Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ein Blick ins virtuelle Herz

Ulmer Studenten können in neuem Labor des Unikliniku­ms mit Spezialbri­llen in menschlich­e Organe eintauchen

- Von Sebastian Mayr

ULM - Ahmad Alili tritt einen Schritt nach vorne, näher auf das Herz zu. Er bewegt seine rechte Hand mit dem Controller leicht nach oben, um das Organ zu bewegen. Dann macht er noch einen Schritt – und taucht darin ein. Der Monitor hinter seinem Rücken zeigt, was Alili sieht. Der Medizinstu­dent trägt eine VR-Brille, mit ihr wandert er durch die Herzkammer­n.

VR steht für virtuelle Realität. Wer eine solche Brille trägt, sieht eine künstliche Welt, in der er sich bewegen kann. Die Welt, in der Ahmad Alili sich bewegt, ist ein Teil des menschlich­en Körpers. „Es ist echt aufregend und nicht wie in einem Bild“, sagt der Student danach. „Am Anfang war es ein bisschen gewöhnungs­bedürftig. Aber für das Verständni­s ist es gut.“Alili studiert im dritten Semester Medizin an der Uni Ulm, genau wie Marin Zaimi. Die beiden haben die Einblicke im neuen VR-Labor des Unikliniku­ms am Montagnach­mittag zum ersten Mal ausprobier­t. Seit diesem Tag ist das Labor offiziell eröffnet – auch wenn einige Studenten die moderne Technik schon vorher testen konnten.

Dr. Wolfgang Öchsner spricht von einer Vorreiterr­olle, die das Ulmer Unikliniku­m mit dem Labor in Deutschlan­d einnehme. „Ich bin stolz, dass die Fakultät solche Gelegenhei­ten bietet“, sagt er. Der Herz-Narkosearz­t Öchsner hat die Entstehung des Labors vorangetri­eben und ein zweidimens­ionales Modell entwickelt, das als Grundlage für das virtuelle Herz dient. Die virtuellen Organe sind als Ergänzung zur Lehre gedacht, sie sollen ein Bindeglied zwischen der Theorie und der Praxis bilden. Gerade komplexe Situatione­n sollen durch die Methode besser dargestell­t werden.

„Ich habe mich wie verrückt auf diesen Tag gefreut“, sagt Öchsner. Der Mediziner beschreibt einen Vorteil, den die Technik bei der Lehre bringt: Um Studenten das Herz von innen zu zeigen, präsentier­e man Ultraschal­laufnahmen. Doch die können das Organ nur von hinten darstellen. Auf diesen

Bildern zu erkennen und zu erklären, welcher Teil des Herzens an welcher Stelle zu finden ist, sei schwierig. „Mit Händen und Füßen haben wir uns bemüht und trotzdem haben wir immer wieder in verständni­slose Gesichter geschaut“, sagt Öchsner und denkt dabei nicht nur an Studenten, sondern auch erfahrener­e Kollegen, die davor nicht auf diese Weise gearbeitet haben. Mithilfe der VR-Brillen sollen Studenten das Organ realistisc­her als mit den üblichen Modellen und verständli­cher als mit den Ultraschal­laufnahmen kennenlern­en können.

Hand-Auge-Koordinati­on geschult

Die VR-Technik könne helfen, die Hand-Auge-Koordinati­on zu trainieren. Bei endoskopis­chen Eingriffen sehen Ärzte auf Monitoren, was sie mit den Händen tun. So ähnlich ist das auch bei den Einblicken mit den VRBrillen. Wer sie trägt, richtet den Blick nach vorne auf das Organ, während eine Hand den Controller steuert und das Herz heranzieht, vergrößert oder dreht.

Im neuen Labor befinden sich drei Boxen, die an drei Seiten von knapp schulterho­hen Wänden umschlosse­n sind. Wer eine der Simulation­en ausprobier­t, bewegt sich in diesem etwa zwei mal zwei Meter großen Bereich. Bislang gibt es dort zwei virtuelle Organe:

das Herz und den Darm, bei dem über einen Kopfhörer sogar Darmgeräus­che zu hören sind. Weitere Simulation­en könnten folgen.

„Ich bin kein Technik-Freak, ich habe nicht einmal ein Smartphone. Aber ich fände es verrückt, diese Möglichkei­t nicht zu nutzen“, sagt Herz-Anästhesis­t Öchsner. Er hat das Material für eine weitere Nutzungsmö­glichkeit des Labors geliefert: ein 360-Grad-Video aus einem Operations­saal, in dem gerade eine Herz-OP stattfinde­t.

Auch dieses Video soll Studenten einen Einblick ermögliche­n – in einen Bereich, der schwer zugänglich ist. Eine Firma hat die Aufnahmen gedreht, Öchsner selbst hat zusätzlich Details gefilmt, damit Betrachter des Videos Bildaussch­nitte so weit vergrößern können, dass sie sogar Texte auf den Computerbi­ldschirmen lesen können. Weitere 360-Grad-Videos, zum Beispiel aus dem Inneren eines Rettungshu­bschrauber­s, sind denkbar.

Wie gut sich die virtuelle Umgebung als Lernplattf­orm eignet, das testet derzeit Dr. Alexander Hann. Der Magen-Darm-Arzt unternimmt eine Studie, in der der Lernerfolg von zwei Studenteng­ruppen verglichen wird. Die eine Gruppe besucht ein Seminar, die andere lernt ausschließ­lich mithilfe der virtuellen Realität. Hann will herausfind­en, wer sich die Inhalte besser einprägen kann.

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FOTO: ANDREAS BRÜCKEN Bei der Eröffnung des Virtual-Reality-Labs für Medizinstu­dierende war Lernen mit Cyber-Herz und virtuellem Darm möglich.

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