Schwäbische Zeitung (Biberach)
14 Monate auf Bewährung für Lucias Vater
Missachtet er das Sorgerecht der Mutter und das Kontaktverbot gegenüber der Tochter, muss er in Haft
BIBERACH/ACHSTETTEN - Das Biberacher Amtsgericht hat den Vater der inzwischen siebenjährigen Lucia Meister aus Achstetten am Donnerstag wegen Kindesentziehung zu einer Haftstrafe von 14 Monaten auf Bewährung verurteilt. Der 35-jährige Ägypter zeigte sich geständig und gewillt, das alleinige Sorgerecht der Mutter anzuerkennen und bis auf Weiteres keinen Kontakt mehr zu seiner Tochter aufzunehmen. Das Gericht machte dies zur Auflage für die auf vier Jahre festgesetzte Bewährung. Verstößt er innerhalb dieses Zeitraums dagegen, muss er – abzüglich der verbüßten viermonatigen Untersuchungshaft – für zehn Monate ins Gefängnis.
Der Mann hatte seine Tochter nach einem zweiwöchigen Urlaub in seiner Heimat nicht, wie mit der Mutter verabredet, wieder nach Deutschland heimfliegen lassen, sondern das Mädchen von Juni 2016 bis Juli 2017 in Ägypten versteckt (die SZ berichtete). Er wollte damit erreichen, dass die Mutter, der gemeinsame Sohn und die Tochter zu ihm nach Ägypten ziehen. Nach 13monatiger, zermürbender Suche gelang es Elina Meister mithilfe von Polizei, Behörden und Anwälten, das Mädchen ausfindig zu machen und es am 26. Juli dieses Jahres nach Deutschland zurückzuholen. Der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Vater war mitgeflogen und am Flughafen verhaftet worden. Seither saß er in U-Haft, die nun mit sofortiger Wirkung aufgehoben wurde.
Ehe das Schöffengericht unter dem Vorsitz von Richter Ralf Bürglen zu einem Urteil kam, zog es sich kurz nach Verhandlungsbeginn zu einem eineinhalbstündigen Rechtsgespräch mit dem Angeklagten zurück. Dabei verständigte man sich auf ein Strafmaß zwischen zehn und 16 Monaten auf Bewährung – unter der Voraussetzung, dass der Angeklagte geständig ist, das alleinige Sorgerecht der Mutter für Lucia respektiert und sich an das vom Familiengericht verhängte Kontaktverbot gegenüber seiner Tochter hält. Verteidigerin Michaela Landgraf verlas eine Erklärung des 35-Jährigen, mit der er die Tat „voll und ganz“einräumte und die genannten Auflagen akzeptierte. Später sagte er: „Nur bei der Mutter kann sich ein Kind auch wohlfühlen.“
Lucia offenbar gut behandelt
Durch die Verständigung konnte der auf drei Tage angesetzte Prozess auf einen Tag verkürzt werden. Es mussten keine Zeugen aus Ägypten geladen werden, und auch Elina Meister blieb eine Aussage erspart. Als strafmildernd wertete das Gericht den Umstand, dass der Angeklagte nicht vorbestraft sei – und seine Tochter in Ägypten offenbar gut behandelt hatte. Dies ging aus einem Gutachten hervor, in dem Lucia den Aufenthalt an verschiedenen Orten – stets bei Verwandten ihres Vaters – als „überwiegend positiv“geschildert habe. Man habe Weihnachten, Ostern und auch ihren Geburtstag auf einem Schiff gefeiert und sie habe auch Geschenke bekommen.
Das Gutachten kam auch zu dem Schluss, dass Lucias körperliche und seelische Entwicklung in Ägypten keinen Schaden genommen und auch keine Gefahr in dieser Hinsicht bestanden habe. Dadurch, dass die Familie zuvor schon häufiger Urlaub in Ägypten gemacht habe, sei das Mädchen mit den kulturellen Gepflogenheiten und auch mit den Menschen, bei denen sie der Vater untergebracht habe, schon vertraut gewesen. Auch seit der Rückkehr nach Deutschland spreche nichts für traumatische Folgen: Die Leistungen in der Schule seien gut, das Kind sei altersgerecht entwickelt, fröhlich und unbeschwert.
„Das ist großes Glück“, gab Christina Seng-Roth, die Lucia Meister als Nebenklägerin vertrat, zu bedenken. Sie warf dem Angeklagten vor, seinen persönlichen Wunsch über das Sorgerecht der Mutter gestellt und deren Vertrauen missbraucht zu haben. „Die Qualen und Ängste der Mutter, die während der 13 Monate keinerlei Kontakt zu ihrer Tochter hatte“, müssten bei der Strafzumessung ebenfalls berücksichtigt werden, meinte Staatsanwältin Carolin Märkle. Sie forderte 16 Monate Haft und eine außergewöhnlich lange Bewährungszeit von vier Jahren, die Verteidigung beantragte zehn Monate Haft auf Bewährung.
Richter Bürglen verhängte schließlich ein Jahr und zwei Monate. Er schloss sich dem Antrag auf eine vierjährige Bewährung an, die mit den erwähnten Auflagen verknüpft sei – in der Hoffnung, die „Aussicht“auf eine Rückkehr ins Gefängnis sei angesichts der belastenden Erlebnisse in der U-Haft für den Angeklagten Ansporn genug, sich an die Auflagen zu halten. Die Geschichte sei „eine Katastrophe für beide Eltern“, sagte Bürglen in seinem Schlusswort. „Es müssen alle daran arbeiten und ich hoffe, dass in Zukunft mehr Rücksicht auf die Interessen des Kindes genommen wird.“