Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ausufernde Gewalt in Mexiko offenbart Mängel der Regierung

- Von Klaus Ehring feld, Mexiko-Stadt

Auch der Vize-Präsident des Fernsehsen­ders Televisa, Adolfo Lagos, ist zum Opfer geworden: Er wurde erschossen, als er gerade seine regelmäßig­e Radtour in einem Vorort von Mexiko-Stadt machte. Zwei Männer waren aus dem Gebüsch gesprungen und griffen den Medienmana­ger an. In der kleinen Gemeinde Hidalgotit­lán in Veracruz wurde der gewählte Bürgermeis­ter Santana Cruz ermordet, bevor er sein Amt überhaupt antreten konnte. Der Politiker wurde vor seinem Haus von einer Gruppe Pistoleros mit mehreren Schüssen hingericht­et.

Weite Teile von Mexiko versinken immer tiefer in Gewalt. Im Oktober registrier­te das Innenminis­terium 2764 Tötungsdel­ikte, so viel wie noch nie in einem Monat seit Beginn der Erhebung vor 20 Jahren. Alle 19 Minuten wird in dem lateinamer­ikanischen Land ein Mensch getötet. Die Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto schaut tatenlos zu.

Die Ursachen für die Gewaltexpl­osion seien vielfältig, sagt der Sicherheit­sexperte Alejandro Hope: „Das Auseinande­rbrechen des alles dominieren­den Sinaloa-Kartells, das Auftauchen neuer Mafia-Banden, eine deutlich gestiegene Nachfrage nach Heroin in den USA, aber auch die institutio­nelle Agonie und Unfähigkei­t des Staates.“Präsident Enrique Peña Nieto habe weder die Zahl der Polizisten aufgestock­t, noch die Reform der Staatsanwa­ltschaften umgesetzt. Auch die Regierungs­wechsel in vielen Bundesstaa­ten förderten die Gewalt, weil die alten Absprachen zwischen lokalen und regionalen Machthaber­n und der Organisier­ten Kriminalit­ät neu „ausgehande­lt“werden müssten, fügt Hope an.

2017 wird als das Jahr mit den meisten Mordopfern in die Geschichte des Landes eingehen. Im Moment liegt die tägliche Mordquote bei 76. „Am Ende des Jahres werden es 30 000 Mordopfer sein“, vermutet Sicherheit­sexperte Hope. „Für einen OECD-Staat und ein Land, das sich auf dem Sprung vom Schwellen- zum Industriel­and sieht, ist das natürlich untragbar. Aber die Regierung hat das Handtuch geworfen.“

Drogenkrie­g im Urlaubsgeb­iet

Eines hat sich im Lauf der Jahre gewandelt: „Die Gewalt ist verteilt auf das ganze Land und weniger fokussiert auf bestimmte Regionen“, erklärt Hope. „Zu Beginn des Jahrzehnts konzentrie­rten sich 15 Prozent aller Morde in Ciudad Juárez, der Grenzstadt zu den USA. Heute gibt es keinen Staat, der mehr als zehn Prozent der landesweit­en Morde auf sich vereint.“Anders gesagt: Es kann einen überall erwischen. Kürzlich erst rückte die Riviera Maya, Mexikos Haupturlau­bsziel in der Karibik, mit Exekutione­n und Schusswech­seln vor Einkaufsze­ntren in den Fokus.

Auch in Baja California Sur, Lieblingsz­iel der US-Touristen, sprengt die Gewalt jede Grenzen. Restaurant­s, Strände und selbst das Parkhaus der Staatsanwa­ltschaft waren schon Schauplatz von Schießerei­en. Meistens duellieren sich Mitglieder der Kartelle um die Vorherrsch­aft in dem Bundesstaa­t, der lange vom Drogenkrie­g verschont geblieben war. Inzwischen steht Baja California Sur aber im Zentrum des Mafiakonfl­ikts. Knapp 450 Morde gab es allein in den ersten neun Monaten des Jahres. Dabei sterben aber nicht nur die Killer der Kartelle. Immer öfter geraten Unbeteilig­te wie Kinder und Touristen ins Kreuzfeuer.

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