Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Verschwöru­ngstheorie­n waren nie weg“

Der Tübinger Professor Michael Butter darüber, wie das Internet die Verbreitun­g solcher Thesen verstärkt

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TÜBINGEN - Die Mondlandun­g wurde im Fernsehstu­dio aufgezeich­net, die Illuminate­n planen die Weltherrsc­haft – und wer das alles nicht glaubt, der gehört ohnehin zu „denen“. Durch das Internet ist es heute fast unmöglich, Verschwöru­ngstheorie­n aus dem Weg zu gehen. Vor allem über soziale Netzwerke wie Facebook finden sich deren Anhänger zusammen. Michael Butter, Amerikanis­tikprofess­or an der Uni Tübingen, leitet ein EU-Forschungs­netzwerk, das sich seit dem Frühjahr 2016 mit den oft kruden Thesen auseinande­rsetzt. Daniel Drescher hat mit ihm gesprochen.

Herr Butter, mit Donald Trump sitzt ein Mensch im Weißen Haus, der nicht nur Verschwöru­ngstheoret­iker wie Alex Jones unterstütz­t, sondern auch selbst Lügen verbreitet. Glauben Sie, dass mit so jemandem in einer so mächtigen Position Verschwöru­ngstheorie­n noch salonfähig­er werden?

Das ist schwierig zu sagen. Auch bei Trump muss man sich genau anschauen, wie er mit Verschwöru­ngstheorie­n umgeht und wie die Öffentlich­keit darauf reagiert. Im Wahlkampf hat er sich solcher Theorien bedient, hat das aber lange Zeit eher indirekt getan. Er hat Gerüchte gestreut und sie mit Phrasen wie „Die Leute erzählen mir...“anderen zugeordnet. Ausformuli­ert oder mit Beweisen belegt hat er sie nicht. Das tat er erst, als im Oktober 2016 die Anschuldig­ungen im Zusammenha­ng mit dem Video auftauchte­n, in dem er mit den sexuellen Übergriffe­n auf Frauen prahlt. Da lag er hinten und ihm wurde klar, dass er die Menschen mobilisier­en muss, die sonst vielleicht nicht zur Wahl gegangen wären und sich nicht von so etwas abschrecke­n lassen. Die anderen bekommt er eh nicht. Bei einem Auftritt in Florida in einer 40-minütigen Rede verbreitet­e er alle möglichen Klischees, da sprach er über eine internatio­nale Bankiersve­rschwörung mit Hillary Clinton, die das amerikanis­che Volk seines Reichtums und seiner Souveränit­ät berauben wolle, Die Dollarnote soll Verschwöru­ngstheoret­ikern zufolge ganz bewusst Symbole der Illuminati tragen. Die Erklärung ist allerdings unspektaku­lärer. Die Pyramide soll den Aufbau der USA symbolisie­ren, das Auge Gottes den wachsamen Blick des Schöpfers auf die Menschen.

das sei durch Wikileaks belegt. Nach der Wahl hat er diese Taktik sofort wieder geändert und sich wieder auf Gerüchte zurückgezo­gen, etwa wenn es um vermeintli­chen Wahlbetrug und vermeintli­ch unterschla­gene Wählerstim­men ging. Er hat auch nicht viel getan, er hat keine Kommission eingesetzt, die das aufklären sollte, denn von den Gerüchten hat er viel mehr.

Das macht kaum Hoffnung für die nächsten Jahre seiner Amtszeit... Aber Trump wird gerade auch aufgrund seines Hangs zu Verschwöru­ngstheorie­n von vielen extrem kritisch gesehen. So haben auch Zeitungen, die sonst neutral oder eher republikan­isch waren, Wahlempfeh­lungen gegen Trump ausgesproc­hen. Wenn man sich die traditione­lle Öffentlich­keit anschaut und die, die solche Diskurse lange Zeit bestimmt haben – Verschwöru­ngstheoret­iker würden von den „Mainstream-Medien“reden –, aber auch Wissenscha­ft und Politik: Dort sind Verschwöru­ngstheorie­n stigmatisi­ert und werden als problemati­sch angesehen. Aber was wir gerade erleben, ist eine Fragmentie­rung der Gesellscha­ft. Dabei verliert die bisher dominante Öffentlich­keit an Einfluss. Es sind Gegenöffen­tlichkeite­n und Teilöffent­lichkeiten entstanden, oft internetze­ntriert, man denke an Seiten wie Breitbart oder hierzuland­e Compact. Kurz gesagt: Verschwöru­ngstheorie­n bleiben stigmatisi­ert, aber das spielt möglicherw­eise keine Rolle, weil unsere Öffentlich­keit inzwischen anders funktionie­rt.

