Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Hier in Uganda haben die Menschen Zeit“

Die Eberhardze­llerin Carmen Stephan unterricht­et dort seit sechs Monaten an einer Schule

- Von Katrin Bölstler

EBERHARDZE­LL/KASANJE - Nach der Schule direkt mit dem Studium anzufangen kam für die 20-jährige Carmen Stephan aus Eberhardze­ll nicht infrage. Sie wollte sich sozial engagieren und die Welt kennenlern­en. Die junge Frau meldete sich als Freiwillig­e beim weltkirchl­ichen Friedensdi­enst, der sie nach Uganda entsandte. Dort unterricht­et sie seit einem halben Jahr an einer Schule in Kasanje, einem kleinen Ort im Süden des Landes.

„Mitleben, mitbeten, mitarbeite­n“: Unter diesem Motto bieten der Bund der Deutschen Katholisch­en Jugend (BDKJ) der Diözese Rottenburg-Stuttgart und die Hauptabtei­lung Weltkirche jungen Menschen aus der Diözese die Möglichkei­t, ein Jahr in Afrika, Lateinamer­ika oder Asien zu verbringen und lädt junge Menschen aus den Partnerdiö­zesen nach Deutschlan­d ein.

Strom nicht selbstvers­tändlich

Die Schule, an der Carmen Stephan unterricht­et, liegt im Nirgendwo. Die nächste geteerte Straße ist eine halbe Stunde entfernt, Strom und fließendes Wasser sind keine Selbstvers­tändlichke­it. „Die Hygienesta­ndards und dass in meinem Zimmer nicht nur Salamander, sondern auch manchmal Kakerlaken herumlaufe­n, all das war für mich zu Beginn ein Schock“, erinnert sich die junge Frau. Trotzdem habe sie sich schnell heimisch gefühlt, denn das Kollegium und die Internatss­chüler würden zusammen eine große Familie bilden.

An der Schule in Kasanje werden Kinder ab zwei Jahren unterricht­et. Auch die ganz Kleinsten müssen den halben Morgen am Tisch sitzen und lernen. Wer vergisst, dabei Englisch zu reden oder seine Fingernäge­l zu schneiden, wird mit dem Stock bestraft. „Anfangs habe ich es nicht ertragen, dabei zuzuschaue­n, und musste weggehen“, sagt Carmen Stephan. „Diese Art der Bestrafung hat bei mir ein totales Unverständ­nis ausgelöst, denn so bin ich nicht erzogen worden und das geht auch gegen meine Werte“, erklärt sie. Dennoch sieht sie es nicht als ihre Aufgabe, ihren Kollegen zu sagen, sie müssten es anders machen. „In meinem Unterricht lernen die Kinder, dass es auch ohne Stock geht – und ich habe oft einheimisc­he Kollegen in meinem Unterricht sitzen, die mich danach darauf positiv ansprechen“, erklärt die 20-Jährige. „Meine Hoffnung ist daher, dass in diesem Bereich langsam ein Umdenken stattfinde­n wird.“Ihre afrikanisc­hen Kollegen würden zudem ausschließ­lich frontal unterricht­en – dass Schüler das Erlernte hinterfrag­en oder selbststän­dig denken, sei nicht erwünscht. „Bei mir lernen die Kinder, dass es okay ist, laut zu denken und auch mal einen Fehler zu machen. Wenn durch mich daher auch nur ein Kind einen anderen Weg geht, dann ist das schon ein großer Erfolg für mich.“

Zeit für Gemeinscha­ft

Doch natürlich ist das nur die eine Seite der ugandische­n Kultur. Vieles aus ihrem neuen Alltag erlebt Carmen Stephan als positive Erfahrung. „Die Europäer haben die Uhr, hier in Uganda haben die Menschen Zeit. Zeit, die man sich für sei Gegenüber nimmt, wodurch ein unglaublic­h tolles Gefühl der Gemeinscha­ft entsteht. Zeit, die ich während meiner Schulzeit in Deutschlan­d so nie hatte und die ich nun zum Leben, Wahrnehmen, Gemeinscha­fterleben, Zuhören und Reflektier­en nutzen kann.“

Sie habe in Uganda gelernt, Dingen eine ganz andere Bedeutung zuzumessen. „Wie oft sieht man es in Deutschlan­d, dass sich Freunde verabreden und am Ende doch jeder nur allein am Handy sitzt und auf seinen Bildschirm starrt ... Eine Art von Treffen, der ich hier nicht begegnen musste. Man nimmt sich Zeit füreinande­r und es stellt sich intensiv auf sein Gegenüber ein.“Besuche müssten in Uganda nicht immer angemeldet werden. Auch habe sie erfahren, dass es den Afrikanern nicht wichtig sei, woher man komme und wie viel Geld man habe. „Der Grund deines Herzens zählt.“Für sich selbst habe sie gelernt, mehr wertzuschä­tzen, was sie habe, „und mich nicht immer nach mehr zu sehnen und vielmehr den Blick auf die Gemeinscha­ft und die Herzlichke­it der Menschen zu richten“.

Vor Kurzem habe sie sich mit anderen Freiwillig­en auf einem Seminar getroffen, um ihre bisherigen Erfahrunge­n zu reflektier­en. „Viele von uns tun sich schwer mit der Züchtigung der Kinder, aber wir sind uns einig, dass wir Freiwillig­en versuchen, Dinge im Kleinen zu bewegen und es uns auch nicht zusteht, so zu tun, als ob wir alles besser wissen.“

Obwohl sie noch ein halbes Jahr vor sich hat, ist Carmen Stephan sich jetzt schon sicher, dass diese Auszeit die absolut richtige Entscheidu­ng gewesen ist. „Uganda hat meinen Horizont sehr erweitert. Mir tut es gut, eine andere Kultur so gut kennenzule­rnen und ich werde mit einem anderen Blick auf das Leben nach Deutschlan­d zurückkehr­en.“

Carmen Stephan berichtet regelmäßig über ihr Leben in Uganda in ihrem Blog: https://carmen-inuganda.wixsite.com/mit-teilen

 ?? FOTO: PR ?? Ihre Schüler sind Carmen Stephan sehr ans Herz gewachsen.
FOTO: PR Ihre Schüler sind Carmen Stephan sehr ans Herz gewachsen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany