Schwäbische Zeitung (Biberach)
Depression kann jeden treffen
Krankheit wird heute häufiger erkannt als früher – Betroffene bevorzugen psychotherapeutische Behandlung
BONN (KNA) - „Depressionen sind schwer zu verstehen“, twitterte kürzlich jemand. Doch seit Jahren wachse die Sensibilität für psychische Erkrankungen, insbesondere für Depressionen, sagt der Mediziner Ulrich Hegerl. Er ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig.
Rund vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an Depressionen. Die Krankheit wird heute häufiger erkannt, und Betroffene gelten nur noch selten als „Drückeberger“, erklärt Armin Schmidtke, Leiter der AG Primärprävention beim Nationalen Suizidpräventionsprogramm (NaSPro). Auch habe man erkannt, dass sich Depressionen bei Frauen anders äußern als bei Männern – und dass auch Kinder von Depressionen betroffen sein können.
Trotzdem offenbaren öffentliche Debatten um Prominente mit Depressionen, dass es weiterhin zahlreiche Missverständnisse um diese Krankheit gibt. Nach dem Suizid des Linkin-Park-Sängers Chester Bennington wertete die Publizistin Margarete Stokowski zahlreiche Onlinekommentare aus. Ihr Fazit: Vielen sei nicht klar, „dass Depression eine Krankheit ist und keine Entscheidung“. Eine Krankheit zudem, die jeden treffen kann.
Dass es in der Bevölkerung häufig noch Irrtümer über die Krankheit gibt, zeigt auch eine Studie der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutsche Bahn Stiftung. Über 90 Prozent der Befragten halten demnach Schicksalsschläge oder Belastungen am Arbeitsplatz für eine Ursache von Depression.
Zwar glauben knapp zwei Drittel, dass auch Vererbung oder Stoffwechselstörungen im Gehirn eine Rolle spielen könnte. Dennoch halten sich Vorurteile, dass die Depression ein Zeichen von Charakterschwäche oder die Folge falscher Lebensführung sei, so das Ergebnis des Deutschland-Barometer Depression. Schokolade essen oder „sich zusammenreißen“halten ein Fünftel der Befragten für ein gutes Hilfsmittel.
Hegerl erklärt falsche Vorstellungen damit, dass die meisten Menschen von sich selbst ausgehen – und Depressionen etwa mit Trauer oder dem Stimmungstief nach beruflichem Misserfolg oder bei Überforderung vergleichen. „Aber eine Depression ist mehr als eine Reaktion auf äußere belastende Ereignisse.“Betroffene beschrieben eine innere Daueranspannung wie vor einer Prüfung, sähen sich selbst oft als Belastung für ihr Umfeld und könnten kaum noch Gefühle empfinden, weder Trauer noch Freude.
Mit Blick auf Behandlungsmethoden genießt die Psychotherapie laut Erhebung ein höheres Ansehen als die Behandlung mit Medikamenten. Über 70 Prozent der Befragten glauben, dass Antidepressiva abhängig machen oder den Charakter verändern. Hegerl gibt aber Entwarnung: Die Persönlichkeit werde durch die Medikamente nicht verändert. Vielmehr sei es die Depression selbst, die zu Veränderungen im Erleben und Verhalten führe. „Wenn es unter der Behandlung von Antidepressiva zum Abklingen der Depression kommt, berichtet die große Mehrheit der Patienten, dass sie sich wieder wie im gesunden Zustand fühlen“, so der Mediziner.
Die immer häufiger vorkommenden Onlineangebote bezeichneten 40 Prozent als hilfreiche Unterstützung. Der Großteil bewertet diese Portale aber als zu unpersönlich oder hat Bedenken bezüglich des Datenschutzes. Dabei könnten solche Angebote, wenn sie von einem Spezialisten begleitet würden, ähnliche Wirkung wie eine Psychotherapie haben, so Hegerl. Dennoch dürfe man die Risiken solcher Onlineprogramme nicht außer Acht lassen.
Kostenfreies Info-Telefon Depression: 0800-3344533. Weitere Infos im Internet unter deutsche-depressionshilfe.de.