Schwäbische Zeitung (Biberach)
Sotschi plus X oder: Athleten – keine Maschinen
Der DOSB will die Leistungen seiner Sportler bei den Spielen in Südkorea „differenzierter betrachten“
Die vorolympische Saison auf Schnee und Eis war eine der feineren für Deutschlands Wintersportler. Disziplinübergreifend 23 WM-Goldmedaillen, zwölfmal Silber und neunmal Bronze zählte man, allerlei Weltcup-Erfolge außerdem. „Das sind natürlich erst einmal schöne Voraussetzungen“, befand der Mann, der derlei kraft Amtes öffentlich befinden darf: Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Will heißen für Olympia, für Pyeongchang 2018 und die Erfolgsaussichten deutscher Athleten? „Der Weg“, antwortete Funktionär Hörmann im Frühjahr 2017, „ist noch lang und steinig.“
Keine Floskel, weiß man diverse Kreuzbandrisse später. Die Ausfälle eines Severin Freund, eines Felix Neureuther, einer Heidi Zacher, einer Lisa Zimmermann und, und, und – sie schmerzen. Träume, Hoffnungen, Karriereziele sind mit ihnen geplatzt. Medaillenvorgaben allerdings nicht, zumindest keine konkreten. Der DOSB hat seine Lektion gelernt. In Sotschi 2014. Seit Sotschi 2014.
In seinen Zielvereinbarungen mit den sieben deutschen Wintersportverbänden hatte der Dachverband damals einen „Medaillenkorridor“von 27- bis 42-mal Edelmetall vorgegeben; kommuniziert wurde, oft und gerne, eine „30“als Ziel. Geworden sind es 19 Medaillen, acht goldene, sechs silberne, fünf bronzene. „Unsere Athleten“, sagt Veronika Rücker vier Jahre später, „sind keine Maschinen. Der Erfolg ist nur bedingt planbar.“Die 47-Jährige ist seit 1. Januar Vorstandsvorsitzende des DOSB.
Kein kollektiver Korridor mehr
Dirk Schimmelpfennig ist im dritten Jahr Vorstand Leistungssport beim DOSB, in Pyeongchang agiert er als Chef de Mission des deutschen Olympiateams. Ein Mann der Praxis, Tischtennisbundestrainer einst. Er kennt den schmalen Grat zwischen siegen und verlieren. Selbstverständlich, sagt er, bleibe es dabei, „dass wir Medaillen gewinnen wollen. Aber wir freuen uns auch über Weltklasseleistungen, die sich im unmittelbaren Umfeld der Podestplätze bewegen, oder über Athleten, die ihre Bestleistung erreichen.“In Sotschi hatte es neun vierte Plätze gegeben. Von „Blechmedaillen“spricht der Volksmund da gerne. „Ich finde“, sagt Dirk Schimmelpfennig, „man muss die Leistung differenzierter betrachten“, Entwicklungen sehen, Entwicklungsmöglichkeiten auch. Im Widerspruch zur Zielstellung der Spitzensportreform, die vorgibt, „Erfolgspotenziale für Podiumsplätze Mann der Praxis: Dirk Schimmelpfennig, Chef de Mission des deutschen Teams.
(...) zu erkennen und gezielter zu fördern“, sieht der 55-Jährige sich da nicht.
Also: kein kollektiver Korridor mehr – auch, weil „die Prognose einer Medaillensumme für den Erfolg der einzelnen Athletinnen und Athleten unerheblich“sei. Michael Ilgner, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Sporthilfe, spitzt diesen Gedanken noch zu: „Wir distanzieren uns vor den Spielen davon, explizite Erwartungen zu formulieren. Die höchsten Erwartungen hat der Athlet an sich selbst. Da als Außenstehender noch welche reinzuprojizieren, empfinde ich ein Stück weit als anmaßend.“Die Sportlerin, deren Top-Ergebnisse man im vergangenen Winter kaum mehr zählen konnte, würde da wohl zustimmen. Sie wolle „beim Saisonhöhepunkt in Bestform sein“, sagt Biathletin Laura Dahlmeier, „und meine beste Performance abliefern. Dann schauen wir mal, zu was es reicht.“
Kein kollektiver Korridor mehr. Die Frage nach Zahlen beantwortet die offizielle DOSB-Sprachregelung mit „Sotschi plus X“. Alfons Hörmann hakt da gerne ein – nicht nur, weil er kraft Amtes einhaken muss: Mindestens genauso wichtig wie Gold, Silber, Bronze, sagt der DOSBPräsident, sei für ihn „die Vorbildfunktion des Teams“. Eines Teams – 60 Frauen, 94 Mann stark –, das sich auf seinen Internetauftritt (www.teamdeutschland.de) unter anderem das geschrieben hat: „Wir setzen uns keine Grenzen, aber klare Regeln. Wir wollen Erfolg, aber nicht um jeden Preis.“
Auch daran werden die 17 Tage Pyeongchang zu messen sein.
Ramona Straub (24 Jahre, SC Langenordnach): Manchmal ist Sport doch gerecht: 2014 hatte Ramona Straub, 20 damals, die Olympianorm geschafft, nach Sotschi aber flog sie nicht. Stattdessen nach Lahti zum Continental Cup. Dort riss das Kreuzband, Monate später machten Vernarbungen eine weitere Operation notwendig. Seither hat die gelernte Gärtnerin, aktuell bei der Bundeswehr-Sportfördergruppe Sonthofen, „’ne unheimlich positive Entwicklung“genommen, sagt Bundestrainer Andreas Bauer. Vorläufiger Höhepunkt: Rang vier beim Heimweltcup in Hinterzarten vor sieben Wochen. Sie sei „schon noch so ein bisschen ein Rohdiamant“, sagt Andreas Bauer noch über Ramona Straub. In Pyeongchang glänzte der schon einmal: auf den Plätzen fünf und sechs bei der Olympia-Generalprobe 2017.
