Schwäbische Zeitung (Biberach)
Müller wünscht sich Seehofer in Berlin
Warum Minister Müller gerne Horst Seehofer in Berlin hätte und er das Scheitern von Jamaika bedauert
BERLIN (sal) – Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hätte seinen Parteichef Horst Seehofer gerne weiter als CSU-Vorsitzenden, der dann aber nach Berlin geht. „Ja, das wäre gut für Bayern und für den Bund“, sagte Müller der „Schwäbischen Zeitung“. „Horst Seehofer hat hochkompetent mit der Kanzlerin verhandelt. Seine Erfahrung ist äußerst wertvoll, um die Situation in Berlin zu stabilisieren“, sagte Müller. „Vielleicht übernimmt Horst Seehofer ja in Berlin ein Amt.“
BERLIN - Entwicklungsminister Gerd Müller hatte auf Jamaika gehofft, jetzt hofft er, „dass die SPD sagt: Jetzt ist eine andere Situation gekommen, wir übernehmen Verantwortung“. Sabine Lennartz und Hendrik Groth sprachen mit dem CSU-Politiker über das geplatzte Bündnis, den Zustand seiner Partei und die Flüchtlingsfrage.
Jamaika ist gescheitert, tut Ihnen das leid?
Ja, denn das wäre ein neuer Aufbruch gewesen, der Deutschland gutgetan hätte. Jeder musste sich bewegen, und wir kamen zu überraschenden, interessanten Ergebnissen. So hat jeder Partner ein Kernthema durchgesetzt und die anderen dafür gewonnen. Die FDP die Abschaffung des Solis zu 75 Prozent in dieser Legislaturperiode. Wir hätten ein Familienpaket mit zehn Milliarden Euro bekommen, mit der Erhöhung des Kindergeldes, Einführung eines Baukindergeldes, mehr Pflegekräften, besserer Bezahlung. Die Grünen haben sich erfolgreich beim Klimaschutz durchgesetzt mit deutlichen Fortschritten beim Kohleausstieg, und mit FDP und Grünen konnten wir uns auf die Begrenzung der Zuwanderung mit der CSU-Obergrenze von 200 000 einigen. Das hätte vor vier Wochen niemand für möglich gehalten, dass diese vier Parteien sich sowohl bei der Zuwanderung als auch beim Familiennachzug und der Abschaffung des Solis auf tragfähige Kompromisse verständigen.
Und warum ist es dann schiefgegangen?
Ich weiß nicht, warum die FDP fünf vor zwölf aus der Tür geht. Das war eine Flucht aus der Verantwortung. Wer sich wählen lässt, muss auch den Willen haben zu regieren. Wir haben jetzt die besondere Situation, dass von sechs Fraktionen vier nicht regierungsfähig oder -willig sind.
Herr Müller, was wäre Ihnen denn am liebsten? Neuwahl, Minderheitsregierung oder Große Koalition?
Es geht nicht um am liebsten, es geht um Stabilität für die Zukunft Deutschlands. Wir sind in einer schwierigen Lage. Eine Minderheitsregierung bietet für ein Land wie Deutschland keine Stabilität, wir brauchen in Europa eine außenpolitisch handlungsfähige Kanzlerin, die sich nicht erst bei jeder Entscheidung eine Mehrheit im Bundestag suchen kann. Wir können auch nicht so lange wählen, bis uns das Ergebnis passt. Ich hoffe deshalb, dass die SPD sagt: Jetzt ist eine andere Situation gekommen, wir übernehmen Verantwortung. Das ist kein Umfallen und kein Wortbruch.
Seit Wochen steht Horst Seehofer parteiintern unter Beschuss. Doch er verzögert eine Entscheidung. Tut das der CSU gut?
Wichtig sind Geschlossenheit und eine einvernehmliche Lösung. Bis zum 4. Dezember werden wir die Personalfragen geklärt haben.
Trotzdem bleibt der Eindruck, dass Horst Seehofer nicht loslassen kann. Meinen Sie, man könnte noch einmal mit Seehofer, den laut Umfragen 75 Prozent der Menschen nicht mehr für den richtigen Ministerpräsidenten halten, gewinnen?
