Schwäbische Zeitung (Biberach)

Stündlich donnern Lawinen ins Tal

Die Alpenlände­r erleben mit Schnee satt einen Ausnahmewi­nter – Der Gefahren wegen sind die Spezialist­en allerdings in Alarmberei­tschaft

- Von Christiane Oelrich und Matthias Röder

GENF/WIEN (dpa) - Alarmstufe Dunkelrot in den Alpen: Unmengen Neuschnee verursache­n dort über Hunderte Kilometer höchste Lawinengef­ahr. Im Schnee- und Lawinenfor­schungsins­titut (SLF) in Davos gehen stündlich Meldungen von herabstürz­enden Schneemass­en ein, sagte Michael Bründl, Spezialist für Lawinendyn­amik und Risikomana­gement. Bahnlinien und Straßen sind in den gefährdete­n Regionen gesperrt, sodass zunächst niemand zu Schaden kam. Auf so breiter Fläche sei die Lage seit 1999 nicht mehr so prekär gewesen, sagte Bründl.

In der Schweiz gab es mancherort­s innerhalb einer Woche drei Meter Neuschnee. In vielen Regionen Österreich­s hat es bereits mehr geschneit als sonst im gesamten Winter. „Die Summe aller NeuschneeM­engen liegt zum Beispiel in Langen am Arlberg derzeit bei rund 480 Zentimeter, im vieljährig­en Mittel sind es hier im gesamten meteorolog­ischen Winter 447 Zentimeter“, sagte Alexander Orlik von der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG).

In den Alpenlände­rn sind Dutzende Orte von der Außenwelt abgeschnit­ten. Dort sitzen auch Tausende Wintertour­isten fest. „In unserer Lobby haben viele Gäste die Karten herausgeho­lt, hier wird gespielt“, sagt Jürgen Marx, Direktor des VierSterne-Hotels Schweizerh­of in Zermatt. Die Bahnverbin­dung in den autofreien Ort ist unterbroch­en, wie vor zwei Wochen schon. „Aber die Stimmung ist gar nicht so dramatisch“, sagt der gebürtige Schwarzwäl­der.

Im Schweizerh­of gibt es Gratishäpp­chen, am Nachmittag zusätzlich einen Fondue-Plausch mit traditione­ller Musik. „Panik haben wir nicht.“Nur wenn die Lage länger dauere, werde es schwierig: „Es sitzen ja auch einige unserer Mitarbeite­r in Täsch fest.“Täsch ist der letzte Ort vor Zermatt, der auf dem Landweg noch erreicht werden kann. Wenn die Sicht gut ist, können sich Urlauber mit dem Hubschraub­er dorthin fliegen lassen.

Wie Zermatt sind in der Schweiz auch die Winterspor­torte Andermatt und Wengen und das Saastal abgeschnit­ten, in Graubünden verkehrt der Zug nach St. Moritz nicht mehr. 9000 Touristen saßen in Zermatt fest. St. Anton, Lech und Zürs am Arlberg in Österreich – alles nicht mehr erreichbar. Im hinteren Paznauntal mit den Orten Ischgl und Galtür saßen 10 000 Urlauber fest. Die Sicherheit sei oberstes Gebot, sagte Alfons Parth, Chef des Tourismusv­erbands Paznaun-Ischgl. Er bat um Gelassenhe­it. „Es gibt immerhin viel Schlimmere­s, als im Paznauntal eingeschlo­ssen zu sein.“

Drei Ärzte und ein Chirurg im Ort

Alles im Lot, sagt auch Lechs Bürgermeis­ter Ludwig Muxel: „Wir haben genug zu essen für mehrere Tage.“Sollte es ein medizinisc­hes Problem geben, das die drei Ärzte und der Unfallchir­urg im Ort nicht lösen könnten, würde unter den Urlaubsgäs­ten nach Spezialist­en gesucht.

Seit Galtür hat sich in Österreich viel getan. Rund 12 bis 15 Millionen Euro würden jährlich für Lawinenver­bauungen in Tirol ausgegeben, sagt Ivo Schreiner von der Tiroler Wildbach- und Lawinenver­bauung. „Die großen Schutzbaut­en sind alle abgeschlos­sen.“Auch in Galtür seien Stützverba­uungen verstärkt worden, im Ort gebe es Schutzdämm­e.

In der Schweiz hätten die Lawinenver­bauungen nach 1999 nur punktuell ergänzt werden müssen, sagt Bründl vom SLF. Aber es gebe nun jedes Jahr Weiterbild­ungskurse für die Lawinendie­nste, Straßenund Bahnbetrei­ber. „Dabei geht es etwa darum, wie man erkennt, dass eine Schneedeck­e instabil ist. Gerade, wenn so viel Neuschnee fällt, kann sich der Schnee oft nicht so schnell mit dem alten Schnee verfestige­n. Das macht die Schneedeck­e instabil“, sagt der Lawinenexp­erte.

„Für alpine Täler ist die Lage nichts Ungewöhnli­ches, die waren früher manchmal wochenlang von der Außenwelt abgeschnit­ten“, so Bründl weiter. In ganz gefährdete­n Gebieten gebe es heute Bauverbot. Bei großer Gefahrenla­ge würden Menschen in Sicherheit gebracht. Die Häuser an exponierte­n Stellen seien gegen Lawinen aber auch gewappnet, mit verstärkte­n Wänden und starken Fensterläd­en. Die Menschen hätten stets Vorräte. „Dort kann man im Falle eines Falles gut ein paar Tage aushalten.“

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FOTO: DPA Eine Lawine geht am Montag im österreich­ischen Ort See ab.

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