Schwäbische Zeitung (Biberach)
Stilllegen der Schweizer Atomkraftwerke wird teurer
Neue Berechnung für Abriss der Reaktoren und Entsorgung des Nuklearmülls kommt auf 23,5 Milliarden Franken
ST. GALLEN - Böse Überraschung für die Betreiber der fünf Schweizer Atomreaktoren zum Jahresende: Sie müssen mehr Geld für ein späteres Stilllegen der Meiler sowie das Entsorgen radioaktiver Abfälle zurücklegen. Die Summe steigert sich nochmals um 1,7 Milliarden Franken (1,5 Milliarden Euro). Insgesamt müssen die Reaktorbetreiber 23,5 Milliarden Franken (20 Milliarden Euro) in einen Fonds einzahlen – Geld, das dann tatsächlich vorhanden sein muss. Dagegen bilden deutsche Atomkraftwerksbetreiber für den Abriss der Anlagen nur Rücklagen in der Bilanz. Das bedeutet, die später benötigten Summen müssen erst noch verdient werden.
Spezialisten legen neue Zahlen vor
2016 hatte der Schweizer Branchenverband der nuklearen Kraftwerkswirtschaft eine staatlich eingeforderte Kostenstudie veröffentlicht. Abriss der Meiler sowie das Entsorgen des Atommülls sollten demnach 21,8 Milliarden Franken (18,5 Milliarden Euro) kosten. Wie üblich kontrollierten unabhängige Spezialisten die Aufstellung. Auf einer Pressekonferenz vor Weihnachten teilte die Kommission für den Stilllegungsfonds und den Entsorgungsfonds das Ergebnis mit: Prinzipiell sei korrekt gerechnet worden, hieß es. In einzelnen Punkten brauche es jedoch eine Anpassung.
Letztlich geht es den Spezialisten um einen Sicherheitszuschlag. Raymond Cron, Chef der Kommission für den genannten Fonds, sagte, die
erforderlichen Mittel für die Kraftwerksstilllegung und die Entsorgung des Atommülls müssten definitiv zur Verfügung stehen, wenn der entsprechende Zeitpunkt gekommen sei – wobei ein Schweizer Atomausstieg gegenwärtig noch nicht konkret absehbar ist. Die Meiler werden stillgelegt, wenn sie eidgenössische Prüfer als nicht mehr sicher einstufen. Definitiv wird nur das Atomkraftwerk Mühleberg im Kanton Bern in absehbarer Zeit vom Netz genommen – nämlich 2019. In Deutschland wiederum ist nach jetziger Gesetzeslage generell 2022 Schluss.
Die Betreiber der Schweizer Atomkraftwerke wehren sich gegen
die Neuberechnung des Fondsinhalts. Ein für Außenstehende skurriler Streit ist entstanden: Die Kraftwerksbetreiber gehen davon aus, dass ein Abbau der Meiler nur so weit zu gehen habe, bis eine „braune Wiese“da sei. Dies soll heißen, dass die Bausubstanz ohne Nuklearbelastung stehen bleibt. Die Kommission für den Stilllegungsfonds und den Entsorgungsfonds besteht aber auf die „grüne Wiese“. Hierfür muss alles weg, selbst das letzte Zaunfundament.
Die Fonds-Kommission rechnet pro Reaktor mit Rückbaukosten von 747 Millionen Franken. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg wer- den die Kosten für die gegenwärtig laufende Beseitigung des Atomkraftwerks Obrigheim (Neckar-Odenwald-Kreis) auf rund 500 Millionen Euro geschätzt. Dies sind umgerechnet 585 Millionen Franken. Weitere Vergleiche ergeben, dass die Schweizer mit ihrer Rückbau-Kalkulation international im oberen Drittel liegen.
Die Schweiz besteht beim Beseitigen von Atomkraftwerken und Nuklearmüll uneingeschränkt auf dem Verursacherprinzip. Dieser Weg war grundsätzlich ebenso in Deutschland vorgesehen. Im Jahr 2017 kamen jedoch die Bundesregierung und die Energiekonzerne überein, einen Versorgungspakt zu schließen. Die Unternehmen hinterlegen dafür 24,4 Milliarden Euro in einem Fonds. Im Gegenzug übernimmt der Staat die Verantwortung für die Zwischenund Endlagerung des Atommülls.
Schulden für die Zukunft
In Deutschland laufen bis zur Abschaltung des Blocks B in Gundremmingen acht Reaktoren im kommerziellen Betrieb. Insgesamt gab es 36 kommerzielle Atommeiler. Ihr Rückbau bleibt auch in Deutschland zumindest theoretisch eine Angelegenheit der Energiekonzerne. Sie haben dafür in ihren Bilanzen Rücklagen in der Höhe von 38 Milliarden Euro gebildet. Dabei handelt es sich um eine Art Schulden für die Zukunft.
Sollten die Konzerne aus irgendwelchen Gründen künftig nicht zum Begleichen dieser Schulden fähig sein, muss der Steuerzahler einspringen.