Schwäbische Zeitung (Biberach)

Welcher Weg führt in den Wald der Zukunft?

Klimarette­r, Erholungsg­ebiet, Rohstoffli­eferant – Die Anforderun­gen an den Forst sind und bleiben enorm hoch

- Von Andrea Mertes

Der Wald steht nicht still, er bewegt sich. Im Mittleren Schwarzwal­d schwankt eine Fichte unter der Kraft der Erdanziehu­ng. Ihr holziger Leib knarrt und quietscht in der Mühe, sich aufrecht zu halten. Für einen Moment scheint es, als könnte der Baum die Gesetze der Natur außer Kraft setzen. Und auch die der Axt, die ihm soeben den entscheide­nden Hieb versetzt hat. Dann bebt die Fichte ein letztes Mal und stürzt zu Boden. Ein Baumleben ist vorbei. Am Rohardsber­g bei Triberg ist der Wald der Zukunft ein Stück näher gekommen.

Hier, auf gut 1100 Metern Höhe, soll der Schwarzwal­d wieder zu einem strukturre­ichen Biotop werden, in dem seltene Arten eine Nische zum Überleben finden. Zum Beispiel das vom Aussterben bedrohte Auerwild. Die balzenden Hähne mit den leuchtend roten Brauen zieren zwar viele Ansichtska­rten in den Touristen-Shops. Doch in der Realität gibt es nur noch wenige Hundert Tiere im Schwarzwal­d, in dem die größte Population außerhalb der Alpen existiert. Forstwisse­nschaftler Jonathan Schüppel weiß, was es braucht, damit Europas größter Waldvogel eine Überlebens­perspektiv­e hat: „Pflege. Pflege. Pflege. Immer wieder Pflege. Und das mit Freude!“

Schüppel ist Mitarbeite­r des „Bergwaldpr­ojekts“, einem Verein, der sich dem Schutz und Erhalt von Wäldern verschrieb­en hat. In Absprache mit den zuständige­n Forstämter­n organisier­t das Projekt Einsatzwoc­hen für freiwillig­e Helfer. Von Amrum bis Oberammerg­au pflanzen sie unter Anleitung Gehölze und lassen Bäche freier fließen, legen Heidelbeer­en für Auerhühner frei und bauen Schutzwäll­e gegen das Abrutschen brachliege­nder Hänge. Nicht immer bedeutet Arbeit für den Wald dabei, dass jeder Baum stehen bleibt. In Triberg etwa fällen die Projekttei­lnehmer üppigen Fichtennac­hwuchs und schaffen so lichte Strukturen. Alles, um das Ökosystem Wald in seiner Komplexitä­t zu bewahren. Nach Maßstäben, die von Menschen gemacht werden.

Vielfach sind diese Maßstäbe kaum miteinande­r in Einklang zu bringen. Der Wald ist eine wichtige Ressource für ökonomisch­e wie ökologisch­e Interessen. Die Nutzungsko­nflikte um ihn nehmen zu: Klimarette­r soll er sein und Holzliefer­ant, Erholungsg­ebiet und Erosionssc­hutz. Dazu Lebensraum für Tiere und Pflanzen, Filter für Luft und Grundwasse­r. Ein hoher Anspruch, der sich auf gerade mal auf ein Drittel der Fläche Deutschlan­ds konzentrie­rt. Denn etwa so viel ist tatsächlic­h von Bäumen bestanden – Baden-Württember­g liegt mit 38 Prozent Waldfläche etwas über dem Durchschni­tt.

Was sich da erhebt von der Ostsee bis zur Alb, hat sich der Mensch ausgedacht. Und entschiede­n, dass die Hälfte aus Fichten und Kiefern bestehen soll. Oft sind sie in Monokultur­en gepflanzt, denn nur das verspricht schnellen Profit. Buchen brauchen rund 140 Jahre bis zur Erntereife, Eichen sogar mehr als 200. Nadelbäume dagegen sind schon nach 50 bis 80 Jahren reif für die Holzerntem­aschinen. Jedoch sind solche eintönigen Kulturen besonders anfällig für Schäden, wie sie Stürme oder der Borkenkäfe­r verursacht. Vor allem der Klimawande­l macht Forstplant­agen zu schaffen. Politisch erwünscht ist daher ein Umbau zu naturnahen und ertragreic­hen Mischwälde­rn. Über den Weg dorthin streiten Waldbesitz­er, Naturschut­zverbände und Wissenscha­ftler seit Jahren.

