Schwäbische Zeitung (Biberach)
Debüt der Snowboardrebellin
Silvia Mittermüller erlitt erst im Herbst Hirnblutung
MÜNCHEN (dpa) - Eine Reise zu Olympia ist oft steinig – und Silvia Mittermüller hätte dabei tatsächlich sterben können. An einem Straßenrand in Neuseeland. Fünf Monate vor den Winterspielen. „Das ist mein Weg, der Weg einer verrückten Einzelkämpferin“, erzählt die Münchenerin und lacht. Früher SnowboardHippie, bald Deutschlands erste Olympia-Starterin in Slopestyle und Big Air. In der gedrillten Hochleistungsbranche Spitzensport ist Mittermüller ein Freigeist geblieben. Der Kampf um Medaillen? „Ich habe schon gewonnen, allein weil ich hinfahre“, sagt die 34-Jährige.
Mittermüller ist seit Jahren die beste Freestylerin hierzulande auf dem Snowboard, fuhr bei den X-Games in den USA 2005 auf das Podest und holte 2016 einen Weltcup-Sieg im Slopestyle – das war vor ihr noch keiner Deutschen gelungen. Dass die Winterspiele trotz der langen Karriere ihre ersten werden, hat viele Gründe. Zum einen konnte Mittermüller mit durchorchestriertem Leistungssport noch nie etwas anfangen, für sie ist Snowboarden viel mehr als nur Training und Wettkampf, gewinnen und verlieren. Bei Snowboard Germany bedurfte es einiger Zeit, diese Einstellung zu akzeptieren. „Ich freue mich, dass uns das gelingt, und dass wir es auch als Verband schaffen, über diesen vermeintlichen Schatten zu springen“, sagt Sportdirektor Stefan Knirsch.
Zum anderen hat sich die ehemalige Ballerina eine XXL-Verletztenakte angelegt, samt drei Kreuzbandrissen und einem Achillessehnenriss, der sie 2014 als Medaillenkandidatin um Olympia brachte. „Das ist mit Worten schwer auszudrücken“, sagt sie über die anstehende Olympia-Premiere im fortgeschrittenen Sportleralter. „Ich bin einfach glückselig. Olympia ist das letzte Puzzlestück, das einzige, was mir in einer langen Karriere noch gefehlt hat.“
„Dann wäre ich verreckt.“
Aber fast hätte es wieder nicht geklappt mit den Winterspielen. „Ich bin am 22. September in Neuseeland beim Snowboarden auf den Kopf gestürzt, war dann kurz weg, hatte einen epileptischen Anfall, der medikamentös behandelt werden musste, weil er nach fünf Minuten nicht aufgehört hat. Dann haben mich die Ärzte fehldiagnostiziert und mit einer angeblichen Gehirnerschütterung gehen lassen. Weil mich keiner aus Deutschland begleitet oder abgeholt hat, bin ich per Anhalter sechs Stunden durch die Pampa gefahren, 30 Stunden heimgeflogen, dann auf die Wiesn in München gegangen und habe zwei Maß getrunken. Am nächsten Tag ging es mir extrem schlecht, also bin ich zu einem Neurologen, der Alarm schlug und sagte: Du hast eine Hirnblutung.“
Mittermüller redet schnell, wenn sie über die Episode spricht, fast so als wollte sie in der Erinnerung die Zeit vorspulen. Nach der Untersuchung stürzte die Sportlerin in das „tiefste Tief, was man sich vorstellen kann“, so die Bundeswehrsoldatin. Der Arzt verordnete sechs Wochen Ruhe, „keine Bildschirme, kein Sport, kein Fitnesscenter oder Training, kein Snowboarden oder Surfen, kein Telefonieren oder Lesen.“Und das in der Olympia-Saison!
Nach der Pause wurde es stressig: Um die Qualifikation zu schaffen, musste sie vier Big Airs innerhalb von fünf Wochen auf drei Kontinenten fahren, immer zwei Kernspins im Gepäck, sollte sie wieder auf den Kopf stürzen. Ob sie für Olympia ihr Leben auf Spiel setzt? „Jein, irgendwie vielleicht schon“, so Mittermüller. „In Neuseeland ja, denn wenn ich da am Straßenrand nochmal zusammengebrochen wäre, dann wäre ich verreckt.“Nicht nur deshalb sagt sie: „Lebe den Moment“und will Pyeongchang einfach nur genießen. Die Rebellin hat Pause in Südkorea. „Ich hoffe, dass die wilderen Zeiten mal kurz vorbei sind, dass es ein „smooth sailing“wird bei Olympia, ein Genuss“, sagte sie. „Es ist an der Zeit.“