Schwäbische Zeitung (Biberach)
Merkel warnt in Davos vor Abschottung
Kanzlerin empfiehlt multilaterale Lösungen – Macron spricht von der EU als „Weltmacht“
DAVOS (dpa/sz/hko) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat beim Weltwirtschaftsforum eindringlich vor Protektionismus und Abschottung gewarnt und ein Plädoyer für eine umfassende internationale Zusammenarbeit gehalten. „Deutschland will ein Land sein, das auch in Zukunft seinen Beitrag leistet, um gemeinsam in der Welt die Probleme der Zukunft zu lösen“, sagte Merkel am Mittwoch in Davos. Die Bundeskanzlerin hatte sich aufgrund der schleppenden Regierungsbildung in Berlin erst kurzfristig zur Reise in die Schweiz entschieden.
Ohne US-Präsident Donald Trump zu erwähnen, der am Freitag in Davos spricht, sagte Merkel: „Wir glauben, dass Abschottung uns nicht weiterführt. Wir glauben, dass wir kooperieren müssen, dass Protektionismus nicht die richtige Antwort ist.“Wenn man der Meinung sei, dass die Dinge nicht fair zugingen, müssten multilaterale und nicht unilaterale Lösungen gesucht werden. Merkel räumte ein, dass es Zweifel bei vielen Menschen an diesem Weg gebe. Nationalismus, Populismus und die polarisierende Atmosphäre in vielen Staaten würden vielleicht auch durch die Sorge von Bürgern ausgelöst, die sich fragten, „ob die multilaterale Kooperation wirklich in der Lage ist, ehrlich, fair die Probleme der Menschen zu lösen“. Merkel sprach sich für ein entschlossenes Vorgehen gegen den Rechtspopulismus aus. In der Flüchtlings- und Migrationskrise nach 2015 hätten zudem viele Menschen befürchtet, ihnen werde etwas weggenommen.
In Sachen Verteidigung mahnte die Kanzlerin erneut eine engere Zusammenarbeit der EU-Staaten in der Außenpolitik an. „Wir müssen unser Schicksal mehr in die eigene Hand nehmen“, sagte Merkel. „Die einheitliche europäische Außenpolitik ist noch nicht ausreichend entwickelt.“Konkrete Antworten auf die EU-Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron blieb sie jedoch schuldig.
Macron selbst sprach am Mittwoch ebenfalls in Davos. Der Franzose empfahl, eine europäische Strategie für das nächste Jahrzehnt festzuzurren. Diese müsse darauf hinauslaufen, dass die EU eine ökonomische, soziale, ökologische, wissenschaftliche und politische Weltmacht werde.
Paris und Brüssel müssen weiter auf Antworten aus Berlin warten. Die ersehnte europäische Grundsatzrede von Kanzlerin Angela Merkel in Davos ist ausgeblieben. Statt zu erläutern, wie die Großbaustellen in der Eurozone abgearbeitet werden können, blieb die Kanzlerin einmal mehr vage.
Dabei hatten sich Union und SPD in ihren Sondierungen auf einen Neustart der deutschen Europapolitik verständigt. Kein präzises Wort der Kanzlerin jedoch über den Umbau der Währungsgemeinschaft, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker längst auf den Tisch gelegt haben. Die Hängepartie bei der Regierungsbildung lähmt Merkel seit vier Monaten. Die Vorreiterrolle Deutschlands gerät in Vergessenheit, Macron übernimmt die Führung. Je länger das Tauziehen zwischen Union und SPD dauert, desto schwieriger wird es, den Rückstand aufzuholen.
Immerhin: Die Kanzlerin macht in Davos eine klare Ansage an Donald Trump, unterstellt dem USPräsidenten wegen dessen Protektionismus und „America first“-Politik Geschichtsvergessenheit, wirbt für gemeinsame Anstrengungen im Rahmen von UN und G20.