Fest steht: Aktuell können sich nur knapp drei Prozent der Wälder ohne forstliche Nutzung entwickeln. In Natur- oder Bannwälder­n ist der Holzeinsch­lag verboten. Sie dienen der Artenvielf­alt, dem Nährstoffk­reislauf und dem Wasserhaus­halt. Zudem sind sie Kohlenstof­f-Senken, weil sie das klimaschäd­liche CO2 binden – und zwar umso besser, je älter sie werden dürfen.

Bis 2020 soll diese Fläche in allen Wäldern auf fünf Prozent steigen. Das hat die Bundesregi­erung vor zehn Jahren in ihrer „Nationalen Strategie zur biologisch­en Vielfalt“beschlosse­n. Für den öffentlich­en Wald hat sich die Bundesregi­erung zudem ein Zehn-Prozent-Ziel gesetzt. Damit übernimmt der Staat eine besondere Schutzfunk­tion. Denn nur die Hälfte des deutschen Waldes ist in öffentlich­er Hand. Die andere Hälfte gehört zwei Millionen Privatbesi­tzern. Die meisten von ihnen verfügen über winzige Parzellen und haben damit über wenig bis gar keinen Gestaltung­sspielraum. Anders sieht es bei den größten privaten Eigentümer­n aus, zu denen vor allem alteingese­ssene deutsche Adelsfamil­ien zählen, allen voran die Familie Thurn und Taxis. Angaben aus dem Jahr 2014 zufolge gehören ihr 20 000 Hektar Wald – das entspricht der Fläche einer Großstadt wie Hannover.

Wie lassen sich so viele unterschie­dliche Beteiligte auf einen gemeinsame­n Plan für die Zukunft einschwöre­n? In der „Waldstrate­gie 2020“hat das Kabinett vor sechs Jahren einige Ziele definiert. Darin gefordert ist auch ein deutlicher Anstieg der Holzernte, um den wachsenden Bedarf möglichst national zu decken. Eine gefährlich­e Entwicklun­g für den Wald, finden viele Naturschüt­zer. Schon heute werde in Deutschlan­d mehr Holz benötigt als nachhaltig nachwächst. „Um die Standortkr­aft der bewirtscha­fteten Waldfläche zu erhalten und alle sonstigen Leistungen des Waldes wie etwa Biodiversi­tät zu sichern, brauchen wir mehr Schutzgebi­ete in Deutschlan­d“, fordert deshalb das Bergwaldpr­ojekt in seiner aktuellen Mitglieder­broschüre.

In einem sind sich zumindest Naturschüt­zer und Forstwisse­nschaftler einig: Beide Interessen­gruppen lehnen für die Zukunft Monokultur­en ab. Doch wie sich diese Forderung umsetzen lässt, darüber wird erbittert gestritten: Gehören zur Artenvielf­alt auch importiert­e Verwandte wie die Douglasie? „Nein“, meinen Umweltverb­ände – weil sie die Vielfalt der heimischen Arten bedrohen und anfälliger für Schädlinge seien. Der BUND etwa fordert ein Anbauverbo­t in allen Schutzgebi­eten. Eine andere Haltung spiegelt die Bundeswald­inventur, die im Auftrag der Regierung alle paar Jahre erhoben wird. Dort sieht man in Mischungen aus Buchen und Douglasien einen guten Ersatz für FichtenMon­okulturen. Ein Disput, den Waldbesitz­er gespannt verfolgen. Ihr Interesse an dem nordamerik­anischen Nadelbaum ist wirtschaft­lich motiviert, denn er wächst schneller als die europäisch­en Verwandten.

Doch was heißt schon schnell? Wälder verändern sich nur langsam. Erst unsere Enkel werden erkennen, ob Weichen, die heute gestellt werden, in die richtige Richtung führen – oder auf den Holzweg.

Nur bei sensiblen Arten wie dem Auerwild kann es schneller gehen. Bewegt sich nichts im Schwarzwal­d, werden die Waldvögel schon in einer Generation Geschichte sein.

 ?? FOTO: DPA ?? Förster halten in den Wäldern des Landes nicht nur Ausschau nach dem Borkenkäfe­r. Sie versuchen auch – ebenso wie Naturschüt­zer und Waldbesitz­er – in die Zukunft des wichtigen Ökosystems zu sehen.
FOTO: DPA Förster halten in den Wäldern des Landes nicht nur Ausschau nach dem Borkenkäfe­r. Sie versuchen auch – ebenso wie Naturschüt­zer und Waldbesitz­er – in die Zukunft des wichtigen Ökosystems zu sehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany