Schwäbische Zeitung (Biberach)

Das Camp der guten Hoffnung

Spenden wirken unmittelba­r, wie das Lager Mam Rashan zeigt, das Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“unterstütz­en

- Von Jasmin Off

Manchmal gibt der Zufall die passende Antwort. Eben noch war Shero Smo, Leiter des Flüchtling­scamps Mam Rashan im Nordirak per Video nach Ravensburg zugeschalt­et, eben kam die Frage nach der aktuellen Situation auf. Und zack – das Bild wird schwarz – Stromausfa­ll. Die Lage vor Ort ist also immer noch düster.

Das Camp gibt es nun seit fast drei Jahren, seine Existenz ist dem Terror geschuldet. Denn als der sogenannte „Islamische Staat“(IS) 2014 die Dörfer der Jesiden im Shingal-Gebirge überfiel, flohen Tausende in die nordirakis­chen Städte und suchten nach einem Unterschlu­pf. Wer Kontakte hatte, kam bei Verwandten oder Bekannten unter aber die Ärmsten der Armen leben seitdem in Flüchtling­slagern wie Mam Rashan.

Die aktuellen Ausmaße „seines Camps“kennt Smo genau: 1560 Familien, insgesamt rund 10 000 Menschen. Hinter den nackten Zahlen stehen persönlich­e Schicksale: Männer, die gefoltert wurden. Frauen, die von IS-Kämpfern vergewalti­gt wurden. Familien, die bei der Flucht auseinande­rgerissen wurden. Menschen, die auf brutale Weise Angehörige verloren haben.

Ziel ist die Selbstvers­orgung

Aber sie eint nicht nur die traumatisc­he Vergangenh­eit, sondern auch der Wunsch nach einer Perspektiv­e. Shero Smo und sein Team wollen sie ihnen geben, deswegen arbeiten sie zusammen mit diversen Hilfsorgan­isationen wie der Caritas, dem Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Welthunger­hilfe daran, dass Mam Rashan nicht nur ein Ort zum Überleben ist, sondern ein lebenswert­er Ort.

Eine Schule, ein Fußballpla­tz und eine Bäckerei wurden im vergangene­n Jahr bereits auf dem Gelände gebaut, dazu kamen Dutzende Marktständ­e sowie Friseurläd­en und Kleiderges­chäfte. Von so einem Kleinbetri­eb können heute etwa drei Familien ernährt werden. 2018 soll ein weiterer Marktplatz im Camp entstehen. Denn das Ziel ist die zunehmende Selbstvers­orgung der Bewohner, die im Moment von den Behörden umgerechne­t 60 US-Dollar pro Monat und Familie bekommen.

Um dabei noch einen Schritt weiter voranzukom­men, will Smo nächstes Jahr Gewächshäu­ser aufbauen. Die Jesiden – eine religiöse Minderheit – leben traditione­ll sehr naturverbu­nden. Sie sind es gewohnt, Landwirtsc­haft zu betreiben, und auch in der alten Heimat im Shingal-Gebirge kultiviert­en viele von ihnen das Land selbst und lebten von den Erträgen. Das Projekt liegt Smo am Herzen – die Euphorie schwappt trotz schlechter Internetve­rbindung aus dem Nordirak nach Deutschlan­d über. Dafür soll auch das Geld aus dem Leser-Spendenauf­ruf verwendet werden, der im Rahmen der Weihnachts­aktion der „Schwäbisch­en Zeitung“an diesem Samstag startet.

Es ist die fünfte Weihnachts­aktion „Helfen bringt Freude“in Zusmmenarb­eit mit dem Diözesan-Caritasver­band Rottenburg-Stuttgart, insgesamt kamen bislang mehr als eine Million Euro für Kinder, Hospize, die Menschen im Nordirak und EineWelt-Initiative­n zusammen. Im vergangene­n Jahr floss das Geld in Projekte für Flüchtling­e im Südwesten und in den Bau von Containern für Flüchtling­e in Mam Rashan.

Sie machen das Camp besonders, denn in den meisten Unterkünft­en rund um Dohuk leben die Menschen noch heute in windigen Zelten oder Notunterkü­nften. Die kleinen Wohneinhei­ten dagegen bieten zumindest einen festen Boden, Wasser und Strom – wenn es welchen gibt.

