Schwäbische Zeitung (Biberach)
So schön, schön war die Zeit
Mit drei Konzerten im Tübinger Sudhaus verabschiedete sich Grachmusikoff endgültig
TÜBINGEN/BAD SCHUSSENRIED Richtig verzweifelte Fans versuchten es in den Tagen vor Weihnachten auf die direkte Art: Sie suchten Alex Köberlein in dessen Haus im Ammertal bei Tübingen auf, um doch noch an Karten für eins der drei Abschiedskonzerte von Grachmusikoff zu kommen. Vergeblich: Das allerletzte Konzert am vergangenen Donnerstagabend war bereits seit Wochen restlos ausverkauft. Im Laufe des Dezembers galt dann auch für die beiden vorangehenden Abende: Nichts geht mehr.
An allen drei Abenden zusammen kamen gut 2000 Zuschauer ins Tübinger Sudhaus. Keins der Konzerte verlief dabei gleich. Am Dienstag sei er leicht nervös gewesen, verriet Alex Köberlein. Am Mittwoch sei die Fangemeinde im Saal am lustigsten gewesen. Einer darunter war Cem Özdemir. Mit 15 sei er erstmals bei einem Grachmusikoff-Konzert gewesen, verriet der scheidende Bundesvorsitzende der Grünen. Er erlebte den Gastauftritt eines alten Weggefährten: Riedel Diegel, der den Sound der „Schwesterband“Schwoißfuaß mit virtuosem Einsatz der Bluesharp maßgeblich mitgeprägt hatte.
Atmosphäre wie in der Kirche
Den endgültigen Abschluss der mehr als 40 Jahre währenden Bandgeschichte am Donnerstag war wieder anders: „Heute war es draußen im Saal wie in der Kirche. Die Leute waren sehr leise“, fand Alex Köberlein. Es war ein Abend für die alten Freunde und Weggefährten sowie die Familien der Musiker. Neben den eigenen Kindern und Enkeln der Musiker war der viele Häupter zählende komplette Köberlein-Clan dabei, alle Geschwister der Zwillinge kamen mit ihren Familien. Bad Schussenried muss gleichzeitig wie leer gefegt gewesen sein. Zudem waren die Treuesten der Treuen da: „Heute hatte es etwas von Fantreffen. Es waren die ganz harten Fans da, die im Internet nach unseren Auftritten suchen“, so Alex Köberlein. Stellvertretend holte die Band Ingrid Schüssel auf die Bühne, die sich seit vielen Jahren In Tübingen standen Grachmusikoff am 28. Dezember das allerletzte Mal auf der Bühne.
bei jedem Konzert um den Merchandise-Stand kümmerte.
Obwohl die fünf Bandmitglieder zu einer poppig-triumphierenden Fanfare auf die Bühne kamen, war bereits Wehmut greifbar. Erst recht, als Georg Köberlein dem Publikum „ein unvergessliches Konzert“wünschte. Er hatte die Gründung der Band in den 1970er-Jahren vorweggenommen: Bei einer Veranstaltung gegen die Schließung des Schussenrieder Jugendhauses sang er erstmals über die „Marie“, die draußen sitzt und plärrt. Auf Schwäbisch.
Neben Zwillingsbruder Alex schloss sich ihr Schulfreund Hansi Fink an, der sich im Lauf der Jahre zum kultisch verehrten Leadgitarristen entwickeln sollte. Schon sein erstes Solo während des Auftaktstücks „Nur für Geld“war derart umjubelt, als hätte er die lokale Fußballelf gerade zu Meisterschaft und Aufstieg geschossen.
Keiner anderen schwäbischen Band, nicht einmal Schwoißfuaß, wurde im Lauf der Jahrzehnte eine vergleichbare Verehrung zuteil. Grachmusikoff vereinte stets musikalische Kompetenz mit schwäbischem
Dialekt. Die Texte wirkten stets zeitkritisch, etwa Hansi Finks satirischer Blick auf die Gesellschaft in „Keiner isch gefeit“. Grachmusikoff-Lieder handelten von Außenseitern wie das mit einer großen musikalischen Sogwirkung ausgestattete „Wasserkopf“. Von Fremdenfeindlichkeit („Peschel Adam“) oder unglücklicher Kindheit wie Georg Köberleins „Drägglacha Blues“. Oder sie erlaubten Rückblicke, etwa auf den „Baurakrieg“.
Schwäbischer Humor
Identitätsstiftend wirkte vor allem der Humor, ein oft unterschätzter Teil der schwäbischen Seele: „Sie isch aus Bad Buchau, i ben aus Schussariad/koiner hot se wella, I han se kriegt.“Kann eine Frau ein vergifteteres Kompliment erhalten? Was die Band und ihre Fans im Seniorenheim erwartet (einen drogensüchtigen Leiter und illegal arbeitende Krankenschwestern aus Osteuropa), hörte man in einem jüngeren Stück, „Party im Hause Sonnenschein“, das wieder einmal von einem Dialog der Zwillinge anmoderiert wurde. Georg: „War i drbei?“– Alex: „Du warsch dr Musiker.“
– Georg: „Gut, dass mir’s sagsch.“Die drei Bandgründer stützten sich während der letzten drei Auftritte auf ihre eng verzahnte Rhythmus-Abteilung, den Tübinger Schlagzeuger Martin Mohr und den aus England stammenden Bassisten Paul Harriman. Hintenraus kamen die großen, unter Schwoißfuaß-Flagge errungenen Triumphe: Etwas früher „Spreng, Karle, spreng“, dann „Paule Popstar“, das vom kompletten Publikum mitgesungene „Oiner isch emmr dr Arsch“sowie als Zugaben „Rastamann“und „Indianer“. Das Publikum tobte, bis die Musiker nochmals herauskamen und den klassischen Abschluss eines Grachmusikoff-Konzerts brachten: „Brennend heißer Wüstensand“.
Vielen ging es wie den vier Männern mittleren Alters, die extra aus Isny angereist waren: Sie wurden schweigsam. Der Edi fand, das Konzert sei „einwandfrei“gewesen. Sein Kumpel Knäcke ergänzte: „Es wird etwas fehlen.“Auch Alex Köberlein: „Ich stelle gerade fest, dass ich diese Leute nicht mehr sehen werde. Um Georg und Hansi zu treffen, muss ich künftig aktiver werden.“