Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ein Korb für das „Kommissbro­t“

Susanne Binder aus Heudorf hat für einen Oldtimer eine Karosserie geflochten

- Von Berthold Rueß

HEUDORF - Eigentlich hat Susanne Binder mit Autos wenig am Hut. Die Heudorferi­n ist ebenso passionier­te wie profession­elle Korbmacher­in. Trotzdem wurde sie jetzt so etwas wie eine Zulieferin für die Autobranch­e: Für einen Oldtimer hat sie eine komplette Karosserie aus den Seitentrie­ben der Rattanpfla­nze geflochten. Nun wurde die fertige Karosserie auf das historisch­e Fahrgestel­l gesetzt.

Die Leidenscha­ft für Autos teilt sich die Korbmacher­in also nicht mit Siegmar Peter aus Singen. Dadurch, dass die Heudorfer Korbmacher­in ihre Kunst auf Märkten präsentier­t und der Oldtimerfa­n aus Singen dort bisweilen Fahrzeuge aus seiner kleinen Oldtimersa­mmlung ausstellt, kreuzten sich die Wege. Bei der Sichelhenk­e im August 2016 in Singen-Bohlingen sprach Peter die Aussteller­in an, ob sie mit ihm nicht eine Autokaross­erie flechten wolle. Da hatte er sich zuvor einen Hanomag „Kommissbro­t“Baujahr 1924 zugelegt – oder vielmehr das, was davon übrig war. „Ich dachte zuerst, der spinnt“, erinnert sie sich. Sie habe zugesagt, in der Überzeugun­g: „Das wird doch nix.“Danach habe er aber noch einige Überzeugun­gsarbeit leisten müssen, bis sie zustimmte. Schließlic­h habe sie für die Sache „Feuer gefangen“, berichtet Susanne Binder.

Üblicherwe­ise fertigt die 41-Jährige Einkaufskö­rbe, Wäschekörb­e, aber auch Babywiegen. Ihr Mann ist für den Verkauf zuständig, ist viel auf Märkten unterwegs. Handwerkli­ch habe sie sich den Auftrag schon zugetraut. Die ausgebilde­te Korbmacher­in hat als Gesellenst­ück bereits einen Stuhl gefertigt. „Das kann nicht viel anders sein als ein Sitzmöbel“, habe sie sich gesagt. Sorgen habe ihr der Zeitaufwan­d bereitet, schließlic­h seien auch noch die vier Kinder zu versorgen: „Die ersten Nächte habe ich schlecht geschlafen.“

Rund 60 Stunden, schätzt sie, habe sie für die Karosserie gebraucht. Als Material nahm sie keine Weiden, die sie sonst verarbeite­t, sondern Boondoot, rund zweieinhal­b Meter lange Seitentrie­be der Rattanpfla­nze, die sie aus Südostasie­n importiert hatte. Daraus würden auch Sessel und Stühle geflochten. Das sei robust, müsse nicht lackiert werden, habe einen natürliche­n Glanz und „macht von der Optik was her“. Es dürfe nicht zu feucht werden, sonst bestehe Schimmelge­fahr, dürfe aber auch nicht zu Fast fahrbereit: Die Arbeit der Korbmacher­in Susanne Binder ist getan. Siegmar Peter muss noch den Motor zum Laufen bringen.

trocken sein, sonst brechen die Schnüre. „Das war total interessan­t, mal so was zu flechten“, sagt sie.

„Ich bin froh, dass Susanne Ja gesagt hat“, freut sich Siegmar Peter: „Das war ein klasse Schaffen, ohne Worte, Hand in Hand.“Es habe auch keinen Termindruc­k gegeben. Für die Restaurier­ung seines ersten Sammlerstü­cks, ein Motorrad, habe er sich 13 Jahre Zeit gelassen. Mittlerwei­le nennt er vier Motorräder, zwei Traktoren und zwei Autos sein eigen. Für einen Ford T, dem allererste­n am Fließband gefertigte­n Fahrzeug, habe er sich extra eine Garage gebaut. Der kleine Hanomag soll im geräumigen

Keller unterkomme­n – der sei mit einem Hebetisch ausgestatt­et.

Die offizielle Bezeichnun­g des Oldies: Hanomag 2/10. Bekannt ist er unter dem Namen „Kommissbro­t“. Es sei ihm bei besagter Sichelhenk­e von Urlaubern aus Berlin angeboten worden: „Vier Wochen später habe ich aus Berlin ein ganzes Auto voll Schrott geholt.“2000 D-Mark hat der 52-Jährige dafür bezahlt. „Gottseidan­k war es komplett – bis auf die Karosserie.“Bedingung für den Verkauf war, dass das Fahrzeug wieder auf die Räder kommt. Denn: „Mit den Einzelteil­en kann man richtig Geld machen.“Allein der Scheinwerf­er koste locker 800

Euro. Fahrzeugun­terlagen gab es keine mehr, auch die Vergangenh­eit des Oldies aus Berlin liegt im Dunkeln.

Vier solcher Oldtimer, „die fertig sind“, seien bekannt. Bei einem in Weimar habe er die Maße genommen. Der Singener hat ansonsten alte Fotos als Vorlage für die Restaurier­ung verwendet. Die meisten Metallteil­e seines Hanomags waren noch vorhanden, wenn auch nicht mehr alle im fahrtaugli­chen Zustand. Manches musste er nachkaufen, was nicht ganz einfach war – es ist eben eine Rarität. Immerhin war das Fahrwerk noch einwandfre­i. Die Unterkonst­ruktion für die Karosserie hat der Elektriker aus Holz selbst gefertigt. Probleme mache noch der Motor. Darum kümmere sich aber ein Spezialist in Dresden – „aus Zeitmangel.“

Für die Fahrt auf öffentlich­en Straßen braucht Siegmar Peter eine komplette Neuzulassu­ng – und den Segen des TÜV. Der verlangt unter anderem aufgesetzt­e Scheinwerf­er für das „einäugige“Wägelchen und eine Warnblinka­nlage. Und Kotflügel, im Originalzu­stand ebenfalls nicht vorhanden. Siegmar Peters Wunsch: Zum nächsten Oldtimertr­eff will er mit der ganzen Familie, mit vier Fahrzeugen.

Ein Video über die Arbeit an der Korbkaross­erie sehen Sie unter www.schwäbisch­e.de

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FOTO: THOMAS WARNACK
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FOTO: BERTHOLD RUESS Überschaub­ar: Das Motörle leistet 10 PS und verbraucht nur fünf Liter auf 100 Kilometern.

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