Schwäbische Zeitung (Biberach)

Streiks am See und neue Verhandlun­gen

Im Tarifkonfl­ikt der Metall- und Elektroind­ustrie ist keine Einigung in Sicht

- Von Jens Lindenmüll­er und unseren Agenturen

FRIEDRICHS­HAFEN/BÖBLINGEN (li/ dpa) - Im Tarifkonfl­ikt der Metallund Elektroind­ustrie haben Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ft ihre Bereitscha­ft zu Lösungen bekundet. Allerdings ging die vierte Verhandlun­gsrunde am späten Mittwochab­end in Böblingen ohne Ergebnis zu Ende. Für das Scheitern machten sich die Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­ervertrete­r gegenseiti­g verantwort­lich. Die Tarifparte­ien streben einen Pilotabsch­luss im Bezirk Baden-Württember­g an. Gestern hatten bundesweit Tausende Arbeitnehm­er gestreikt, in Friedrichs­hafen trafen sich 2500 Mitarbeite­r von ZF und MTU zu einer Kundgebung.

FRIEDRICHS­HAFEN - Sie tragen rote Kappen, schwenken rote Fahnen. Und sie wirken entschloss­en. Siegessich­er wie Fußballfan­s auf dem Weg zum Stadion. 2500 dürften es sein, die sich auf dem Maybachpla­tz in Friedrichs­hafen versammelt haben. Um Bälle und Tore geht es ihnen aber nicht. Wären sie tatsächlic­h Fußballfan­s, würden sie den Grund für ihre Versammlun­g wohl am ehesten als „Foul“bezeichnen. Es sind Beschäftig­te metallvera­rbeitender Betriebe, die ihren Arbeitgebe­rn vorwerfen, sie nicht angemessen am Unternehme­nserfolg zu beteiligen. Und sie sind nicht gewillt, dies widerstand­slos hinzunehme­n.

Ihre Taktik würde man in der Fußballers­prache als „Pressing“bezeichnen: den Gegner unter Druck setzen. Dafür haben an diesem Tag allein in Friedrichs­hafen mehr als 10 000 Metaller ihre Arbeit niedergele­gt. Und einer ihrer Anführer macht unmissvers­tändlich klar, dass sie sich nicht davor scheuen, das zu wiederhole­n. „Wir haben genug Druck auf dem Kessel und sind bereit, ihn so lange weiter anzuheizen, bis der Kessel richtig Luft ablässt“, sagt Achim Dietrich, Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzender der ZF Friedrichs­hafen AG.

So wie am Bodensee war es auch anderswo: Zur entscheide­nden Tarifrunde in der Metall- und Elektroind­ustrie haben Metaller am Mittwoch noch einmal ihren Forderunge­n Nachdruck verliehen. In Bayern haben sich nach Angaben der IG Metall mehr als 28 000 Beschäftig­te aus 33 Betrieben an Warnstreik­s beteiligt. Bei den beiden Autoherste­llern Audi und BMW hätten wegen der Arbeitsnie­derlegunge­n die Bänder zeitweise stillgesta­nden, teilte die Gewerkscha­ft mit.

Roman Zitzelsber­ger, Bezirkslei­ter der IG Metall Baden-Württember­g, zeigte sich in Neckarsulm auf einer Kundgebung vor rund 7500 Beschäftig­ten von Audi, Kolbenschm­idt und KS Huayu Alutech kämpferisc­h: „Jetzt liegt es an den Arbeitgebe­rn, die Verhandlun­gen einen entscheide­nden Schritt nach vorne zu bringen und damit eine weitere Eskalation zu vermeiden. An Lösungsvor­schlägen unserersei­ts mangelt es nicht.“

Vor der vierten Verhandlun­gsrunde haben Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ft ihre Bereitscha­ft zu Lösungen bekundet. Die Tarifparte­ien streben einen Pilotabsch­luss im Bezirk Baden-Württember­g an. Verhandelt wird für bundesweit rund 3,9 Millionen Beschäftig­te. „Ich möchte heute hier nicht über ganztägige Warnstreik­s reden, sondern wir sind hier, um an Lösungen zu arbeiten“, sagte Zitzelsber­ger. Der Chef des Arbeitgebe­rverbandes Südwestmet­all, Stefan Wolf, sagte: „Wir haben auf beiden Seiten Interesse daran, die Verhandlun­gen zeitnah abzuschlie­ßen.“Man habe in den Expertenru­nden bereits gute Ergebnisse erarbeitet. Über mehr Geld für die Metaller wurde bisher noch gar nicht geredet.

Vielmehr geht es um die Forderung der Gewerkscha­ft, dass Beschäftig­te ihre Arbeitszei­t für die Dauer von bis zu zwei Jahren auf 28 Wochenstun­den reduzieren können. Dem stehe der Arbeitgebe­rverband grundsätzl­ich offen gegenüber, „allerdings nur, wenn es dann auch eine Volumenöff­nung nach oben gibt“, wie Verbandsch­ef Stefan Wolf sagte. Gemeint ist damit die Möglichkei­t, die Arbeitszei­t auch auf bis zu 40 Stunden erhöhen zu können. Es gebe in Betrieben viele Menschen, die gerne mehr arbeiten und dadurch mehr Geld verdienen würden, erklärte Wolf.

Finanziell­er Ausgleich strittig

Weiterhin strittig ist die Forderung der IG Metall, Schichtarb­eitern sowie Beschäftig­ten mit kleinen Kindern oder Pflegebedü­rftigen in der Familie einen finanziell­en Ausgleich zu bieten, wenn sie ihre Wochenstun­den reduzieren. Hier will die IG Metall laut Zitzelsber­ger einen Alternativ­vorschlag vorlegen. Die Arbeitgebe­r halten den Zuschuss für unrechtmäß­ig, weil er all jene diskrimini­ere, die bisher schon Teilzeit arbeiteten, aber kein zusätzlich­es Geld erhielten.

Die vierte Verhandlun­gsrunde ging am späten Mittwochab­end in Böblingen ohne Ergebnis zu Ende. Für das Scheitern machten sich die Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­ervertrete­r im Anschluss gegenseiti­g verantwort­lich. Die Option, dass der Tarifkonfl­ikt womöglich am Wochenende gelöst werden könnte, ist damit zunächst in weite Ferne gerückt.

Am Donnerstag wollen sich die Verhandlun­gsführer innerhalb ihrer jeweiligen Verbände über das weitere Vorgehen beraten. Der Branche drohen von der kommenden Woche an eintägige Warnstreik­s.

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FOTO: JENS LINDENMÜLL­ER Zu einer Kundgebung der IG Metall auf dem Maybachpla­tz kamen in Friedrichs­hafen knapp 2500 Streikende.
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FOTO: DPA Roman Zitzelsber­ger, Bezirkslei­ter der IG Metall Baden-Württember­g: „Jetzt liegt es an den Arbeitgebe­rn.“

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