Schwäbische Zeitung (Biberach)

EU beharrt auf erster Brexit-Einigung

- Von Daniela Weingärtne­r, Brüssel

Zunächst sah alles danach aus, als würde der letzte EU-Gipfel des Jahres am heutigen Donnerstag eine Routineang­elegenheit. Vergangene­n Freitag war die britische Premiermin­isterin Theresa May zu einem Blitzbesuc­h nach Brüssel geeilt und hatte letzte Streitpunk­te in den Brexit-Verhandlun­gen ausgeräumt. Danach erklärte die EUKommissi­on, es seien nun ausreichen­de Fortschrit­te erreicht, um in die zweite Phase zu starten und darüber zu sprechen, wie eine Übergangsv­ereinbarun­g bis zum endgültige­n Austritt Großbritan­niens aus der EU aussehen könnte.

Dann aber ließ Brexit-Minister David Davis in einer Talkshow am Wochenende eine kleine Bombe platzen. Die von May eingeräumt­en Zugeständn­isse hinsichtli­ch der Schlussrec­hnung und des für Nordirland anvisierte­n Sonderstat­us seien nicht bindend. Sie stünden unter dem Vorbehalt, dass die EU nach der Trennung ein Handelsabk­ommen mit seinem Land schließe. Als sich die Worte bis Brüssel herumgespr­ochen hatten, schrillten dort die Alarmglock­en. Die EU-Regierunge­n schrieben verschärft­e Formulieru­ngen in den Entwurf ihrer Abschlusse­rklärung, und das EU-Parlament verabschie­dete eine Resolution, in der Davis sogar namentlich erwähnt wird – als einer, der das Vertrauens­verhältnis zwischen beiden Seiten torpediere.

Die Aufregung ist verständli­ch. Immer deutlicher schält sich heraus, dass die britische Regierung das kanadische Muster im Sinn hat, also eine Art Beta, wenn sie von den künftigen Beziehunge­n zur Europäisch­en Union spricht. Auch EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier erklärte kürzlich, wenn man alle roten Linien Londons berücksich­tige, dann lande man direkt bei Ceta, dem europäisch-kanadische­n Freihandel­sabkommen. Das aber ist bis heute nur in Teilen ratifizier­t, weil es über einige heikle Punkte wie die Schiedsger­ichtsbarke­it in Handelsstr­eitigkeite­n keine Einigung zwischen den Vertragspa­rtnern gibt. Außerdem haben mehrere Mitgliedsl­änder und Regionen Vorbehalte angemeldet, weil sie fürchten, es könnten durch Ceta minderwert­ige Lebensmitt­el auf den europäisch­en Markt gelangen.

Ärger hat May auch im britischen Parlament: Mit knapper Mehrheit votierten die Abgeordnet­en am Mittwochab­end für einen Gesetzeszu­satz, der dem Parlament eine Abstimmung über jegliche Brexit-Vereinbaru­ng mit der EU zusichert. Auch einige konservati­ve Abgeordnet­e stellten sich dabei gegen May. May ihre erste Niederlage im Parlament. Die britische Regierungs­chefin kommt damit weiter unter Druck, diesmal von der EU-freundlich­en Seite in ihrer Fraktion.

Streitpunk­t Migration

Neben dem Brexit-Streit droht auf dem EU-Gipfel auch beim Tagesordnu­ngspunkt Migration Ungemach. Ratspräsid­ent Donald Tusk hat im Einladungs­brief an die Gipfelteil­nehmer lapidar vermerkt, das von der EU-Kommission getestete System zur faireren Verteilung von Flüchtling­en habe sich nicht bewährt. Beim Abendessen wolle er deshalb Bilanz ziehen. Das könnte dem einen oder anderen sauer aufstoßen. Flüchtling­skommissar Dimitris Avramopoul­os jedenfalls geht die Sache so gegen den Strich, dass er bei einer Pressekonf­erenz in Straßburg erklärte, der Ratspräsid­ent überschrei­te mit dieser Bemerkung seine Kompetenze­n.

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