Wettkampf: Mo., 12. Februar, 13.50 Uhr MEZ: Einzel
Carina Vogt (25 Jahre, SC Degenfeld): Olympiasiegerin 2014. Doppel-Weltmeisterin 2015 und 2017 (jeweils Einzel und MixedTeam). Noch Fragen? Ja – die: Ist Olympia 2018 Zugabe? Nachdenken. Nicht zu knapp. Schließlich sagt Carina Vogt (Foto: dpa): „Ich versuch’ einfach, mich wieder in die Position zu bringen, dass ich die anderen ärgern kann. Alles andere muss passieren.“Und wenn die anderen s-i-e ärgern wollen? „Mich kann man da jetzt relativ schwierig ärgern, ich hab’ mir meinen Traum erfüllt.“Noch Fragen? Nein. Aber gespannt sind wir, was passiert am 12. Februar auf Pyeongchangs Normalschanze.
Wettkampf: Mo., 12. Februar, 13.50 Uhr MEZ: Einzel
SNOWBOARD
Paul Berg (26 Jahre, SC Konstanz, Snowboardcross): Der erste Weltcup-Sieg 2013/14 in La Molina mag der schönste gewesen sein. Der zweite aber, im zweiten SaisonWettbewerb 2017/18 war wohl der wichtigste für Paul Berg: Erster in Val Thorens, Olympiaqualifikation. Mit den Spielen hat Paul Berg seit Sotschi eine Rechnung offen. In seinem Viertelfinallauf fuhr ihm der Kanadier Christopher Robanske in die Spur, riss ihn um. Aus, vorbei, Rang 13. Ob diesmal mehr drin ist? „In unserem Sport kann immer alles passieren.“
Wettkampf: Do., 15. Februar, 3 Uhr MEZ
Alexander Bergmann (30 Jahre, WSV Bischofswiesen, Parallelriesenslalom): In Ravensburg geboren. Gewann 2014 den Weltcup-Parallelslalom in Bad Gastein, war in Sotschi 24. (Parallelslalom; nicht mehr olympisch) und 13. (Parallelriesenslalom). Für Pyeongchang mit erreichter Olympia-Teilnorm nominiert. Stefan
Knirsch, der Sportdirektor von Snowboard Germany: „Es war eng, aber Alex hat in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass er für mehr als nur eine Überraschung gut ist.“In Bad Gastein vor allem, da wurde Alexander Bergmann (Foto: imago) vor drei Wochen Parallelslalom-Zehnter.
Wettkampf: Do., 22. Februar, 4.27 Uhr MEZ (Qualifikation); Sa., 24. Februar, 4.15 Uhr MEZ (Finalläufe)
Jana Fischer (18 Jahre, SC Löffingen, Snowboardcross): Die jüngste deutsche Olympiateilnehmerin hatte ganz andere Saisonziele, wollte sich im Europacup für höhere Aufgaben empfehlen. Gefahren ist Jana Fischer letztlich Weltcup, empfohlen hat sie sich für Pyeongchang. Zwei 16. Ränge verhalfen zu einem internationalen Quotenplatz, der Einzug ins kleine Finale (Platz acht) im türkischen Erzurum nahm alle Zweifel: Drei Monate vor dem Abitur am Gymnasium des Oberstdorfer Skiinternats wird die Bräunlingerin ihre sportliche Reife nachweisen. Mit einem klaren Anspruch – „ich will auf jeden Fall die Qualifikation überstehen“–, mit großer Vorfreude („Ich war noch nie in Südkorea und lasse mich überraschen, was mich erwartet"). Mit 18.
Wettkampf: Fr., 16. Februar, 2.00 Uhr MEZ
EISHOCKEY
Dennis Endras, Sinan Akdag, Marcel Goc, Marcus Kink, Matthias Plachta, David Wolf (Adler Mannheim), Patrick Hager, Frank Mauer, Yannic Seidenberg (RB München): Neun aus 25, die Bundestrainer Marco Sturm in sein Pyeongchang-Aufgebot geholt hat, spielen in einem baden-württembergischen Club Eishockey – oder sind in Baden-Württemberg geboren. Meister München verdankt seine Stärke auch einem Stuttgarter (Patrick Hager), einem Heidelberger (Frank Mauer) und einem Villinger (Yannic Seidenberg) Angreifer; Marcel Goc hat die (wenn man so will) baden-württembergischste Vita: Zur Welt kam er in Calw, seinen Sport lernte er bei der ESG Esslingen, erste Sporen verdiente er sich bei den Schwenninger Wild Wings. In Mannheim erfüllt der Mittelstürmer mit 699 Partien NHL-Erfahrung einen Fünfjahresvertrag bis 2020, in Südkorea spielt Marcel Goc sein drittes olympisches Turnier.
Ihr erstes Spiel: Do., 15. Februar, 4.10 Uhr MEZ gegen Finnland
Eine interaktive Karte zu den Olympiateilnehmern aus Baden-Württemberg und dem westlichen Allgäu finden Sie unter: schwäbische.de/olympioniken