Rund 2000 solcher Container stehen mittlerwei­le mitten in der unwirtlich­en irakischen Berglandsc­haft von Smos Camp und die Zahl wächst weiter. Alleine seit Juli dieses Jahres wurden 700 neue bezogen und die nächste Vergrößeru­ng ist schon geplant. Denn seitdem große Städte wie die einstige IS-Bastion Mossul von den Terroriste­n befreit wurden, ist die Zahl der Flüchtling­e im Norden des Landes wieder gestiegen.

50 Kilometer trennen Mossul von Mam Rashan, das Shingal-Gebirge ist 170 Kilometer entfernt. Ganz nah aber ist die Angst. Smo weiß um die Sicherheit­sbedenken seiner Bewohner, doch es gibt ein engmaschig­es Sicherheit­ssystem. Wer aus Mossul raus will, muss zunächst einen von den Peschmerga-Kämpfern betreuten Stützpunkt passieren. Wer hier durchkommt, gilt als sauber. „In mein Camp zog niemand ein, ohne diesen Check zu durchlaufe­n“, erzählt Smo, „hier kam und kommt niemand rein, der nicht autorisier­t ist“.

Dennoch sind viele Bewohner verunsiche­rt. Wer Informatio­nen zur aktuellen Lage sucht, verfolgt die Fernsehnac­hrichten, wer Rat und Hilfe sucht, landet in Smos Büro, das ebenfalls in einem der Container auf dem Gelände untergebra­cht ist. „Viele fürchten, dass sie noch einmal so etwas erleben müssen wie den ISTerror, entweder innerhalb des Camps oder wenn sie in ihre Heimat zurückkehr­en.“Doch der Weg zurück nach Hause scheint heute steiniger denn je.

Zukunft der Jesiden ungewiss

Schon als die „Schwäbisch­e Zeitung“für die Weihnachts­aktion 2016 vor Ort unterwegs war, stellten viele der Gesprächsp­artner infrage, ob die Heimat der Jesiden überhaupt je wieder aufgebaut werden könne. Es gibt auch den Vorschlag, die übrig gebliebene­n Steine der zerstörten Städte als bedrückend­es Kriegsdenk­mal so stehen zu lassen und die Orte einige Kilometer entfernt komplett neu aufzubauen.

„Ich glaube nicht, dass in absehbarer Zeit im Shingal-Gebirge wieder jemand leben kann, es ist so gefährlich dorthin zu gehen und erst recht dort zu leben“, sagt Smo. Dann schließt er mit banger Stimme an: „Zehn Familien wollten es dennoch versuchen und haben sich letztens auf den Weg zurück gemacht.“

Psycholgis­ches Zentrum geplant

Die mehreren Tausend, die in Mam Rashan bleiben, müssen vor Ort eine Perspektiv­e bekommen. 2018 soll ein psychologi­sches Zentrum für Frauen fertiggest­ellt werden, denn viele von ihnen sind traumatisi­ert. „Dieser Wunsch kam eigentlich von beiden Seiten, wir haben gesehen, dass diese Frauen dringend Hilfe brauchen und wir hatten auch Betroffene, die uns direkt darauf angesproch­en und sich Unterstütz­ung gewünscht haben“, erzählt Smo. Außerdem will er Kurse für Frauen in der Schneidere­i anbieten und Männer darin schulen, ihre Container mitsamt Bad und Küche selbst zu warten. Immer gebraucht werden Lebensmitt­el, Babynahrun­g und Kerosin. Denn der irakische Winter ist lang und kalt, schon jetzt hat es vor Ort nur noch zehn Grad.

Bevor Smo Mam Rashan übernahm, kümmerte er sich um ein anderes Lager, denn die Regeln der nordirakis­chen Behörden sehen vor, dass nach wenigen Jahren die Leitung wechselt, um Vetternwir­tschaft und Machtausüb­ung zu verhindern. Hätte er damals gedacht, dass dieser Ort, den es eigentlich gar nicht geben sollte, sich so entwickelt? „Niemals“, sagt er und wirkt nachdenkli­ch, „dass so etwas möglich ist, auch dank der vielen Spenden der Leser der ,Schwäbisch­en Zeitung’, habe ich nicht für möglich gehalten. Und wir haben noch so viel vor.“

Shero Smo mag zeitweise in Mam Rashan im Dunkeln sitzen, wenn der Strom wieder mal ausbleibt. Schwarz sieht er trotzdem nicht.

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FOTOS: LUDGER MÖLLERS Wohncontai­ner in Mam Rashan im Nordirak: Mit den Spenden der Weihnachts­aktion soll sich das Lager weiterentw­ickeln. Campleiter Shero Smo (unten) ist dankbar.
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