Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Hier in Uganda haben die Menschen Zeit“
Die Eberhardzellerin Carmen Stephan unterrichtet dort seit sechs Monaten an einer Schule
EBERHARDZELL/KASANJE - Nach der Schule direkt mit dem Studium anzufangen kam für die 20-jährige Carmen Stephan aus Eberhardzell nicht infrage. Sie wollte sich sozial engagieren und die Welt kennenlernen. Die junge Frau meldete sich als Freiwillige beim weltkirchlichen Friedensdienst, der sie nach Uganda entsandte. Dort unterrichtet sie seit einem halben Jahr an einer Schule in Kasanje, einem kleinen Ort im Süden des Landes.
„Mitleben, mitbeten, mitarbeiten“: Unter diesem Motto bieten der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) der Diözese Rottenburg-Stuttgart und die Hauptabteilung Weltkirche jungen Menschen aus der Diözese die Möglichkeit, ein Jahr in Afrika, Lateinamerika oder Asien zu verbringen und lädt junge Menschen aus den Partnerdiözesen nach Deutschland ein.
Strom nicht selbstverständlich
Die Schule, an der Carmen Stephan unterrichtet, liegt im Nirgendwo. Die nächste geteerte Straße ist eine halbe Stunde entfernt, Strom und fließendes Wasser sind keine Selbstverständlichkeit. „Die Hygienestandards und dass in meinem Zimmer nicht nur Salamander, sondern auch manchmal Kakerlaken herumlaufen, all das war für mich zu Beginn ein Schock“, erinnert sich die junge Frau. Trotzdem habe sie sich schnell heimisch gefühlt, denn das Kollegium und die Internatsschüler würden zusammen eine große Familie bilden.
An der Schule in Kasanje werden Kinder ab zwei Jahren unterrichtet. Auch die ganz Kleinsten müssen den halben Morgen am Tisch sitzen und lernen. Wer vergisst, dabei Englisch zu reden oder seine Fingernägel zu schneiden, wird mit dem Stock bestraft. „Anfangs habe ich es nicht ertragen, dabei zuzuschauen, und musste weggehen“, sagt Carmen Stephan. „Diese Art der Bestrafung hat bei mir ein totales Unverständnis ausgelöst, denn so bin ich nicht erzogen worden und das geht auch gegen meine Werte“, erklärt sie. Dennoch sieht sie es nicht als ihre Aufgabe, ihren Kollegen zu sagen, sie müssten es anders machen. „In meinem Unterricht lernen die Kinder, dass es auch ohne Stock geht – und ich habe oft einheimische Kollegen in meinem Unterricht sitzen, die mich danach darauf positiv ansprechen“, erklärt die 20-Jährige. „Meine Hoffnung ist daher, dass in diesem Bereich langsam ein Umdenken stattfinden wird.“Ihre afrikanischen Kollegen würden zudem ausschließlich frontal unterrichten – dass Schüler das Erlernte hinterfragen oder selbstständig denken, sei nicht erwünscht. „Bei mir lernen die Kinder, dass es okay ist, laut zu denken und auch mal einen Fehler zu machen. Wenn durch mich daher auch nur ein Kind einen anderen Weg geht, dann ist das schon ein großer Erfolg für mich.“
Zeit für Gemeinschaft
Doch natürlich ist das nur die eine Seite der ugandischen Kultur. Vieles aus ihrem neuen Alltag erlebt Carmen Stephan als positive Erfahrung. „Die Europäer haben die Uhr, hier in Uganda haben die Menschen Zeit. Zeit, die man sich für sei Gegenüber nimmt, wodurch ein unglaublich tolles Gefühl der Gemeinschaft entsteht. Zeit, die ich während meiner Schulzeit in Deutschland so nie hatte und die ich nun zum Leben, Wahrnehmen, Gemeinschafterleben, Zuhören und Reflektieren nutzen kann.“
Sie habe in Uganda gelernt, Dingen eine ganz andere Bedeutung zuzumessen. „Wie oft sieht man es in Deutschland, dass sich Freunde verabreden und am Ende doch jeder nur allein am Handy sitzt und auf seinen Bildschirm starrt ... Eine Art von Treffen, der ich hier nicht begegnen musste. Man nimmt sich Zeit füreinander und es stellt sich intensiv auf sein Gegenüber ein.“Besuche müssten in Uganda nicht immer angemeldet werden. Auch habe sie erfahren, dass es den Afrikanern nicht wichtig sei, woher man komme und wie viel Geld man habe. „Der Grund deines Herzens zählt.“Für sich selbst habe sie gelernt, mehr wertzuschätzen, was sie habe, „und mich nicht immer nach mehr zu sehnen und vielmehr den Blick auf die Gemeinschaft und die Herzlichkeit der Menschen zu richten“.
Vor Kurzem habe sie sich mit anderen Freiwilligen auf einem Seminar getroffen, um ihre bisherigen Erfahrungen zu reflektieren. „Viele von uns tun sich schwer mit der Züchtigung der Kinder, aber wir sind uns einig, dass wir Freiwilligen versuchen, Dinge im Kleinen zu bewegen und es uns auch nicht zusteht, so zu tun, als ob wir alles besser wissen.“
Obwohl sie noch ein halbes Jahr vor sich hat, ist Carmen Stephan sich jetzt schon sicher, dass diese Auszeit die absolut richtige Entscheidung gewesen ist. „Uganda hat meinen Horizont sehr erweitert. Mir tut es gut, eine andere Kultur so gut kennenzulernen und ich werde mit einem anderen Blick auf das Leben nach Deutschland zurückkehren.“
Carmen Stephan berichtet regelmäßig über ihr Leben in Uganda in ihrem Blog: https://carmen-inuganda.wixsite.com/mit-teilen