Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Der nächste Schritt erfolgt in den USA“
Für den Pharmadienstleister Vetter aus Ravensburg wird Oberschwaben bald zu klein
RAVENSBURG - Der Pharmadienstleister Vetter ist mit 4300 Beschäftigten der größte Arbeitgeber in Ravensburg. Warum das Familienunternehmen in Oberschwaben nun an seine Wachstumsgrenzen stößt, erklären die Geschäftsführer Thomas Otto und Oliver Albrecht im Gespräch mit Benjamin Wagener und Andreas Knoch.
Herr Otto, Herr Albrecht, Vetter ist in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen. Was steckt hinter dem Erfolg?
Otto: Die Entscheidung des Unternehmensgründers Helmut Vetter, sich auf vorgefüllte Einmalspritzen zu konzentrieren. Vetter hat damit einen Markt erschlossen und ihn durch ständige Verbesserungen der Produkte immer weiterentwickelt. Die Doppelkammerspritze von Vetter, bei der Wirkstoff und Lösungsmittel in einem Produkt untergebracht sind, ist bis heute einzigartig auf dem Weltmarkt.
Eine Doppelkammerspritze, das klingt nicht nach Raketentechnik …
Otto: Die erste Variante wurde Ende der 1980er-Jahre eingeführt. Seitdem hat Vetter die Spritzen im Laufe der Jahre immer weiterentwickelt. Wir haben etliche Probleme und Herausforderungen, die sich für die Anwender in der Praxis ergeben, gelöst: Dem Patienten kann exakt die Dosierung verabreicht werden, die der Arzt für notwendig hält. Es gibt also keine Verschwendung der mitunter sündhaft teuren Wirkstoffe. Wir haben einen Verschluss entwickelt, mit dem sich die Spritze im Gefriertrockner automatisch verschließen lässt. Was Vetter aber vor allem auszeichnet ist das Know-how bei der Abfüllung.
Was macht die Abfüllung denn so schwierig?
Otto: Es gibt nicht den einen Abfüllprozess. Etliche Wirkstoffe, insbesondere biopharmazeutisch hergestellte, sind empfindlich gegen Scherkräfte und Hitze. Andere sind hochviskos, also extrem zähflüssig. Wir können für jeden Kunden nicht nur einen für den jeweiligen Wirkstoff geeigneten Abfüllprozess entwickeln. Wir übernehmen auch den Ansatz des abzufüllenden Produkts. Ein solches Gesamtpaket kann – da sind wir ganz unbescheiden – auf der Welt kaum ein Zweiter anbieten.
Die Kunden geben Ihnen also ihre geheimen Rezepturen an die Hand?
Otto: Genau. Die Prozedur ist ähnlich wie beim Kuchenbacken. Wir bekommen von unseren Kunden die Rezeptur, den hochkonzentrierten Wirkstoff und notwendige Hilfsstoffe. Daraus machen wir in unseren Wirkstoffräumen den Ansatz und füllen das Produkt in Spritzen ab. Albrecht: Mit einem halben Liter Wirkstoff, der gut und gerne einen hohen sechsstelligen Euro-Betrag kosten kann, befüllen wir so bis zu 100 000 Spritzen.
Wer sind denn die Kunden von Vetter?
Otto: Von den 20 größten Pharmafirmen weltweit sind inzwischen alle Kunden von Vetter. Und für viele Wirkstoffe dieser Kunden sind wir auch noch der alleinige Abfüller. Dieses Vertrauen, das wir uns über Jahre erarbeitet haben, birgt auch eine große Verantwortung: Auf die Spritzen, die wir abfüllen, sind die Patienten angewiesen. Ein Bluter beispielsweise kann nicht eine Woche auf ein Medikament warten. Deshalb haben Qualität und Liefersicherheit für Vetter einen extrem hohen Stellenwert. Wir wissen, dass wir in einer hochkritischen Branche tätig sind, in der es in der Endkonsequenz um Menschenleben geht.
Wie gewährleisten Sie denn diese hohe Liefersicherheit?
Otto: Wir haben unsere Produktionsanlagen und -prozesse so ausgeschäftigen legt, dass eine unterbrechungsfreie Abfüllung sichergestellt ist. Das heißt beispielsweise, eine redundante Strom- und Wasserversorgung zu unterhalten. Zudem – und da haben wir aus der Not des Flächenmangels eine Tugend gemacht – unterhalten wir im Raum Ravensburg drei unabhängige Produktionsstandorte. Unter Risikoaspekten begrüßen das unsere Kunden sehr.
