Schwäbische Zeitung (Biberach)
Kritik an Heidi Klum
Widerstände gegen „Germany’s Next Topmodel“wachsen
STUTTGART (dpa) - „I’m not Heidi’s girl“, singt ungefähr ein Dutzend Mädchen in einem Video, das auf YouTube kursiert. „I am more than my looks.“Heißt so viel wie: „Ich bin nicht Heidis Mädchen. Ich bin mehr als mein Aussehen.“Schülerinnen aus Hamburg stecken hinter dem Song, der sich gegen die Casting-Modeshow „Germany’s next Topmodel“(GNTM) richtet. Das trifft einen Nerv: Der Clip wurde bisher etwa eine halbe Million Mal geklickt. Die Kritik an der Sendung hat diesmal eine andere Dynamik als in den Vorjahren. Experten zufolge hat das auch mit der Debatte um #MeToo zu tun.
Debatte um Schönheitsideal
„Ich glaube, die Botschaft, die bei GNTM transportiert wird, ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Soziologin Nina Degele von der Uni Freiburg. „Kritik ist immer daran geübt worden, aber nun geht es tiefer.“Der Song greift den Hashtag #NotHeidisGirl der feministischen Gruppe Vulvarines auf und wendet sich gegen die in der Sendung propagierten Schönheitsideale. „Ich kann mir vorstellen, dass es mit #MeToo zu tun hat, dass sich das Klima geändert hat“, sagt Degele. „Die Stimmung in der Gesellschaft ist sensibler geworden.“Die #MeToo-Debatte entstand im vergangenen Herbst, nachdem Vorwürfe sexueller Übergriffe gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein laut geworden waren.
„Angesichts monatelanger Sexismusund Gleichstellungsdebatten wirkt das Zurschau- und gleichermaßen Bloßstellen junger Mädchen nur noch wie blanker Hohn“, schreibt eine Autorin des Branchendiensts „Meedia“. Zwar habe es schon immer Kritik an dem Format gegeben. „Doch in diesem Jahr fühlt es sich noch mal anders an, noch falscher und vor allem: zynischer.“
Wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab, findet die Mehrheit der Deutschen, dass das Format ein falsches Schönheitsideal vermittelt. Auch die Quoten waren zuletzt eher mau. „Die Kritik an „Germany’s next Topmodel“hat sich geändert, weg von der Magersuchtsdebatte hin zu einem sehr viel größeren Thema: Was ist eigentlich Weiblichkeit?“, sagt Medienwissenschaftlerin Miriam Stehling von der Uni Tübingen. Es gehe in der Debatte auch um die Unterwerfung von Frauen – bei GNTM etwa vor den Vorgaben der Jury und dem Schönheitsideal. „Es geht nicht um einen Schlankheitswahn, sondern darum: Was für ein Frauenbild transportieren wir eigentlich?“
Stehling hat auch untersucht, warum sich Frauen GNTM anschauen. „Junge Mädchen, die GNTM schauen, sind nicht unbedingt mit dem Frauenbild einverstanden“, erklärt sie. „Da gibt es eine Ambivalenz, indem sie etwa sagen: ,Ich schaue mir das gerne an’“, die sexistischen Aufforderungen aber kritisch reflektieren.“Für 14- bis 20-Jährige sei Reality-TV normal. „Sie wissen, dass es inszeniert ist“, sagt Stehling. Aber: „Sie verbannen deswegen nicht das ganze Format.“
Differenzierter Blick
Der Protest der Schülerinnen zeige, dass die Zielgruppe das Format kritisch sehe und das Frauenbild hinterfrage, sagt Stehling. „Man muss aber differenzieren zwischen sexistischen Aufforderungen, wie es sie bei GNTM gibt, und sexualisierter Gewalt.“In der Show müssen Teilnehmerinnen zwar in knappen Outfits oder nackt mit Bodypainting posieren. Mit den Übergiffen, die bei #MeToo zur Sprache kommen, kann man das Stehling zufolge aber nicht vergleichen.
ProSieben nimmt die Kritik übrigens gelassen. „Seit 13 Jahren wird GNTM immer wieder von Medienwächtern geprüft und als unbedenklich eingestuft“, erklärt ein Sprecher. „Aber seit 13 Jahren arbeiten sich auch unterschiedlichste Gruppen an GNTM ab, um für ihre Organisation oder ihr Produkt Aufmerksamkeit zu bekommen.“In dem Fall sei das die Organisation „Pinkstinks“, die hinter dem Protestsong steht.