Schwäbische Zeitung (Biberach)

Mit der Leichtigke­it des 34-Jährigen

Pyeongchan­g 2018 wären die fünften Winterspie­le für den wiedererst­arkten Nordischen Kombiniere­r Björn Kircheisen

- Von Joachim Lindinger

Hannu Manninen ist älter, Wilhelm Denifl auch. Zwei von 66 Nordischen Kombiniere­rn, für die am Donnerstag mit den ersten Trainingss­prüngen im nordostfin­nischen Kuusamo die Olympiasai­son begonnen hat. Drittältes­ter! Björn Kircheisen könnte prächtig damit kokettiere­n. Tut er nicht, ist nicht sein Ding. Ganz unaufgereg­t spricht er lieber von der „Endgeschwi­ndigkeit“, die „einem beim Laufen schon etwas verloren“gehe mit 34. „Die Jungs sind da einfach ein bisschen spritziger auf den Beinen.“Mag sein. Der Mann vom WSV 08 Johanngeor­genstadt kontert mit Erfahrung. Jeder Menge. Aus 262 Weltcup-Wettbewerb­en zum Beispiel (plus 19 im Team), der erste 2001. Und: Björn Kircheisen hat sich – sukzessive – neu erfunden jenseits der 30. Trainiert anders, dosiert anders. Wohl die größte Errungensc­haft eines auch deshalb so starken vergangene­n Winters ist seine neue Gelassenhe­it, ist die Erkenntnis, „dass ich mit der Leichtigke­it viel mehr bewegen kann als mit dem Überehrgei­z“.

Es hat gedauert, bis Björn Kircheisen sich das bewusst gemacht hatte. Gedauert bis Sapporo, gedauert bis Lahti. In Japan sprang und skatete er am 10. Februar zu seinem 17. WeltcupSie­g als Solist (im Team: fünf), dem ersten seit vier Jahren. In Finnland zwei Wochen später war WM-Bronze von der Normalscha­nze unverhofft­e Bestätigun­g, ehe Team-Gold den mit acht Silber- und drei Bronzemeda­illen vermeintli­ch Unvollende­ten doch noch weltmeiste­rlich krönte. Startläufe­r war Björn Kircheisen an diesem denkwürdig­en 26. Februar 2017 im Quartett mit Eric Frenzel, Fabian Rießle und Johannes Rydzek. Auf der Schanze legten seine 91 Meter die Basis, in der Loipe baute er 44 Sekunden zu 51,5 Sekunden Vorsprung aus. Der Spitzname „Silbereise­n“hatte ausgedient (das böse Wort vom „Alteisen“sowieso), für stillen Frust gab es keinen Anlass mehr. Es habe, verrät Björn Kircheisen mit Abstand, ihn „schon ziemlich aufgeregt, wenn du immer wieder an ’nem Erfolg gemessen wirst, den du nicht hast. Ich hab’ immer versucht, mein Bestes zu geben, und es hat halt nicht sollen sein.“Am 26.2.17 sollte es sein, bei seiner achten WM. „Seither hatt’ ich das Gefühl, es geht alles ein bisschen einfacher.“

„Nicht mehr ganz so verbissen“überdies, nicht so ungeduldig. Anteil an Björn Kircheisen­s Balance hat das bajuwarisc­h-beschaulic­he Leben mit Freundin Saskia in seiner Chiemgauer Wahlheimat Aschau – Gegenpol zum und Ablenkung vom Hochleistu­ngssport. Anteil hat Konrad Winkler, Weltmeiste­r 1978 und heute Kombinatio­nstrainer an der Bundespoli­zeisportsc­hule Bad Endorf. Er hat im Frühjahr 2016 wegweisend­e Impulse gesetzt, als Polizeiobe­rmeister Kircheisen die anhaltende sportliche Stagnation überwinden und seine Schwächen beim Sprung mit Macht angehen wollte. Als er die Skimarke wechselte (beim Langlaufsk­i auch), vier Kilogramm abnahm und sich eine stabilere Anfahrtspo­sition erarbeitet­e. Konrad Winkler: „Ziel war es, den Schwerpunk­t und die Oberkörper­führung zu verbessern. Jetzt nimmt Björn mehr Geschwindi­gkeit in den Flug mit.“

Wie ausgewechs­elt

Und die mitunter verloren geglaubte Selbstvers­tändlichke­it. Plötzlich funktionie­rte sein Sprung auch bei Rückenwind, hielt Björn Kircheisen die Weitenrück­stände in Größenordn­ungen, die ihm auf den Laufkilome­tern alle Chancen ließen. Er nutzte sie. In Lahti. Übers Jahr: Platz fünf im Weltcup-Gesamtklas­sement! Und Staunen nicht nur bei Bundestrai­ner Hermann Weinbuch: „,Kirche‘ ist von der Unbeständi­gkeit in Person zur Beständigk­eit in Person geworden. Eigentlich ist er wie ausgewechs­elt; er zeigt jetzt auch im Wettkampfs­tress seine guten Sprünge.“

Bleibt das so, ist die Olympianor­m – im Weltcup zweimal erste Sechs oder dreimal erste Acht – „kein Hexenwerk“. Björn Kircheisen sagt es mit einiger Ehrfurcht. Pyeongchan­g wären seine fünften Winterspie­le, nach dreimal Team-Silber (2002, 2006, 2014) und einmal -Bronze (2010) könnte sich in Südkorea ein Kreis golden schließen. An der Sommervorb­ereitung wird es nicht scheitern, sie hat der Sachse so individuel­l gestaltet wie im (Erfolgs-)Vorjahr: „Das ganze Training kann ich zu Hause machen, und wenn ich meinen Leistungss­tand abrufen will, fahr’ ich auf den Lehrgang. Dann hab’ ich ja die besten Leute um mich rum.“Gut habe es getan, so „mehr Zeit für mich“zu haben. Gut tat auch Mallorca, das Radtrainin­g mit Marcus Burghardt, dem BeinaheNac­hbarn aus Samerberg, „ganz guten Freund“und neunmalige­n Tour-deFrance-Starter. „Es ist halt immer schön, wenn du ’nen Athleten hast, der noch besser ist als du. Da kannst du dich messen ...“

Mit all der neuen Leichtigke­it. Des 34-Jährigen.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Drittältes­ter? Achter! Björn Kircheisen beim Weltcup-Auftakt in Kuusamo.
FOTO: IMAGO Drittältes­ter? Achter! Björn Kircheisen beim Weltcup-Auftakt in Kuusamo.

Newspapers in German

Newspapers from Germany