Schwäbische Zeitung (Biberach)
Rhetoriker
Er war Mitbegründer der gesamtdeutschen Linken, ist ein pointensicherer Redner und der langjährige Fraktionschef der Linken. Als Stimme der Wendeverlierer und Wiedervereinigungsskeptiker prägte Gregor Gysi die geeinte Bundesrepublik wie neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kaum ein anderer Politiker aus dem Osten. Inzwischen ist Gysi Chef der Europäischen Linken, als einfacher Abgeordneter sitzt er zudem weiter im Bundestag – oben links, selbstgewählter Platz. Heute wird er 70 Jahre.
Geboren wurde Gysi 1948 in Berlin als Sohn der Kommunisten Irene und Klaus Gysi. Sein Vater amtierte sieben Jahre lang als DDR-Kulturminister. Gregor Gysi wurde während der Oberschuljahre in der DDR parallel zum Facharbeiter für Rinderzucht ausgebildet. Er studierte Jura und übte den zu DDRZeiten eher seltenen Beruf des Rechtsanwalts aus. Wie groß Gysis Distanz zur Staatsmacht war, bleibt umstritten. Er wehrte sich juristisch erfolgreich gegen Berichte, wonach er als Anwalt mit der Stasi kooperiert habe. „Ich nehme die Schweigepflicht ernst – das war mir auch in der DDR wichtig, eine bestimmte Grenze hätte ich nie überschritten“, sagt Gysi. Zumindest war genug Abstand zur alten Führungsriege, um im Herbst 1989 als Hoffnungsträger zum SED-Vorsitzenden gewählt zu werden. Binnen Monaten war der Staat, den diese Partei verkörperte, allerdings Geschichte.
Gysi macht aus dem hohen Preis, den er persönlich für seine politischen Erfolge zahlen musste, kein Geheimnis: drei Herzinfarkte, die gescheiterte Ehe mit Andrea Gysi, Zerwürfnisse mit einst engen Weggefährten. Er gewann sechsmal ein Direktmandat für den Bundestag, das letzte 2017. „Es gibt bei mir diesen nahezu körperlichen Reflex, aus- und dagegenzuhalten“, sagt Gysi über Gysi. Die Lust an der Konfrontation gepaart mit Gysis Wunsch nach Anerkennung erklärt seinen Lebensweg. Sich lustvoll vor Publikum streiten, das ist Gysis größte Leidenschaft. (AFP/dpa)