Schwäbische Zeitung (Biberach)
Alte Jazztraditionen frech modernisiert
Nicole Johänntgen setzt bei ihrem Konzert in Biberach neue Standards
BIBERACH - New-Orleans-Jazz mit Respekt, aber ohne nostalgische Verklärung verarbeitet und mit überschäumender Spielfreude in eine überzeugend avantgardistische Form gegossen, hat Nicole Johänntgen mit ihrem schwedisch-deutschschweizerischen Quartett und ihrem aktuellen Programm „Henry“. Dieses stellte sie beim Freitagskonzert des Jazzclubs Biberach im ausverkauften Jazzkeller vor.
Traditionellen Jazz ohne Geschichtsvergessenheit, augenzwinkernd für die Gegenwart fruchtbar gemacht, hat die in Zürich lebende Saxofonistin und Komponistin auf der ihrem Vater Heinrich „Henry“Johänntgen gewidmeten gleichnamigen CD. Fast greifbar wurde der Geist dieser Zeit über die vielen Jahrzehnte hinweg etwa im tieftraurig beginnenden Titel „Slowly“, der die viel zitierte Szene einer Prozession anlässlich der Beerdigung eines lieben Freundes heraufbeschwor. Obwohl sich, entgegen der ursprünglichen Tradition, das Tempo auf dem Rückweg vom Friedhof nicht plötzlich änderte, blitzte doch in den virtuosen rhythmischen Passsagen des Schlagzeugs (Clemens Kuratle) immer wieder die Lebensfreude der Hinterbliebenen auf.
Virtuose Tuba-Improvisation
Das Quartett spielt hoch motiviert, voll konzentriert, mit hör- und sichtbaren Entzücken und unbändigem Spaß bis zur Selbstvergessenheit besonders in Titeln wie „Tanzbär“oder „The Kids from New Orleans“, hier auch mit einer faszinierenden, hoch virtuosen Tuba-Improvisation von Jörgen Welander. Unter Verwendung der von Jazzlegende Albert Mangelsdorff entwickelten Technik des mehrstimmigen Spiels durch gleichzeitiges Hineinsingen ins Instrument verblüffte Welander ebenso wie der ihm auch darin in nichts nachstehende Schweizer Posaunist René Mosele. Ob in bluesartig schwermütigen Titeln wie „Oh Yes My Friend“mit kollektiven Improvisationen und typisch dreistimmigen Melodiepassagen, in tief melancholisch im larmoyanten Tonfall gehaltenen Titeln wie „They missed love“oder in der als Hommage an „Nola“eingefangenen heiteren Lebhaftigkeit und Leidenschaft der Jazzmetropole – immer war der respektvolle Umgang mit den Stilvorlagen spürbar.
Im zweiten Set schaukelte sich die wechselseitige Begeisterung von Musikern und Publikum schließlich zu einer ungeahnten Intensitätssteigerung auf, bei eifrig wippenden Füßen, Szenenapplaus und stimulierenden Zurufen war der berühmte Funke unverkennbar übergesprungen. Zwei von Johänntgen mitgebrachte völlig neue Kompositionen, noch mit Arbeitstiteln wie „Funky 2“oder „Die weite Sicht“versehen und gewissermaßen druckfrisch, wurden vor einem euphorischen Publikum zur Uraufführung gebracht und sofort begeistert gefeiert.
Leidenschaftliche Improvisationen zwischen Saxofon und Posaune rissen auch hier die zahlreichen Gäste immer wieder zu Beifallsstürmen hin. Natürlich durfte die Topformation am Ende des kurzweiligen Konzerts nicht ohne eine Zugabe von der Bühne.
Mit Arthur Blythes „One mint Julep“erklang die einzige Fremdkomposition des Abends. Viele überzeugte Fans schleppten anschließend noch reihenweise handsignierte CDs mit nach Hause und Nicole Johänntgen hat wohl in Biberach erneut viele frische Follower gefunden.