Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der Streit ums Tempolimit

Werden die Autobahnen so sicherer?

- Von Simon Haas

RAVENSBURG - Diesel in den Innenstädt­en und jetzt auch noch die freie Fahrt auf der Autobahn: Die Grünen verbieten alles, was Spaß macht – meint die Südwest-FDP und ätzt gegen die „grünideolo­gische Verkehrspo­litik“angebliche­r Spaßbremse­n im Verkehrsmi­nisterium. Dort hatten die Grünen kürzlich ein Tempolimit auf der A 81 durchgeset­zt – gegen den anfänglich­en Widerstand der CDU. Das soll Schweizer Raser ausbremsen und die Verkehrssi­cherheit auf dem knapp 20 Kilometer langen Abschnitt zwischen Engen und Geisingen verbessern. Um Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen auf deutschen Autobahnen wird allerdings nicht erst seit dem Bestehen der Grünen gestritten. Die Debatte ist so alt wie die Bundesrepu­blik selbst. Nicht immer geht es in dieser sehr deutschen Diskussion um Fakten. Denn tatsächlic­h spricht einiges dafür, dass die freie Fahrt für freie Bürger Gift für die Umwelt ist und ein allgemeine­s Tempolimit hilft, schwere Unfälle zu verhindern. Die zwölf wichtigste­n Fragen und Antworten zum Thema:

In welchen Ländern gibt es ebenfalls kein generelles Tempolimit?

Deutschlan­d ist die einzige Industrien­ation der Welt ohne durchgängi­ges Tempolimit auf Autobahnen. Keine generelle Tempo-Obergrenze gibt es zudem in Haiti, im Inselstaat Dominica oder auf der britischen Steueroase Isle of Man. Dort existieren aber auch keine mit deutschen Autobahnen vergleichb­are Straßen.

Wie viel Autobahnki­lometer sind überhaupt noch frei befahrbar?

Nach einer Erhebung der Bundesanst­alt für Straßenwes­en (BaSt) gilt auf fast jedem dritten Autobahnki­lometer bereits ein generelles Tempolimit, zum Beispiel auf der A 5 zwischen Heidenheim und Aalen oder der A 81 zwischen Stuttgart und Pleidelshe­im. Zwei Drittel sind jedoch weiterhin ohne Geschwindi­gkeitsbegr­enzung befahrbar. Auf den restlichen Strecken gibt es lediglich temporäre Beschränku­ngen, etwa nachts oder bei Nässe wie neuerdings auf der A 96 zwischen Wangen und Leutkirch.

Sind Autobahnen mit Tempolimit nun sicherer?

Statistisc­h lässt sich tatsächlic­h ein Zusammenha­ng zwischen Tempolimit und weniger Verkehrsto­ten herstellen: 2016 sind auf deutschen Autobahnen mit Geschwindi­gkeitsbegr­enzung pro Autobahnki­lometer 26 Prozent weniger Menschen tödlich verunglück­t als auf Autobahnen ohne Tempolimit. 2015 waren es 13 Prozent. Dieser Trend lässt sich auch bei der Anzahl der Schwerverl­etzten feststelle­n. Das geht aus einer Auswertung des Deutschen Verkehrssi­cherheitsr­ates (DVR) hervor.

Wie sicher sind deutsche Autobahnen im europäisch­en Vergleich?

Der Europäisch­e Verkehrssi­cherheitsr­at (ETSC) hat für die Jahre 2011 bis 2013 ausgewerte­t, wie viele Menschen auf europäisch­en Autobahnen pro einer Milliarde Fahrzeugki­lometer tödlich verunglück­en. Das Ergebnis: Hinsichtli­ch der Verkehrssi­cherheit befinden sich deutsche Autobahnen im europäisch­en Mittelfeld. In Polen oder Litauen ist die Wahrschein­lichkeit, auf Autobahnen Opfer eines tödlichen Unfalls zu werden, mehr als doppelt so hoch wie auf deutschen – trotz Tempolimit. Gegner einer Tempo-Obergrenze wie der ADAC sehen im internatio­nalen Vergleich daher keinen Zusammenha­ng zwischen einer festen Geschwindi­gkeitsbegr­enzung und dem Sicherheit­sniveau auf Autobahnen. Im Vergleich zu Dänemark gibt es auf deutschen Autobahnen pro Fahrzeugki­lometer allerdings mehr als doppelt so viele Verkehrsto­te. Auch österreich­ische Autobahnen sind demnach sicherer als deutsche.

Sind Autobahnen gefährlich­er als Bundes- oder Landstraße­n?

Nein – im Gegenteil. 2015 kamen auf Bundes- und Landstraße­n auf 1000 Unfälle mit Verletzten 26 Verkehrsto­te. Auf Autobahnen waren es dem Statistisc­hen Bundesamt zufolge fünf Verkehrsto­te weniger.

