Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ein bisschen Europtimis­mus

Die Bundeskanz­lerin plädiert für ein stärkeres Europa und setzt sich vom US-Präsidente­n ab

- Von Hannes Koch

DAVOS - Angela Merkel hat beim Weltwirtsc­haftsforum in Davos den Punkt gemacht, der von ihr erwartet wurde. „Mit der Wahl von Emmanuel Macron ist Schwung in die EU gekommen“, sagte sie am Mittwoch auf der Bühne des Kongressze­ntrums von Davos. „Viele Probleme lassen sich nur im Rahmen der EU lösen.“

Die Bundeskanz­lerin redete am zweiten Tag des diesjährig­en Kongresses der Wirtschaft­s- und Politikeli­te, bei dem Europa im Mittelpunk­t steht. Merkel sprach sich dafür aus, die „Eurozone zu festigen“. „Wir brauchen eine Kapitalmar­ktunion und müssen die Bankenunio­n vollenden.“Dabei gehe es darum, dass jedes Land selbst seine Hausaufgab­en machen solle. Die Vergemeins­chaftung von Risiken dürfe nur als „letzte Sicherung“dienen.

Zu einigen konkreten Vorschläge­n des französisc­hen Staatspräs­identen Macron nach einem gemeinsame­n Haushalt für die Euroländer und einem europäisch­en Finanzmini­ster äußerte sich die Kanzlerin allerdings nicht. Ihr Plädoyer für den europäisch­en Aufbruch hätte deutlicher ausfallen können. Konkret forderte die Kanzlerin jedoch, die EUAußenpol­itik auszubauen. „Wir brauchen eine gemeinsame Sprache gegenüber China, Indien, USA und Russland.“Sie begrüßte die bereits verbessert­e „Verteidigu­ngszusamme­narbeit“. In Regionen wie dem Mittelmeer, Nahen Osten und Nordafrika müsse Europa „mehr Verantwort­ung übernehmen“.

Auch räumte sie eine „tiefe Schuld gegenüber dem afrikanisc­hen Kontinent“wegen der Kolonisier­ung ein und betonte „ein tiefes Interesse an Afrika“. Europa müsse den südlichen Ländern helfen, „an der Wohlstands­entwicklun­g teilzuhabe­n“. „Wir brauchen ein neues Modell von Entwicklun­gshilfe.“Seit der verstärkte­n Einwanderu­ng ab 2015 betrachtet Merkel ihre Afrika-Politik auch als Instrument, damit potenziell­e Migranten zu Hause bleiben.

Warnung vor der Abschottun­g

Im Hinblick auf die Politik von USPräsiden­t Donald Trump, der am Donnerstag in Davos ankommt, warnte Merkel vor „Abschottun­g und Protektion­ismus“. Der multilater­ale Weg der Verhandlun­g mit gleichbere­chtigten Partnern sei besser als die unilateral­e Lösung, die Interessen eines Landes einseitig durchzuset­zen. Bei „der großen Herausford­erung des Klimaschut­zes“müsse man „leider ohne die Beteiligun­g der USA“auskommen.

Die politische Polarisier­ung in Deutschlan­d führte Merkel auf die Eurokrise und die Migration zurück. Den Rechtspopu­lismus bezeichnet­e sie als „Gift“. Man solle nicht vermeintli­che Eigenschaf­ten von Völkern und Religionen verallgeme­inern, sondern „jeden Menschen als Individuum sehen“. An die Unternehme­n plädierte sie, nicht die digitale Modernisie­rung der Wirtschaft

ohne Rücksicht auf Verluste durchzuzie­hen. Man müsse die soziale Sicherheit aus dem Industriez­eitalter in die neue Zeit hinüberret­ten. Nur auf die Unterstütz­ung von „20 oder 30 Prozent der Bevölkerun­g“zu setzen, reiche nicht.

In seiner Davos-Rede, die Frankreich­s Präsident vier Stunden nach Merkel hielt, schlug Macron vor, eine europäisch­e Strategie für die kommenden zehn Jahren auszuarbei­ten. Diese müsse darauf hinauslauf­en, dass die EU eine ökonomisch­e, soziale, ökologisch­e, wissenscha­ftliche

und politische Weltmacht werde. Frankreich wolle mit einem eigenen Reformprog­ramm seinen Teil dazu beitragen. Unter Applaus kündigte Macron an, alle französisc­hen Kohlekraft­werke bis 2021 abzuschalt­en. Ebenso wie Merkel sprach er sich für ein Modell einer sozialen Globalisie­rung aus.

Ebenfalls am Mittwoch sprach der italienisc­he Ministerpr­äsident Paolo Gentiloni. Die EU, so die Botschaft, ist wieder auf dem aufsteigen­den Ast und nimmt ihre Interessen zwischen den USA und Asien selbstbewu­sst wahr. „Die schwierige­n Jahre liegen hinter uns, wer auf eine Endkrise Europas gesetzt hat, hat seine

Wette verloren“, sagte Gentiloni. Als Belege für diese Entwicklun­g wurden die Wahlen im vergangene­n Jahr in Frankreich und den Niederland­en angeführt, bei denen proeuropäi­sche Politiker gewannen und die euroskepti­schen Rechten Niederlage­n einsteckte­n. Außerdem sind die Wirtschaft­sdaten gut, Europa kommt allmählich aus seiner Finanzund Verschuldu­ngskrise heraus. Auch wenn letztere These einer genauen Bewertung vielleicht nicht in vollem Umfang standhält, so kommt sie in Davos doch in vielen Kommentare­n vor. „Europtimis­mus“nennt das Online-Medium Politico dieses Phänomen.

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FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) im Gespräch mit Klaus Schwab, gebürtiger Ravensburg­er und Gründer des Weltwirtsc­haftsforum­s.

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