombi gehört zu den letzten Autos vor dem Haupttor von Alno. Die Kofferraumklappe steht offen, der blaue Kasten Oettinger-Bier ist halb leer. „Am Ende stehen wir jetzt alle auf der Straße“, sagt Max. Max ist Oberflächentechniker bei dem Pfullendorfer Traditionsunternehmen. Vielmehr, er war es. Bis Freitag. Gerade eineinhalb Stunden vorher hat Insolvenzverwalter Martin Hörmann das Ende des Investorenprozesses verkündet. Was in der Finanzsprache sperrig klingt, sachlich und unpersönlich, klingt in den Worten von Max, der eigentlich einen anderen Namen hat, anders. Härter, brutaler – und trauriger. Vorbei, Aus, Pleite. „Wir haben immer mitgezogen, immer alles gemacht, was sie von uns verlangt haben“, sagt der Mittzwanziger. „Wir haben wirklich alles gemacht, um unseren Arbeitsplatz zu sichern.“Seinen Blaumann trägt er am Tag, an dem sein Arbeitgeber stirbt, nicht mehr. Er rückt die Baseballkappe zurecht und trinkt einen Schluck aus der Bierflasche.
Zuvor ist im Kasino des Küchenbauers die 90-jährige Geschichte des von Albert Nothdurft als selbstständige Möbelschreinerei gegründeten Unternehmens endgültig zu Ende gegangen. Die Suche nach einem Investor, der die im Sommer in die Insolvenz geschlitterte Firma kauft und so die zuletzt 570 Arbeitsplätze in Pfullendorf rettet, war vergeblich. „Uns ist es nicht gelungen, jemanden zu überzeugen, bei Alno einzusteigen“, sagt Insolvenzverwalter Martin Hörmann. Er hat nun die Aufgabe, sowohl den noch beschäftigten, als auch den vor gut vier Wochen freigestellten Mitarbeitern zu kündigen und den Betrieb stillzulegen.
Einzig ein Team von bis zu 60 Angestellten wird noch eine Zeit lang Bauteile für die frühere Tochter Pino in Coswig in Sachsen-Anhalt produzieren. Andere werden die Maschinen abbauen, die Gebäude für mögliche Käufer ausfegen. Vor allem die Personalabteilung hat in den kommenden Wochen zu tun. Sie muss die Kündigungen schreiben und den Mitarbeitern Arbeitszeugnisse ausstellen. Spätestens Ende 2018 werden die in die Jahre gekommenen Büros und Produktionshallen auf dem Alno-Areal leer und verwaist sein.
„Es ist eine Tragödie und so bitter für die Mitarbeiter. Hinter jedem der gekündigten Menschen steht eine Familie“, erklärt Michael Föst, der zweite Bevollmächtigte der IG Metall Albstadt. Die Wut kann und will der Gewerkschafter nicht verbergen. „Seit Jahrzehnten ist es den Vorständen nicht gelungen, die Alno auf den neuesten Produktionsstandard zu bringen.“Föst nennt das Unternehmen nur die Alno. Es klingt fast liebevoll, als sei die Alno eine alte Weggefährtin, deren Verfall man verzweifelt versuchte zu verhindern, am Ende aber doch machtlos war. „Immer haben die Chefs nur nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten gesucht und dabei die wichtigen Entscheidungen verschleppt“, sagt Föst.
Auch Martin Hörmann suchte seit Anfang September nach einem neuen Geldgeber. Und nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Unternehmenskreisen sah es anfangs gar nicht so schlecht aus. Das chinesische Unternehmen Country Garden Holdings interessierte sich für die insolvente Firma. Der an der Hongkonger Börse gelistete Immobilienentwickler, der bei einem Umsatz von knapp 20 Milliarden Euro zuletzt einen Gewinn von 1,5 Milliarden Euro erzielte, baut und vertreibt Wohnimmobilien in China, Malaysia und Australien – und benötigt im Jahr 700 000 Küchen.
Ein europäischer Zulieferer, der diese nach Maß baut und nach Asien liefert, hätte hervorragend gepasst.
Doch der Milliardenkonzern aus China konnte ein Kaufangebot für die insolvente Firma nicht so schnell abgeben, wie es nötig gewesen wäre, um Alno zu retten. Hinzu kam, dass das Unternehmen, das der reichsten Frau Chinas, der 36-jährigen Yang Huiyan, gehört, sich auch andere Küchenunternehmen in Europa und vor allem in Italien anschaut.
Der Insolvenzverwalter hatte den Managern von Huiyan eine Frist gesetzt. Bis Freitag, 8 Uhr, hätte die verbindliche Zusage bei Martin Hörmann eintreffen müssen – sie traf nicht ein. Und so musste er bei der Mitarbeiterversammlung vor die Belegschaft treten. „Der schwarze Freitag hat sich bewahrheitet, ich kann kein positives Ergebnis verkünden“, sagte Hörmann. Danach erst mal Stille. Mucksmäuschenstille, wie ein Kollege von Max vor dem Haupttor erzählt. Und das obwohl die meisten der Angestellten, von denen viele ihr gesamtes Arbeitsleben bei Alno verbracht haben, eigentlich schon keine Hoffnung mehr gehabt hatten. Schließlich hatten sie auf dem Weg zur Versammlung die bittere Nachricht schon im Radio gehört. Denn auch in der Insolvenz ist Alno eine Aktiengesellschaft, sie hat die Pflicht, wichtige Nachrichten sofort an die Aktionäre zu geben. Das taten die Verantwortlichen – und so hatten die Mitarbeiter nicht mal die Chance, dass ihre eigenen Leute sie über das endgültige Ende informieren.