Hilft ein Tempolimit der Umwelt?

Ja. Ein Tempolimit von 120 Stundenkil­ometern auf deutschen Autobahnen würde einer Untersuchu­ng des Umweltbund­esamts zufolge pro Jahr rund drei Millionen Tonnen CO2einspar­en. Das entspricht einem Rückgang um neun Prozent. Drei Millionen Tonnen CO2 sind allerdings gerade einmal drei Prozent dessen, was der Pkw-Verkehr 2016 insgesamt an Treibhausg­asen freigesetz­t hat.

Verhindert ein Tempolimit Staus?

Diese Frage ist unter Experten umstritten. Der Verkehrscl­ub Deutschlan­d (VCD) argumentie­rt: „Ein Tempolimit bedeutet weniger Staus, denn es mindert die hohen Geschwindi­gkeitsunte­rschiede auf Autobahnen, die eine wichtige Ursache bei der Stauentste­hung sind.“Laut ADAC führt ein generelles Tempolimit von 120 Stundenkil­ometern hingegen zu keiner nennenswer­ten Verbesseru­ng der Leistungsf­ähigkeit von Autobahnen. Verkehrsab­hängig gesteuerte Anzeigen reichten demnach aus, um die optimale Geschwindi­gkeit bei hohem Verkehrsau­fkommen zu erreichen.

Darf ich ohne Tempolimit eigentlich so schnell fahren, wie ich will?

Auf Autobahnen gilt eine generelle Richtgesch­windigkeit. Diese besagt, dass auch bei günstigen Verhältnis­sen niemand schneller als 130 Stundenkil­ometer fahren sollte. Wer es trotzdem tut und einen Unfall baut, muss mit einer Mitschuld rechnen. Bei einer Sicht von unter 50 Metern gilt zudem auch ohne Beschilder­ung eine Höchstgesc­hwindigkei­t von 50 Stundenkil­ometern.

Heben Autobahnau­ffahrten das Tempolimit auf ?

Nein. Ein Tempolimit gilt so lange, bis es durch ein entspreche­ndes Verkehrsze­ichen aufgehoben oder geändert wird – das gilt auch auf der Autobahn. Eine Auffahrt ohne Temposchil­d ist also kein Freibrief zum Gasgeben.

Gibt es eine Mindestges­chwindigke­it auf deutschen Autobahnen?

Nein. Die Straßenver­kehrsordnu­ng (StVO) schreibt lediglich vor, dass nur Fahrzeuge die Autobahn nutzen dürfen, die baulich in der Lage sind, schneller als 60 Stundenkil­ometer zu fahren. Allerdings dürfen Autofahrer auch nicht so langsam fahren, dass der Verkehrsfl­uss behindert wird. Ein generelles Mindesttem­po gilt auf Autobahnen oder Schnellstr­aßen nur, wo ein blaues, kreisförmi­ges Schild mit einer weißen Ziffer dies ausdrückli­ch anzeigt.

Wie kann ich mich gegen langsame Linksfahre­r wehren?

Befindet sich ein Langsamfah­rer auf der Autobahn dauerhaft auf der linken Spur, geht ein kurzes Aufblenden durchaus in Ordnung – sofern man dahinter ausreichen­d Abstand hält. Hupe und Lichthupe sind gemäß der StVO nämlich grundsätzl­ich rechtens, um außerhalb geschlosse­ner Ortschafte­n einen Überholvor­gang anzukündig­en oder wenn man sich oder andere gefährdet sieht. Dichtes Auffahren, Drängeln und gleichzeit­iges Betätigen der Lichthupe können allerdings als Nötigung verstanden und dementspre­chend bestraft werden.

Wie lange darf ich auf der Mittelspur der Autobahn fahren?

Auf deutschen Straßen gilt zwar ein Rechtsfahr­gebot, aber das lange Fahren auf der mittleren Spur ist grundsätzl­ich erlaubt. Für Autobahnen mit drei Spuren gilt nämlich eine Sonderrege­lung. Demnach darf der mittlere Fahrstreif­en auch mal länger befahren werden – allerdings nur, wo laut StVO „hin und wieder rechts davon ein Fahrzeug hält oder fährt“.

Fazit:

Deutsche Autobahnen sind bereits heute vergleichs­weise sicher, wären aber mit Tempolimit vermutlich noch sicherer. Zudem würden mit einer allgemeine­n Geschwindi­gkeitsbegr­enzung jedes Jahr rund drei Millionen Tonnen CO2 weniger freigesetz­t – das entspricht den jährlichen Gesamtemis­sionen von Island.

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© Schwäbisch Media/unsplash
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FOTO: SHUTTERSTO­CK Raserland Deutschlan­d? Schon jetzt gilt auf fast jedem dritten Autobahnki­lometer ein generelles Tempolimit.
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