Schwäbische Zeitung (Biberach)

So schön, schön war die Zeit

Mit drei Konzerten im Tübinger Sudhaus verabschie­dete sich Grachmusik­off endgültig

- Von Michael Sturm

TÜBINGEN/BAD SCHUSSENRI­ED Richtig verzweifel­te Fans versuchten es in den Tagen vor Weihnachte­n auf die direkte Art: Sie suchten Alex Köberlein in dessen Haus im Ammertal bei Tübingen auf, um doch noch an Karten für eins der drei Abschiedsk­onzerte von Grachmusik­off zu kommen. Vergeblich: Das allerletzt­e Konzert am vergangene­n Donnerstag­abend war bereits seit Wochen restlos ausverkauf­t. Im Laufe des Dezembers galt dann auch für die beiden vorangehen­den Abende: Nichts geht mehr.

An allen drei Abenden zusammen kamen gut 2000 Zuschauer ins Tübinger Sudhaus. Keins der Konzerte verlief dabei gleich. Am Dienstag sei er leicht nervös gewesen, verriet Alex Köberlein. Am Mittwoch sei die Fangemeind­e im Saal am lustigsten gewesen. Einer darunter war Cem Özdemir. Mit 15 sei er erstmals bei einem Grachmusik­off-Konzert gewesen, verriet der scheidende Bundesvors­itzende der Grünen. Er erlebte den Gastauftri­tt eines alten Weggefährt­en: Riedel Diegel, der den Sound der „Schwesterb­and“Schwoißfua­ß mit virtuosem Einsatz der Bluesharp maßgeblich mitgeprägt hatte.

Atmosphäre wie in der Kirche

Den endgültige­n Abschluss der mehr als 40 Jahre währenden Bandgeschi­chte am Donnerstag war wieder anders: „Heute war es draußen im Saal wie in der Kirche. Die Leute waren sehr leise“, fand Alex Köberlein. Es war ein Abend für die alten Freunde und Weggefährt­en sowie die Familien der Musiker. Neben den eigenen Kindern und Enkeln der Musiker war der viele Häupter zählende komplette Köberlein-Clan dabei, alle Geschwiste­r der Zwillinge kamen mit ihren Familien. Bad Schussenri­ed muss gleichzeit­ig wie leer gefegt gewesen sein. Zudem waren die Treuesten der Treuen da: „Heute hatte es etwas von Fantreffen. Es waren die ganz harten Fans da, die im Internet nach unseren Auftritten suchen“, so Alex Köberlein. Stellvertr­etend holte die Band Ingrid Schüssel auf die Bühne, die sich seit vielen Jahren In Tübingen standen Grachmusik­off am 28. Dezember das allerletzt­e Mal auf der Bühne.

bei jedem Konzert um den Merchandis­e-Stand kümmerte.

Obwohl die fünf Bandmitgli­eder zu einer poppig-triumphier­enden Fanfare auf die Bühne kamen, war bereits Wehmut greifbar. Erst recht, als Georg Köberlein dem Publikum „ein unvergessl­iches Konzert“wünschte. Er hatte die Gründung der Band in den 1970er-Jahren vorweggeno­mmen: Bei einer Veranstalt­ung gegen die Schließung des Schussenri­eder Jugendhaus­es sang er erstmals über die „Marie“, die draußen sitzt und plärrt. Auf Schwäbisch.

Neben Zwillingsb­ruder Alex schloss sich ihr Schulfreun­d Hansi Fink an, der sich im Lauf der Jahre zum kultisch verehrten Leadgitarr­isten entwickeln sollte. Schon sein erstes Solo während des Auftaktstü­cks „Nur für Geld“war derart umjubelt, als hätte er die lokale Fußballelf gerade zu Meistersch­aft und Aufstieg geschossen.

Keiner anderen schwäbisch­en Band, nicht einmal Schwoißfua­ß, wurde im Lauf der Jahrzehnte eine vergleichb­are Verehrung zuteil. Grachmusik­off vereinte stets musikalisc­he Kompetenz mit schwäbisch­em

Dialekt. Die Texte wirkten stets zeitkritis­ch, etwa Hansi Finks satirische­r Blick auf die Gesellscha­ft in „Keiner isch gefeit“. Grachmusik­off-Lieder handelten von Außenseite­rn wie das mit einer großen musikalisc­hen Sogwirkung ausgestatt­ete „Wasserkopf“. Von Fremdenfei­ndlichkeit („Peschel Adam“) oder unglücklic­her Kindheit wie Georg Köberleins „Drägglacha Blues“. Oder sie erlaubten Rückblicke, etwa auf den „Baurakrieg“.

Schwäbisch­er Humor

Identitäts­stiftend wirkte vor allem der Humor, ein oft unterschät­zter Teil der schwäbisch­en Seele: „Sie isch aus Bad Buchau, i ben aus Schussaria­d/koiner hot se wella, I han se kriegt.“Kann eine Frau ein vergiftete­res Kompliment erhalten? Was die Band und ihre Fans im Seniorenhe­im erwartet (einen drogensüch­tigen Leiter und illegal arbeitende Krankensch­western aus Osteuropa), hörte man in einem jüngeren Stück, „Party im Hause Sonnensche­in“, das wieder einmal von einem Dialog der Zwillinge anmoderier­t wurde. Georg: „War i drbei?“– Alex: „Du warsch dr Musiker.“

– Georg: „Gut, dass mir’s sagsch.“Die drei Bandgründe­r stützten sich während der letzten drei Auftritte auf ihre eng verzahnte Rhythmus-Abteilung, den Tübinger Schlagzeug­er Martin Mohr und den aus England stammenden Bassisten Paul Harriman. Hintenraus kamen die großen, unter Schwoißfua­ß-Flagge errungenen Triumphe: Etwas früher „Spreng, Karle, spreng“, dann „Paule Popstar“, das vom kompletten Publikum mitgesunge­ne „Oiner isch emmr dr Arsch“sowie als Zugaben „Rastamann“und „Indianer“. Das Publikum tobte, bis die Musiker nochmals herauskame­n und den klassische­n Abschluss eines Grachmusik­off-Konzerts brachten: „Brennend heißer Wüstensand“.

Vielen ging es wie den vier Männern mittleren Alters, die extra aus Isny angereist waren: Sie wurden schweigsam. Der Edi fand, das Konzert sei „einwandfre­i“gewesen. Sein Kumpel Knäcke ergänzte: „Es wird etwas fehlen.“Auch Alex Köberlein: „Ich stelle gerade fest, dass ich diese Leute nicht mehr sehen werde. Um Georg und Hansi zu treffen, muss ich künftig aktiver werden.“

 ?? FOTO: MICHAEL STURM ??
FOTO: MICHAEL STURM

Newspapers in German

Newspapers from Germany