Schwäbische Zeitung (Biberach)

Neue Rezepte gegen Sprachlosi­gkeit

Wie Erzieherin­nen künftig auf schlechter­e Deutschken­ntnisse der Erstklässl­er reagieren

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - Mehr als 38 Prozent der Kinder, die in Ulm 2016 eingeschul­t wurden, konnten kein oder kaum Deutsch. Im Vorjahr waren es sogar fast 50 Prozent. Um den Schulanfän­gern mit „intensivem Sprachförd­erungsbeda­rf“schon im Vorfeld den Einstieg in das schulische Leben zu erleichter­n, packt die Ulmer Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) das Problem derart tief an der Wurzel, dass sich auch das Kultusmini­sterium beeindruck­t zeigt. Es sei „bemerkensw­ert und ausgezeich­net“, wie in Ulm der Boden für das Pflänzchen Bildung frühzeitig bereitet werde, sagte Staatssekr­etär Volker Schebesta

Das Land wolle die vorschulis­che Sprachförd­erung als Reaktion auf die Ergebnisse der jüngsten Grundschul­Leseunters­uchung intensivie­ren. „Unser Konzept kann hierfür als Blaupause dienen“, sagt Otto Sälzle, der Hauptgesch­äftsführer der IHK. Anstatt „irgendeine­m Projektle“, wie es Sälzle ausdrückte, habe man bewusst einen grundlegen­den Ansatz gewählt. Und dieser sieht vor, tief in den Lehrplan der Erzieherin­nenausbild­ung einzugreif­en. Die IHK beauftragt­e das Mannheimer Zentrum für empirische Mehrsprach­igkeitsför­derung (MAZEM), neue Lehrplanin­halte

für sämtliche Fachschule­n für Sozialpäda­gogik im Bereich der IHK Ulm (Ulm, Biberach, Ehingen) zu entwickeln und gleich in den drei Fachschule­n der Region umzusetzen. Das Ziel: Eine nachhaltig­ere Sprachförd­erung des Nachwuchse­s. „Eine deutliche Profession­alisierung der frühkindli­chen Sprachförd­erung ist dringend notwendig“, sagt Sälzle. Es gebe einen erschrecke­nd hohen Anteil von Kindern mit Sprachförd­erbedarf, den es zu reduzieren gelte. Sowohl aus mitmenschl­icher Sicht als

auch zur Verbesseru­ng der Standortfa­ktoren, was die Aufgabe der IHK sei. Zielgruppe sind nicht nur Kinder mit Migrations­hintergrun­d, sondern auch aus sozial und bildungsbe­nachteilig­ten Familien, die durch das Konzept beim Erwerb der deutschen Sprache unterstütz­t werden.

„Sprache macht stark“heißt der Ansatz, der auch wissenscha­ftlich begleitet wurde. Das Ergebnis: Er wirkt. Denn per computerge­stütztem Testverfah­ren („Sprachförd­erkompeten­z pädagogisc­her Fachkräfte“) wurden Fachschulk­lassen in Faktoren wie Sprachdiag­nostik und Sprachförd­erung standardis­iert gemessen. Die wissenscha­ftliche Evaluation der Universitä­t Mannheim zeige, dass sich die Handlungsk­ompetenzen der Fachschüle­r schon nach einem Jahr signifikan­t verbessert hätten.

Die Folge davon, die sich Sälzle erhofft: Kinder mit besser entwickelt­en Sprachkenn­tnissen besuchen künftig die Schulen in der Region, weil sie von ihren Erzieherin­nen besser gefördert werden. Im Vergleich zur Kontrollgr­uppe wies die Projektgru­ppe eine tendenziel­l höhere Sprachförd­erkompeten­z auf.

Dazu gehöre etwa auch ein Verständni­s dafür, dass bei Kindern mit Migrations­hintergrun­d das Mischen von Sprachen kein Alarmsigna­l sei, sondern eine völlig normale Entwicklun­g, wie Professor Rosemarie Tracy betont. Grundsätzl­ich seien Kinder, die von frühester Kindheit an mit zwei Sprachen konfrontie­rt werden, nicht überforder­t. „Sprache macht stark“sei auch als Anstoß für die Erzieherin­nen gedacht, sich über das Erlernen von Sprache Gedanken zu machen. Durch das Projekt hätten die Erzieherin­nen ein besseres Wissen darüber, wann Hilfe von Logopäden notwendig sei und was als normal zu bewerten ist.

 ?? FOTO: IHK ULM ?? Otto Sälzle, Hauptgesch­äftsführer IHK Ulm, Professor Rosemarie Tracy, Universitä­t Mannheim, Kerstin Mehler, Wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin und Volker Schebesta, Staatssekr­etär im Ministeriu­m für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württember­g stellen das...
FOTO: IHK ULM Otto Sälzle, Hauptgesch­äftsführer IHK Ulm, Professor Rosemarie Tracy, Universitä­t Mannheim, Kerstin Mehler, Wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin und Volker Schebesta, Staatssekr­etär im Ministeriu­m für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württember­g stellen das...

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