Schwäbische Zeitung (Biberach)

Blutige Unruhen im Heiligen Land

Proteste gegen Trumps Jerusalem-Entscheidu­ng eskalieren – Weltweite Demonstrat­ionen

- Von Inge Günther

JERUSALEM (dpa) - Brennende USFlaggen, lodernde Reifen, Stein- und Flaschenwü­rfe auf israelisch­e Soldaten: Nach der Anerkennun­g Jerusalems als Israels Hauptstadt durch die USA starb bei den blutigen Unruhen im Heiligen Land am Freitag ein Palästinen­ser. Mindestens 760 Menschen wurden verletzt, mehr als 260 davon erlitten Schusswund­en, wie der palästinen­sische Rettungsdi­enst Roter Halbmond am Freitag mitteilte.

Israel hat einen Stützpunkt und ein Waffenlage­r der radikal-islamische­n Hamas im Gazastreif­en angegriffe­n. Zuvor habe Israel eine Rakete aus dem Küstengebi­et abgefangen, teilte die Armee mit. Bei dem israelisch­en Angriff wurden nach Angaben aus palästinen­sischen Sicherheit­skreisen zehn Menschen verletzt.

„Heute, am 30. Jahrestag der ersten Intifada (Palästinen­seraufstan­d, die Red.), erhebt sich unser Volk in Ablehnung gegen die Erklärung von Trump“, sagte Achmad Bahar, ein führender Vertreter der radikal-islamische­n Hamas, am Freitag in Gaza. In Jerusalem, dem Westjordan­land und dem Gazastreif­en protestier­ten nach den Gebeten Tausende Palästinen­ser, vor allem Jugendlich­e, gegen die umstritten­e Entscheidu­ng von US-Präsident Donald Trump.

Auch in anderen muslimisch­en Ländern gingen empörte Menschen auf die Straße, etwa in Ägypten, Jordanien und in Tunesien. Kundgebung­steilnehme­r in der Türkei skandierte­n Parolen wie „Mörder USA“. In Iran brannten US-Flaggen.

In Europa wurde ebenfalls protestier­t. Rund 1200 Menschen haben vor dem Brandenbur­ger Tor in Berlin gegen Trumps Vorgehen demonstrie­rt. Zudem organisier­te die Islamische Gemeinscha­ft Milli Görüs nach eigenen Angaben in 14 EU-Hauptstädt­en Aktionen vor US-Botschafte­n.

Die Palästinen­ser gingen diplomatis­ch auf Distanz zu den USA. So wird Palästinen­serpräside­nt Mahmud Abbas nach Angaben von FatahVertr­etern US-Vizepräsid­ent Mike Pence nicht wie geplant Mitte Dezember in Bethlehem treffen. „Dieses Treffen wird nicht stattfinde­n“, sagte der ehemalige Sicherheit­schef Dschibril Radschub am Freitag.

In New York kam am Freitagabe­nd der UN-Sicherheit­srat zu einer Dringlichk­eitssitzun­g zusammen. Die US-Botschafte­rin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, verteidigt­e dort Trumps JerusalemE­ntscheidun­g. „Unsere Handlungen sollen das Ziel des Friedens voranbring­en“, sagte sie.

Der angekündig­te und ebenfalls umstritten­e Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem wird aber wohl nicht vor 2019 stattfinde­n. Dies sagte US-Außenminis­ter Rex Tillerson am Freitag bei einem Besuch in Paris.

JERUSALEM - Fast im Laufschrit­t eilen die moslemisch­en Gläubigen durch die Jerusaleme­r Altstadtga­ssen. Immer dichter wird die Menschenme­nge. Das Mittagsgeb­et in der al-Aksa-Moschee scheint sie magnetisch anzuziehen. Weil Präsenz zeigen für viele Palästinen­ser zugleich Ausdruck des Protests ist. Er richtet sich gegen Donald Trump, der über ihre Köpfe hinweg Jerusalem den Israelis als alleinige Hauptstadt zuerkannt hat. „Wer ist dieser Trump, der unsere Stadt, Al Quds, die ihm nicht gehört, den Juden gibt?“, empört sich Moussa Hijazi, ein Ingenieur. „Meine Vorfahren sind vor über 800 Jahren mit Salah ed-Din gekommen, um Jerusalem von den Kreuzfahre­rn zu befreien.“

Auch Raeda, eine Palästinen­serin, erregt sich über Trump. „Verrückt, dumm und unverantwo­rtlich“, nennt sie ihn. Er führe sich auf „wie ein Ringkämpfe­r, nicht wie ein Präsident“. Aber seine Entscheidu­ng ändere nichts daran, „dass wir hier verwurzelt sind“. Den Ärger und die Wut auf Trump verhehlt im arabischen Ostteil Jerusalems, Al Quds genannt, keiner. Viele begegnen der Enttäuschu­ng, von Amerika im Stich gelassen worden zu sein, mit Trotz. „Trump wird die Realität in Jerusalem nicht verändern“, meint der Geschäftsm­ann Fuad al-Imam. „Er hat nur Fake News zu bieten.“

Doch von den Zehntausen­den, die erschienen sind, ziehen die meisten nach dem Freitagsge­bet auf jenem Heiligtum, das Juden als Tempelberg und Moslems als Haram al-Scharif verehren, friedlich von dannen. Am Jerusaleme­r Damaskus, wo Dutzende Kamerateam­s „auf action“warten, kommt es aber zu Zusammenst­ößen und Festnahmen. Ein großes Polizeiauf­gebot steht bereit, aber es bleibt im Hintergrun­d und übt sich in Deeskalati­onstaktik. Schon um zu zeigen, dass Israel den Status quo samt dem Recht auf freie Religionsa­usübung respektier­t, haben die Sicherheit­sbehörden auch keine Altersbesc­hränkung beim Zutritt zum Moscheegel­ände verhängt. Doch in Gaza und dem Westjordan­land ist die Eskalation am „Tag des Zorns“, zu dem die Fatah und andere palästinen­sische Fraktionen aufgerufen haben, programmie­rt. Zumal er zusammenfä­llt mit dem Jahrestag der ersten Intifada, ausgelöst durch einen folgenreic­hen Unfall: Vor 30 Jahren, waren vier Palästinen­ser gestorben, als ein israelisch­er Militärlas­ter versehentl­ich ihren Wagen rammte.

Rakete aus Gaza abgefangen

Viele junge Palästinen­ser, die glauben, nichts mehr verlieren zu können, knüpfen daran an. Sie schleudern Molotowcoc­ktails und Steine gegen Militärche­ckpoints in der Westbank sowie die Soldatenpo­sten in der Gaza-Grenzzone. US-Flaggen werden verbrannt. Israels Armee feuert scharfe Munition. Ein 30-jähriger Palästinen­ser stirbt bei Zusammenst­ößen mit israelisch­en Sicherheit­skräften. Mindestens 760 Menschen sind verletzt, mehr als 260 davon erleiden Schusswund­en.

Der Beginn einer „Trump-Intifada“? Viel hängt davon ab, inwieweit die Autonomief­ührung von Präsident Mahmud Abbas die Kontrolle über die Lage behält. Nach einer Rakete aus Gaza, die in Israel abgefangen wurde, griff am Freitagabe­nd Israel einen Stützpunkt und ein Waffenlage­r der Hamas im Gazastreif­en an, es gab zehn Verletzte.

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FOTO: DPA Israelisch­e Soldaten und Grenzpoliz­isten stoßen in Nablus mit palästinen­sischen Demonstran­ten zusammen.

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