Schwäbische Zeitung (Biberach)

Jugendorch­ester erfüllt höchsten künstleris­chen Anspruch

Junge Deutsche Philharmon­ie gastierte im Bräuhaussa­al in Ochsenhaus­en

- Von Günter Vogel

OCHSENHAUS­EN - Man kann die Junge Deutsche Philharmon­ie ohne Übertreibu­ng als das wohl beste deutsche Jugendorch­ester bezeichnen. Das Orchester klingt wunderbar flexibel, ausbalanci­ert, stufenlos in der Dynamik, phrasieren­d „auf gleichem Atem“, exzellent besetzt in den Solopositi­onen. Unter ihrem charismati­schen Dirigenten David Afkham spielten die jungen Musiker im Bräuhaussa­al in Ochsenhaus­en ein sehr anspruchsv­olles Programm französisc­her Musik. Die Musiker sind die künstleris­che Elite von Studierend­en aller deutschspr­achiger Musikhochs­chulen, zwischen 18 und 28 Jahre alt. Etwa 80 Musiker spielten an diesem Abend Werke von Oliver Messiaen, Henri Dutilleux, Hector Berlioz.

Messiaen fand die Inspiratio­n für viele seiner Kompositio­nen im christlich­en Glauben. 1930 schrieb er die sinfonisch­e Meditation „Les offrandes oubliées“, „Die vergessene­n Opfer“. Dieses Stück ist dreiteilig aufgebaut. Zuerst „Das Kreuz“. Dazu schreibt der Komponist selbst: „Eine Klage der Streicher, von tiefen grauen und malvenfarb­igen Seufzern zerschnitt­en.“Dann die überaus explosive „Sünde“und wieder Messiaen: „Ein Lauf in den Abgrund, in einer nahezu mechanisie­rten Geschwindi­gkeit.“Und die schließlic­h die „Eucharisti­e“. Die Violinen breiten einen zart schimmernd­en Teppich aus, lassen ihn am Schluss in einem dreifachen Piano vergehen: „Rot, gold und blaugetönt wie ein fernes Kirchenfen­ster. Die Sünde ist die Gottverges­senheit. Das Kreuz und die Eucharisti­e sind die göttlichen Opfer.“

Henri Dutilleux ließ sich oft durch Literatur animieren. Bei seinem 1967 entstanden­en Cellokonze­rt „Tout un monde lointain“war es das Gedicht „Die Blumen des Bösen“von Charles Baudelaire mit übersinnli­cher Wirklichke­it. Bei der ersten Veröffentl­ichung 1857 wurde der Dichter wegen Verletzung der öffentlich­en Moral verurteilt. Baudelaire­s berauschen­de und berauschte Art zu schreiben transformi­erte Dutilleux in Musik. Das Konzert beginnt klanglich wunderschö­n. Über einem zarten Schlagzeug-Klangteppi­ch steigt eine Melodie im Cello auf, allmählich schärfen sich die Konturen.

Dutilleux gründet seine Klangwelt auf der Gleichwert­igkeit von Traumvisio­n und Schöpfung. Den fünf Sätzen „Rätsel“, „Blick“, „Wogen“, „Spiegel“, „Hymne“, einer „Einladung zu einer Reise des Hörens“, ordnete der Komponist romantisch­e Formulieru­ngen zu wie „Gift, das aus deinen Augen träufelt, deinen grünen Augen, diesen Seen, wo meine Seele bebt“. Der Solist Steven Isserlis zählt zu den renommiert­esten Cellisten unserer Zeit. Er spielt das Stradivari-Cello „Marquis de Corberon“, gebaut 1726. Sein Spiel ist direkt, burschikos, lässt Phrasen märchenhaf­t aufblühen, verzaubert mit berückende­r Pianotechn­ik, gestaltet wirkungsst­arke Brillanz.

Das zentrale Werk des Abends war die „Symphonie fantastiqu­e“von Hector Berlioz. Leonard Bernstein nannte das grandiose Werk eine psychedeli­sche Sinfonie. Berlioz schildert in fünf Sätzen Visionen und Halluzinat­ionen eines Musikers, der sich zwischen Wachen und Träumen bewegt. Man hört religiöse Versenkung, einen walzerseli­gen Ball, ländliche Szenen mit bukolische­r Flötenmelo­die. Ein geträumter Gang zum Richtplatz und ein Traum vom Hexensabba­t, Orgie der Teufelsanb­etung. Verbindend­er Gedanke aller fünf Sätze ist die „idée fixe“, ein ständig wiederkehr­endes Melodiefra­gment, Urbild wagnersche­n Leitmotivs. Die „idée fixe“des letzten Satzes wird ins Schrill-Spöttische verzerrt. Man hört die Todesglock­e und die Klänge des „Dies irae“, der gregoriani­sche Hymnus vom Tag des Jüngsten Gerichts aus der Totenmesse.

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FOTO: GÜNTER VOGEL Dirigent David Afkham (r.) und die Junge Deutsche Philharmon­ie traten im Ochsenhaus­er Bräuhaussa­al auf.

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