Kann Vetter seine ambitionierten Wachstumspläne auch künftig noch von Oberschwaben heraus stemmen?
Albrecht: Wir investieren seit einigen Jahren jährlich rund 100 Millionen Euro in den Ausbau der Standorte in Ravensburg. In Ravensburg Süd entstehen aktuell drei neue Fertigungslinien, in der Schützenstraße sind zwei im Bau. Auch unser Logistikzentrum in Erlen bietet noch Raum für eine Expansion. Alles in allem können wir mit unseren oberschwäbischen Standorten ein Umsatzpotenzial von rund einer Milliarde Euro stemmen.
Bei einem Umsatz von 550 Millionen Euro und Wachstumsraten von zehn Prozent wird Oberschwaben auf absehbare Sicht zu klein …
Otto: Das stimmt – ganz abgesehen von den Schwierigkeiten die wir jetzt schon haben, genügend Mitarbeiter zu rekrutieren. Das ist der limitierende Faktor in Oberschwaben. Deswegen können wir hier auch nur eine gewisse Größe erreichen, dann ist Schluss.
Albrecht: Diese Grenze liegt bei 5500 bis 6000 Mitarbeitern, aktuell be- wir rund 4300. All das ist in unserer Werks- und Standortplanung aber auch so berücksichtigt. Unsere drei Produktionsstandorte passen zum Logistikstandort Erlen und der Konfektionierung in Mariatal.
Und was kommt danach?
Otto: Wenn wir darüber hinaus wachsen wollen – und das wollen wir – müssen wir einen großen Wurf machen. Dafür haben wir in den USA in Des Plaines in der Nähe von Chicago ein Grundstück erworben; auch die Baugenehmigung liegt schon vor. Der nächste große Wachstumsschritt für Vetter erfolgt in den Vereinigten Staaten.
Wann rollen in Des Plains die Bagger an?
Otto: Das können wir heute noch nicht mit Sicherheit sagen. Dafür brauchen wir die Zusagen unserer Kunden, die neuen Produktionskapazitäten auch auszulasten. Wir sprechen schließlich über ein Investitionsvolumen von 350 Millionen Euro. Allein ein Reinraum kostet 30 bis 40 Millionen Euro – nur auf die vage Aussicht hin, irgendwann einmal Abfüllaufträge zu gewinnen, gehen wir ein solches Risiko nicht ein.
Und warum dann jetzt schon der Grundstückskauf?
Albrecht: Um Zeit zu gewinnen. Von der Entscheidung für eine solche Investition über die diversen Genehmigungsverfahren bis zur Aufnahme der kommerziellen Produktion brauchen sie rund fünf Jahre. Wir können sofort mit dem Bau beginnen und verkürzen damit diese fünf Jahre auf drei. Das gibt uns die Reaktionszeit, die wir brauchen, um mit den Plänen unserer Kunden mitzuhalten. Denn nach Abschluss der klinischen Testphase für neue Medikamente braucht es auch ungefähr drei Jahre, bis die Zulassung der Arzneimittelbehörden da ist und der Markt für das neue Produkt erschlossen ist.
Was hat den Ausschlag für den Standort USA gegeben?
Otto: Nordamerika ist der größte Pharmamarkt weltweit, und auch die größten Pharmafirmen kommen von dort. Unsere Kunden wollen perspektivisch, dass Vetter in den Vereinigten Staaten Abfüllkapazitäten nicht nur für klinische Versuchsreihen, wie wir sie bereits haben, sondern auch für die kommerzielle Produktion unterhält. Diesem Wunsch tragen wir Rechnung.
Vetter wird von familienfremden Managern geführt. Wie stark bestimmen die Gesellschafterfamilien die Strategie des Unternehmens?
Otto: Die Familie Vetter ist nicht mehr operativ im Unternehmen tätig, aber durchaus präsent. Wir sehen die Eigentümer mindestens einmal pro Monat; einmal im Quartal gibt es Beiratsbesprechungen, in denen auch die Familienstämme vertreten sind. Es besteht also durchaus eine enge Zusammenarbeit.
Warum die Vetter-Chefs Protektionismus nicht fürchten und was die Familienstämme mit dem Gewinn machen lesen Sie online unter