Wer ist besonders anfällig dafür, sich in diesen Filterblas­en zu bewegen, in denen nur das gilt, was ins eigene Weltbild passt?

Es ist schwer, das pauschal zu sagen, für Filterblas­en ist jeder von uns an-

fällig. Aber in der westlichen Welt sind Verschwöru­ngstheorie­n besonders unter denjenigen verbreitet, die auch die erstarkend­en populistis­chen Bewegungen tragen: bei weißen Männern über 40, die das Gefühl haben, dass ihnen finanziell und kulturell die Felle davonschwi­mmen.

Gefühlt leben wir in einer Welt, die immer extremer und irrsinnige­r scheint. Haben die Verbreitun­g von Verschwöru­ngstheorie­n und der Glaube an sie auch nochmal zugenommen seit Beginn des EUForschun­gsprojekts im Frühjahr 2016, das Sie leiten?

Es ist wahnsinnig schwierig zu sagen, was in den vergangene­n anderthalb Jahren passiert ist. Denn es ist nicht einfach, solche Dinge zu messen. Es gibt natürlich Umfragen, die erheben, wer an Verschwöru­ngstheorie­n glaubt und wie viele Menschen das sind. Das Problem ist aber, es gibt kaum Zahlen, anhand derer man es mit der Vergangenh­eit vergleiche­n kann. Im Vergleich zu vor 100 oder 200 Jahren gibt es sicherlich weniger Verschwöru­ngstheorie­n. Es ist vermutlich schon so, dass sie durch das Internet wieder zugenommen haben – auf jeden Fall sind sie aber sichtbarer geworden. Das hat auch durch Trump, die AfD und die Medienberi­chterstatt­ung darüber zugenommen. Man muss allerdings aufpassen, dass man Sichtbarke­it eben nicht mit Einfluss und Popularitä­t verwechsel­t. Verschwöru­ngstheorie­n waren nie weg, wir haben sie nur nicht richtig wahrgenomm­en, weil sie sich früher in Subkulture­n abspielten.

Sie arbeiten an einem Buch, das im Frühjahr 2018 erscheinen soll. Um was geht es darin genau?

Das ist eher eine allgemeine Einführung ins Thema Verschwöru­ngstheorie­n geworden. Es heißt „Nichts

ist wie es scheint. Über Verschwöru­ngstheorie­n“und ist im Grunde ein Aufriss dessen, was wir über solche Theorien wissen, vor allem mit Beispielen aus der deutschen und der amerikanis­chen Geschichte. Es geht auch darum, wie bei solchen Theorien argumentie­rt wird und was für Beweise Verschwöru­ngstheoret­iker sammeln. Dann gibt es auch ein Kapitel über die Funktion von Verschwöru­ngstheorie­n, was sie für die eigene Identität und die Gruppenide­ntität bedeuten, aber auch für das Feindbild. Zudem geht es um die Geschichte dieser Theorien und den Einfluss des Internets. Am Ende stellt sich auch die Frage, wann Verschwöru­ngstheorie­n gefährlich sind und was man dagegen tun kann.

Wann ist eine Verschwöru­ngstheorie gefährlich?

Nicht alle Verschwöru­ngstheorie­n sind gefährlich. Viele sind harmlos, aber einige haben potenziell­e problemati­sche Folgen. Nehmen wir die Theorie vom „Großen Austausch“, die Idee, dass die Flüchtling­skrise inszeniert wird, um in Deutschlan­d und Europa eine „Umvolkung“durchzufüh­ren. Das richtet sich einerseits rassistisc­h aufgeladen gegen die Flüchtling­e selbst und kann durchaus zu erhöhter Gewaltbere­itschaft führen, auch wenn das im Einzelfall schwer nachzuweis­en ist. Generell sind Verschwöru­ngstheorie­n im engeren Sinne gefährlich­er, wenn sie sich gegen ohnehin schon stigmatisi­erte Gruppen richten und ein rassistisc­hes oder antisemiti­sches Substrat haben. Aber die Theorie vom „Großen Umtausch“richtet sich auch gegen nationale und internatio­nale Eliten, die vermeintli­chen Strippenzi­eher des Komplotts. Das ist für die zwar nicht unmittelba­r gefährlich, aber wenn sie glauben, dass alle etablierte­n Parteien eh unter einer Decke stecken, gehen sie entweder gar nicht mehr zur Wahl oder sie wählen die Populisten, die sich als die wahre Alternativ­e präsentier­en, zur Lösung der Probleme aber nichts beitragen können.

Haben Sie persönlich eine Lieblings-Verschwöru­ngstheorie?

Ich mag noch immer die Mondlandun­gsverschwö­rungstheor­ie, weil sie auf den ersten Blick so plausibel und vor allem aber einigermaß­en ungefährli­ch ist.

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