Schwäbische Zeitung (Biberach)
Kretschmann lobt und warnt
Ministerpräsident wirbt für die Gemeinschaftsschule
STUTTGART (kab) - Mit einem Festakt hat die Grünen-Fraktion im Stuttgarter Landtag den fünften Geburtstag der Gemeinschaftsschule gefeiert. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) lobte die Schulart als leistungsstark und bescheinigte ihr, „Vorreiter bei Reformthemen“zu sein. Der Ganztagesunterricht sowie Inklusion gehören zum pädagogischen Konzept der Gemeinschaftsschule. Zugleich warnte er vor Forderungen nach einer Sonderbehandlung durch die Politik. Irgendwann sei auch diese Schulart fest in der Bildungslandschaft etabliert, „und dann muss man sich auch ganz banaler Kritik stellen“, sagte er.
Mit dem Festakt reagierten die Grünen auf Vorwürfe, die grünschwarze Landesregierung missachte die junge Schulart. Dem widersprach Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Abgeordnete von CDU, FDP und SPD fehlten bei der Feier aber.
STUTTGART Zwei Jahre hat der Tübinger Bildungsforscher Thorsten Bohl (Foto: sz) die Einführung der Gemeinschaftsschule im Südwesten wissenschaftlich begleitet. Eine daraus entstandene Studie zeichnete 2016 ein differenziertes Bild der neuen Schulform. Licht und Schatten gebe es bis heute, sagt Bohl im Gespräch mit Kara Ballarin.
Fünf Jahre Gemeinschaftsschule – wie lautet Ihre Zwischenbilanz?
Sie fällt zwiespältig aus. Es gibt Schulen, die sind ungeheuer engagiert, aktiv und innovativ. Sie bringen in vielen Feldern frischen Wind in Schule und Unterricht. Mittlerweile zeigen sich aber auch einige Entwicklungen, vor denen Kollegen und ich seit vielen Jahren gewarnt haben.
Zum Beispiel?
Viele Gemeinschaftsschulen sind ja aus Hauptschulen hervorgegangen. Die Gemeinschaftsschule ist noch sehr stark geprägt vom Hauptschulmilieu. Und es gibt an nicht wenigen Standorten eine deutliche Konkurrenz zwischen Gemeinschafts- und Realschule, weil die Realschulen zu wenig mitgenommen wurden. Das zeigt sich etwa an hübschen Werbeveranstaltungen für Eltern und ihre Viertklässler – im Werben um mittlere und leistungsstärkere Schüler. Das führt zum Teil zu großer Unruhe im Sekundarbereich. Deshalb sollten wir Real- und Gemeinschaftsschulen über bestimmte Merkmale zusammenführen. Es ist beispielsweise nicht einzusehen, warum die Realschulen, deren Schülerschaft zu 20 Prozent aus Kindern mit Gymnasialempfehlung besteht, keinen gymnasialen Bildungsweg anbieten. Bei der Gemeinschaftsschule sind es nur 8,3 Prozent, sie haben solch einen Weg.
Ist das damalige Versprechen von Grün-Rot, Bildung von sozialer Herkunft zu entkoppeln, eingelöst?