Jürgen Strobel hätte das gerne getan, der stellvertretende Betriebsratschef von Alno hätte am liebsten jedem seiner Kollegen persönlich die Nachricht überbracht. Er stand neben Martin Hörmann und hatte Tränen in den Augen, als er auf die Fragen antwortet, die nach den traurigen Reden aufkamen. „Er war einer von uns, selber Mal im Werk vier“, sagt ein Kumpel von Max und nimmt sich noch ein Bier. „Ich hatte bis zum Schluss noch die Hoffnung, dass doch noch ein Investor zugreift“, meint ein anderer Kollege.
Doch es gab nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Unternehmenskreisen keinen ernsthaften Interessenten – außer den Chinesen. Und der Kontakt nach Asien sei auch erst zustandegekommen, nachdem sich das Team von Martin Hörmann an den früheren Vorstandsvorsitzenden Max Müller und die ehemalige Finanzchefin Ipek Demirtas gewandt hat. Gemeinsam reisten Müller, Demirtas, Alno-Vorstand Andreas Sandmann und Vertreter der mit der Insolvenzabwicklung beauftragten Kanzleien nach China und Italien, trafen die Vizepräsidentin von
Country Garden Holdings, die Anfang November eine Abordnung nach Pfullendorf schickte, um die Bücher zu prüfen und mit dem verbliebenen Management zu sprechen. Geplant war eine Investorenlösung, an der sich auch First Epa, die von Demirtas gegründete Holding, beteiligen wollte. Alno-Vertriebsvorstand Sandmann war als neuer Vorstandschef im Gespräch.
Es wäre eine weitere schier unglaubliche Wendung gewesen im seit Jahren andauernden Niedergang des Pfullendorfer Küchenbauers. Denn vor gut eineinhalb Jahren schien Alno eine weitere existienzielle Krise mit fremder Hilfe überwinden zu können. Müller und Demirtas hatten im Sommer 2016 als Vorstandschef und Finanzchefin einen Investor
nach Pfullendorf geholt, der Millionen in die angeschlagene Firma stecken wollte. Die bosnische Unternehmerfamilie um Patriarch Nijaz Hastor, die mit ihrer Firma Prevent im Zulieferstreit mit VW die Produktion in Wolfsburg mehrere Tage lang lahm legte, gab Alno über die Beteiligungsgesellschaft Tahoe mehrere Darlehen und beteiligte sich an dem Unternehmen. Insgesamt steckten die Hastors 100 Millionen Euro in Alno.
Doch die Retter fühlten sich von den zu Rettenden über den Tisch gezogen. Tahoe warf Müller und Demirtas vor, das Ausmaß der Krise verschwiegen zu haben – und setzte die alten Chefs vor die Tür. Diese reagierten, gründeten die Holding First Epa, kauften Forderungen von Alno auf, um Einfluss zurückzugewinnen.
Das Argument von Müller und Demirtas: Ein Möbelunternehmen könne man nicht mit den Brachialmethoden der Automobilindustrie führen, die Zulieferer auspresst und die Lagerbestände runterfährt. Der Streit eskalierte – und führte Alno zuerst in die Insolvenz und nun in den Ruin.
First Epa äußerste sich nicht zum Ende von Alno. Tahoe dagegen griff Müller und Demirtas noch einmal direkt an. „Das jahrelange Missmanagement und die Machenschaften des früheren Vorstandes hatten die Substanz des Unternehmens zu stark aufgezehrt. Unser Einstieg konnte das Unternehmen nicht mehr retten“, sagte ein Sprecher der „Schwäbischen Zeitung“. Man werde aber Schritte einleiten, „damit diejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die sich jahrelang auf Kosten des Unternehmens und seiner Beschäftigten Vorteile verschafft haben.“
Ein Streit, der Max noch fassungsloser macht. Er hat sich reingehängt, geschafft, gemacht. Nun ist alles aus. Und über ein erstes Angebot des Arbeitsamts lacht er verächtlich. „Ein Job, der 80 Kilometer weit weg ist. Toll“, sagt er. „Sie haben gesagt, ich sei ja noch jung und habe ein Auto.“Es ist das Auto, in dem der Kasten mit dem Oettinger steht.
Wie die Betroffenen in Pfullendorf auf das Aus von Alno reagiert haben, sehen Sie in einer Videoreportage unter der Adresse www.schwäbische.de/alno-aus
„Es ist eine Tragödie und so bitter für die Mitarbeiter.“Michael Föst, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Albstadt