Schwäbische Zeitung (Biberach)
Daimler-Forscher wehren sich gegen Aus
Mitarbeiter protestieren gegen die Verlagerung von Ulm nach Stuttgart – Erster kleiner Erfolg
ULM - Es sind keine typischen Arbeitskämpfer, die sich vor dem Werkstor des Daimler-Forschungszentrums in Ulm versammelt haben. Sondern Ingenieure, Informatiker und Doktoranden. „Das ist ein absolutes Novum“, sagt Frank Niebling, der Ulmer Betriebsratsvorsitzende. Rund 230 Mitarbeiter sind den Veranstaltern zufolge gekommen – knapp die Hälfte der Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz in der Ulmer Wissenschaftsstadt aufgeben müssten. Wie berichtet, will die Daimler AG das Forschungszentrum von Ulm nach Sindelfingen, Stuttgart-Untertürkheim oder an den neuen Standort Immendingen verlagern.
Die Wut und die Enttäuschung der Mitarbeiter sind spürbar. Mit einem Konzert aus Trillerpfeifen und Klappern begleiten sie die Forderungen, die der Betriebsratsvorsitzende und die IG-Metall-Bevollmächtigte Petra Wassermann über ein Mikrofon ausrufen.
„Es will keiner mit, aber wir wissen nicht, was wir dann tun sollen“, sagt Sabine Miller, die im Sekretariat der Standortleitung arbeitet. „Die Leute sind hoch qualifiziert, sie sind gesucht auf dem Markt“, sagt der Betriebsratschef. Er sieht nicht nur ein Risiko für die berufliche Perspektive seiner Kollegen, sondern warnt auch seinen Arbeitgeber. Ulmer DaimlerForscher sind für ihre Ideen ausgezeichnet worden. Sie arbeiten an der CO2-Reduzierung und am Autonomen Fahren. Durch den Umzug könne viel Wissen verloren gehen, sagt Niebling. Die Uni Ulm forscht in ähnlichen Bereichen, enge Netzwerke sind entstanden. Die könnten zerbrechen – und nicht jeder der Experten wird den Umzug mitmachen. Niebling berichtet, dass bereits Eigenkündigungen eingegangen sind.
Nachvollziehbare Gründe für die Verlagerung habe die Unternehmensführung den Beschäftigten noch immer nicht genannt, kritisiert Niebling. „Es gibt keinen wirtschaftlich belegbaren Vorteil für die Verlagerung der Forschung“, ruft er bei der Kundgebung vor dem Werkstor. Der Betriebsratsvorsitzende greift die DaimlerSpitze an. Erst am Wochenende waren Pläne des Unternehmens für eine neue, weniger hierarchische Führungskultur bekannt geworden. Niebling erinnert in seiner Rede daran, wie die Ulmer Mitarbeiter von dem Vorhaben, umzuziehen, erfahren haben: „In einer kurzen E-Mail – noch unpersönlicher geht es nicht!“
Die Nachricht kam nicht nur unpersönlich, sondern auch knapp. Erst einen Tag vor Bekanntgabe der Pläne erfuhr der Betriebsrat davon. Auch die Standortleitung wurde nicht früher über die Pläne informiert, wie mehrere Mitarbeiter unserer Zeitung berichteten. sagt um die Wissenschaftsstadt und um Stellen dort kümmern. Das kommt an bei den Arbeitskämpfern.
Die Streiter für den Standort fahren zweigleisig: Sie setzen sich für Ulm ein – und wollen für den Fall, dass ein Umzug nicht abzuwenden ist, das Beste für die Mitarbeiter herausschlagen. Es gehe auch um Alleinerziehende, Rollstuhlfahrer oder Kollegen, die Angehörige pflegen müssten, sagt Niebling: „Die können sich nicht täglich vier Stunden in den Stau stellen.“Er fordert von Daimler ein Konzept, bei dem sich Familie und Beruf vereinbaren lassen. Überhaupt der Stau: In Ulm forschen die Daimler-Mitarbeiter unter anderem daran, wie der CO2-Ausstoß bei Autos gesenkt werden kann. Ausgerechnet diese Leute sollen nun mit dem Auto pendeln müssen.
Zumindest einen kleinen Erfolg kann Niebling vermelden: Wenn der Umzug kommt, dann später, als befürchtet. Ursprünglich hatte ein Daimler-Sprecher verkündet, der Umzug des Forschungszentrums solle noch in diesem Jahr abgeschlossen sein. Jetzt sagt der Betriebsratsvorsitzende: „Bis Ende 2018 bleibt der Standort, wie er ist.“ Sabine Miller, die im Sekretariat der Standortleitung arbeitet.
OB Czisch zeigt sich solidarisch
Petra Wassermann, Erste Bevollmächtigte der IG Metall, kündigt an: „Wir versuchen alles, dass der Standort erhalten bleibt.“Sie verliest eine Botschaft von Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch: Die Stadt werde sich in den nächsten Jahren intensiv
„Es will keiner mit, aber wir wissen nicht, was wir dann tun sollen“,