Schwäbische Zeitung (Biberach)
Große Koalition rückt näher
Verfassungsgericht prüft SPD-Mitgliederentscheid
BERLIN (sal/dpa) - Bis in die Nacht klärten die Unterhändler der Großen Koalition die letzten Streitfragen. Union und SPD rechneten mit einem Erfolg. „Jeder von uns wird schmerzhafte Kompromisse machen müssen“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu Beginn der letzten Runde.
Unterdessen prüft das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit des nach der Einigung anstehenden SPD-Mitgliederentscheids. Es habe fünf Anträge gegeben, das Votum zu untersagen, sagte ein Gerichtssprecher in Karlsruhe. Danach gibt es Zweifel, ob sich eine Mitgliederbefragung mit der Freiheit der Abgeordneten und den Grundsätzen der repräsentativen Demokratie vereinbaren lässt. Zwei der Anträge wurden bereits abgelehnt. Zuvor waren zum Stichtag, noch am Votum teilnehmen zu können, erneut Tausende in die SPD eingetreten. Die meisten dürften das Ziel haben, die Koalition zu verhindern.
BERLIN - Der Entwurf des Koalitionsvertrags kursiert bereits im Internet, als die Verhandler noch versuchen, die letzten Kompromisse zu schließen. Am späten Nachmittag strömen die 91 Unterhändler aller Fraktionen wieder ins AdenauerHaus, die CDU-Zentrale in Berlin. Sie stehen bereit, die endgültige Fassung noch einmal zu lesen. Zwischen großen und kleinen Runden wird verhandelt, die kleinste, aber mächtigste Runde ist jene der drei Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD), die über die letzten Streitpunkte entscheidet.
„Jeder von uns wird schmerzliche Kompromisse machen müssen“, sagt Kanzlerin Angela Merkel am Morgen. Aber sie sei dazu bereit, „wenn am Ende die Vorteile die Nachteile überwiegen.“Auch SPD-Chef Martin Schulz ist zuversichtlich. Er spricht vom „Tag der Entscheidung“, aber auch von noch intensivem Redebedarf. Bis zuletzt kämpft die SPD um einen wie immer gearteten Einstieg in die Bürgerversicherung und die Abschaffung befristeter Kettenverträge. Die SPD-Abgeordnete Hilde Mattheis warnt am Morgen noch einmal: „Die Bürgerversicherung gleicht einer Gipfelbesteigung, viele Schritte sind notwendig.“. Und sie meint, dass sie nichts davon halte, „einen Schritt zu gehen und dann zu behaupten, die SPD wäre schon am Ziel und die Bürgerversicherung eingeführt“. Bei der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung ist man sich bis zuletzt noch nicht einig. Die Union will den Zusatzbeitrag für gesetzlich Versicherte paritätisch finanzieren, die
SPD will ihn ganz streichen.
Abgesehen von den beiden heiklen Punkten – befristete Arbeitsverträge und Gesundheitswesen – ist bei Koalitionsverhandlungen selten so viel vorher öffentlich geworden. In allen Einzelheiten haben die Verhandler in den letzten Tagen ihre Ergebnisse kurz vorgestellt, aus allen Themen von Familie über Wohnen bis zur Umwelt. Selten auch wurde schon im Vorfeld so viel Kritik geübt.
Die Grünen haben die Pläne der GroKo-Parteien als ideenlos und ungerecht kritisiert – insbesondere im Bereich Klima- und Umweltschutz. Fraktionschef Anton Hofreiter warf SPD und Union „Behäbigkeit“vor.
Überdruss allerorten
Das Gefühl der Behäbigkeit herrscht auch in der Öffentlichkeit. Werden die jetzt endlich mal fertig? So lautet da der Tenor. Sie werden wohl, weil selbst SPD-Chef Martin Schulz meint, er habe „guten Grund anzunehmen, dass wir heute zum Ende kommen werden“. Und Stephan Weil, der niedersächsische SPD-Ministerpräsident meint, jetzt sollte man wirklich zu Potte kommen.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, steht schon am Morgen im Frühstücksfernsehen Rede und Antwort. Der Koalitionsvertrag, so Schneider, werde bestimmt „kein belletristisches Meisterwerk", aber Soziales und Bildung würden größer geschrieben. Eisernes Stillschweigen aber herrscht nach wie vor über die Zukunftspläne von Martin Schulz. Geht er ins Kabinett oder hält er sich an sein Versprechen, niemals Minister unter Angela Merkel zu werden? Ob am Mittwoch überhaupt schon solche Personalien geklärt sind, ist zweifelhaft. Aber die Ressortverteilung, also welche Ministerien an welche Parteien gehen, ist normalerweise in Koalitionsverträgen enthalten.
Am Vormittag will Merkel den CDU-Vorstand informieren. Am Mittag sind Fraktionssitzungen geplant. Dazwischen oder danach werden die drei Chefs wohl auch vor die Presse treten und Rede und Antwort stehen.
Und dann wird, nach einer kurzen Fasnachtspause, die SPD-Spitze auf Werbetour quer durch Deutschland gehen. Denn sie muss in den nächsten drei Wochen ihre Mitglieder überzeugen, Anfang März einer Großen Koalition zuzustimmen. Die CDU hat es da erfahrungsgemäß leichter, ihre Basis ist weniger kritisch, doch auch sie plant einen Parteitag in Berlin.