Horst Seehofer hat hochkompetent mit der Kanzlerin verhandelt. Seine Erfahrung ist äußerst wertvoll, um die Situation in Berlin zu stabilisieren.
Geht im Ernst in Ihrer Partei noch jemand davon aus, dass man in Bayern auch künftig alleine regieren kann?
Das ist unser Ziel. Die Situation und die Verhältnisse in Berlin fordern
geradezu eine starke CSU in Bayern als Korrektiv. Die CSU ist eine bayerische Partei mit bundespolitischem Gestaltungsanspruch. Die junge Generation muss sich aber stärker in der Politik wiederfinden.
Wo wollen Sie die Kanzlerin denn noch korrigieren?
Die CSU geht vom Menschen aus, wenn sie ihre Inhalte festlegt, zum Beispiel eine ganz starke Familienkomponente oder die Weiterentwicklung des Sozialstaats.
Kann die CSU stärker werden durch eine Zweiteilung von Ministerpräsidentenamt und Vorsitz?
Mit den richtigen Leuten an der Spitze, die sich gegenseitig ergänzen, kann das funktionieren. Das hat in der Vergangenheit schon geklappt, beispielsweise mit Goppel und Strauß, Streibl und Waigel.
Können Sie sich vorstellen, dass Horst Seehofer und Markus Söder gut miteinander arbeiten?
Vielleicht übernimmt Horst Seehofer ja in Berlin ein Amt. Ich kann mir das gut vorstellen, er hat sich in den Sondierungsrunden glänzend geschlagen. Er ist der Experte, der alle Dossiers im Kopf hat.
Sie fänden es gut, wenn Seehofer CSU-Vorsitzender bleibt und nach Berlin geht?
Ja. das wäre gut für Bayern und für den Bund.
Nun ist Markus Söder der Liebling der Landtagsfraktion, aber nicht unbedingt der Favorit der CSULandesgruppe.
Markus Söder hat als Finanzminister eine gute Arbeit geleistet und ist eine starke Persönlichkeit in der Landtagsfraktion, die ihm das Vertrauen aussprechen muss.
Möchten Sie selbst gerne weiter mitgestalten als Entwicklungsminister?
Wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt: ja, gerne. Ich möchte weiterführen, was ich in den letzten Jahren begonnen habe.
Sie sind der Minister, der dafür zuständig ist, Fluchtursachen zu bekämpfen. Wo ist für Sie zurzeit der stärkste Ansatzpunkt?
Die Parteien müssen verstehen, dass Entwicklungspolitik mehr ist als akute Krisenbewältigung, das habe ich in den Sondierungsverhandlungen auch noch einmal klargemacht. Wir sind nicht die Feuerwehr, wenn es gerade brennt. Entwicklungspolitik ist entscheidend und braucht künftig einen ganz anderen Stellenwert, um Krisen, Kriege, Hunger und Not zu bewältigen.
Zurzeit sind die Flüchtlingszahlen relativ niedrig. Meinen Sie, das bleibt so, oder befürchten Sie in Kürze einen neuen Anstieg?
Wir können die Probleme nicht durch die Aufnahme von Flüchtlingen lösen, wir müssen wesentlich mehr zur Lösung in den Herkunftsländern beitragen. Da geschieht zu wenig. Wir brauchen eine europäische Afrika-Politik die sich auf die Überwindung von Fluchtursachen konzentriert mit einem klaren Fokus auf Jugend und Beschäftigung.
Norbert Blüm hat gerade die christlichen Parteien aufgefordert, ihr Familienbild auch in der Flüchtlingspolitik umzusetzen. Was sagen Sie dazu?
Wir hatten ja eine Härtefallregelung beim Familiennachzug vereinbart. Die Hälfte der bei uns angekommenen Flüchtlinge sind zudem junge Männer, keine Familienväter. Dieses Thema darf man aber nicht nur in eine Richtung denken. Der Irak ist vom IS weitgehend befreit, hierhin können Familien zurückkehren. Ich schlage ein Infrastruktur- und Ausbildungsprogramm für syrische und irakische Flüchtlinge in Deutschland vor, um die Rückkehr in befriedete Gebiete zu ermöglichen. Das muss attraktiv gestaltet sein. Im Nachgang des Jugoslawienkriegs hat die freiwillige Rückkehr auch funktioniert.