Schwäbische Zeitung (Biberach)
Andreas Reiner zeigt Trauer
Der Fotograf Andreas Reiner zeigt seine neue Ausstellung „Hinterblieben“in Galmutshöfen
GALMUTSHÖFEN (sz) - Die Trauer steht den Menschen ins Gesicht geschrieben: Andreas Reiner hat Menschen fotografiert, die einen Angehörigen oder Freund verloren haben. Seine Bilder mahnen dazu, offener auf Trauernde zuzugehen. Am morgigen Totensonntag ist Vernissage der Fotoausstellung „Hinterblieben“in WarthausenGalmutshöfen.
GALMUTSHÖFEN - Die Trauer steht den Menschen ins Gesicht geschrieben: Andreas Reiner hat Menschen fotografiert, die einen Angehörigen oder Freund verloren haben. Seine Bilder mahnen dazu, offen auf Trauernde zuzugehen. Am Totensonntag ist Vernissage der Ausstellung „Hinterblieben“in Warthausen-Galmutshöfen.
In manchen Momenten musste Andreas Reiner das Fotografieren unterbrechen. Der 49-Jährige konnte nicht mehr. Eine Frau erzählte ihm von ihrem Schicksal. „Da habe ich die Kamera weggelegt, ich habe die Frau in den Arm genommen und wir haben eine geraucht“, erzählt er.
Der Fotograf hat ein emotionales Mammutprogramm hinter sich: 14 Menschen haben ihn in den vergangenen Wochen auf seinem Bauernhof in Galmutshöfen besucht, um sich fotografieren zu lassen. An 14 Tagen hintereinander hörte Rainer von Schicksalsschlägen und menschlichen Tragödien. Von einer Mutter, die während ihrer zweiter Schwangerschaft ihren Mann verloren hat. Sie hat sich ablichten lassen mit ihren Kindern. Und einer Puppe, der sie den Namen „Papapuppe“gegeben haben, gebastelt aus der Kleidung des Vaters.
Reiner hörte auch von einer Frau, die nach dem Tod eines Angehörigen nie die Zeit fand, um zu trauern. „Sie hat immer weiter funktioniert“, erzählt er. Nach dem Fotografieren und dem Gespräch mit Andreas Reiner habe sie gespürt, dass sie sich verändern wollte, die Trauer zeigen. „Ich setzte jetzt nie wieder meine Maske auf“, habe sie ihm gesagt.
Die Menschen, die zu ihm gekommen sind, seien ganz unterschiedlich gewesen. Aber alle hätten eines gemeinsam gehabt: „Sie waren einfach nur traurig.“
Auf Facebook hatte Reiner zu dem Projekt aufgerufen, viele Betroffene antworteten ihm. Der Fotograf lud sie zu sich ein, nahm sich Zeit. Dabei sei die Leidensgeschichte zunächst zweitrangig gewesen. Reiner trank Kaffee mit ihnen, unterhielt sich, bis er das Gefühl hatte, jetzt sei der richtige Moment zum Fotografieren. Für ihn sei das Vertrauen der Menschen erstaunlich gewesen. „Warum haben die einem Wildfremden vertraut, der am Arsch der Welt wohnt, und Kühe
und Schweine im Stall hat?“, fragt er sich. Und kennt doch die Antwort: Weil er bekannt ist, auf Facebook hat er Tausende Fans. Eine andere Antwort ist: Der Tod und die Trauer sind Teil von Reiners Alltag geworden. Neben seiner Fotografie arbeitet er für einen Bestatter. Und er wurde früh selbst mit dem Thema konfrontiert. Als Jugendlicher hat er den Tod seines Vaters und den Selbstmord seiner Mutter miterleben müssen.
Vor allem aber kenne er viele Menschen, die selbst Angehörige verloren haben. „Manche halten sich danach bedeckt und gehen nur noch selten aus dem Haus.“Andere Betroffene hätten ihm erzählt, dass ihre Freunde von früher heute die Straßenseite wechseln.
Das hat Andreas Reiner umgetrieben. „Betroffene sind dann oft doppelt gestraft.“Er dachte sich: Es müsste doch möglich sein, dem Thema ein Gesicht oder am besten viele Gesichter zu geben. Damit war die Idee zum Projekt „Hinterblieben“
geboren. So wie er sich den Betroffenen genähert habe, so könnten es auch die Besucher tun: behutsam und mit Respekt.
Für die Fotos platzierte der Fotograf seine menschlichen Motive auf einer großen Couch. „Normalerweise warten die Leute beim Fotografen darauf, dass man sie anleitet“, sagt er. Er habe aber geschwiegen. Den Auslöser aber drückte er in den richtigen Momenten. „Die Leute sehen verloren aus.“Verlassen. Viele hätten dann von selbst begonnen, zu erzählen.
„Ich hab da nicht den Coolio gemacht“, sagt Andreas Reiner. „Manchmal habe ich genauso geplärrt wie die.“Jetzt sei er froh, dass die Arbeit getan sei. Der emotionale Höhepunkt aber steht für den Fotografen und seine Protagonisten noch bevor: die Vernissage am Sonntag, 26. November. „Der Sonntag wird mit Sicherheit nicht lustig.“Reiner hat die Fotos auf hölzernen Staffeleien ausgestellt, auf denen früher Heu
„Manchmal habe ich genauso geplärrt wie sie.“Der Fotograf Andreas Reiner über seine trauernden Protagonisten
getrocknet wurde. Der Ausstellungsraum befindet sich auf einem Heuboden über dem Stall.
Reiner hätte ein glanzvolleres Ambiente bekommen. Vielleicht eine Kunstgalerie, ein Museum, das Foyer im Landratsamt. „Da hätten die Besucher mit High Heels reingehen können, sich verkleiden, nebenher klassische Musik hören, sich bespaßen lassen“, meint Reiner. Für ihn wäre das furchtbar gewesen, furchtbar unpassend. Der Rahmen für seine Ausstellung soll minimalistisch sein, nichts von den Porträts ablenken, von der schlichten, eindringlichen Konfrontation. Es scheint, als wünschen sich der Fotograf und die Protagonisten nichts mehr als das.
Ein Video von der Ausstellung finden Sie unter: www.schäbische.de/ trauerfotos
Die Vernissage beginnt am Sonntag, 26. November, um 11 Uhr in Galmutshöfen 28. Noch bis zum Sonntag, 3. Dezember, ist die Ausstellung zu sehen, täglich von 16 bis 20 Uhr. Der Eintritt ist frei.