Schwäbische Zeitung (Biberach)
Jim Knopf kommt ins Kino
„Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“– Verfilmung mit viel Liebe zum Detail
Es ist die erste Realverfilmung von Michael Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“– und sie muss sich nicht hinter dem Klassiker der Augsburger Puppenkiste aus den 1960er-Jahren verstecken. Henning Baum ist ein bäriggemütlicher Lukas, Solomon Gordon ein ansteckend fröhlicher Jim (Foto: Warner Bros.). Dennis Gansel hat bei dem bislang teuersten Kinderfilm, der je in Deutschland gedreht wurde, Regie geführt.
Die Szenerie für die Verfilmung des Kinderbuchklassikers „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ist vorgegeben: „Eine Insel mit zwei Bergen, und im tiefen weiten Meer, mit viel Tunnels und Geleisen und dem Eisenbahnverkehr.“Aber kann die erste Realverfilmung des Buchs vor einer Generation bestehen, die noch das mit Plastikfolie überzogene Meer der Augburger Puppenkiste vor Augen hat? Und erst recht vor den Action-gestählten Kinder von heute? Doch Skeptiker und eingefleischte Michael-Ende-Fans können sich entspannt im Kinosessel zurücklehnen. Hier haben viele JimKnopf-Fans viel Liebe in einen Film gesteckt. Zudem gibt es in keiner Hollywood-Welt einen besseren Lukas als den bärigen Henning Baum.
Bereits 2005 hatte sich der Filmproduzent Christian Becker die Rechte an dem Buch von Michael Ende gesichert und sich damit einen Kindheitstraum erfüllt. Aber es wollte einfach nicht klappen mit der Umsetzung. Produktionspartner sprangen ab, und erst, als sich Becker 2016 davon verabschiedete, ein mit internationalen Stars besetztes FantasyEpos für den Weltmarkt zu drehen, nahm der Film Gestalt an. „Mein Wunsch, den Film auf Englisch zu drehen, hätte uns vielleicht ausgerechnet im Heimatland des Buches am stärksten beschränkt“, räumt Becker rückblickend ein.
Also, ade Tom Hanks. Er hätte sicher einen knuffigen Lokomotivführer abgegeben, aber bestimmt nicht diese Seebär-Gelassenheit eines Henning Baum ausgestrahlt. Bei Baum wirkt alles echt: der Bart, die rußigen Hände, die Oberarmmuskeln, die eher an Oberschenkel erinnern. So stellt sich ein Waisenjunge wie Jim Knopf seinen Ersatzvater vor – bärenstark, mutig und bauernschlau.
Auch Solomon Gordon, der in London gecastete Jim Knopf macht seine Sache gut. Annette Frier spielt die warmherzige Frau Waas, Uwe Ochsenknecht zeigt als König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte, dass er herrlich verwirrt sein kann. Mit Pedanten hat Christoph Maria Herbst Erfahrung und verkörpert dementsprechend überzeugend Herrn Ärmel. Der ist von Beruf Untertan und damit beschäftigt, seinem König treu zu dienen.
Diese vier Bewohner der Mini-Insel Lummerland beugen sich eines Tages über ein Paket, das ihnen der Postbote versehentlich zugestellt hat. Eigentlich sollte eine Frau Mahlzahn in Kummerland es bekommen. Und sie sind sofort begeistert von dem schwarzen Baby. Der kleine Jim wächst in Lummerland auf, lernt von Lukas alles, was man über Lokomotiven wissen muss. Bis der nur halbweise König Alfons zur Einsicht gelangt, dass Lummerland an Übervölkerung leide. Die Insel verlassen soll allerdings nicht der Neuzugang Jim, sondern die treue Lok Emma. Was für Jim und Lukas natürlich überhaupt nicht in Frage kommt. Sie stechen mit einer seetüchtig gemachten Emma in See. Das Abenteuer kann beginnen.
Für Nostalgiker und Neulinge
Für diesen Film durfte alles ein bisschen aufwendiger, ein bisschen teurer sein. Die Nachbildung von Lummerland zum Beispiel, die in ihrer Detailverliebtheit alle Märklin-Fans begeistern wird, mit Fachwerkhäusern, dem nostalgischen Laden von Frau Waas und natürlich der dampfenden Lok, zu besichtigen seit vergangenem Jahr in den Babelsberg Studios Berlin. Oder der Strand, an dem Jim und Lukas nach einem gewaltigen Sturm stranden. Der findet sich nicht an der Ostsee, sondern in Mossel Bay/Südafrika. Die Atlantis Dunes bei Kapstadt dienten als Kulisse für die Wüstenszenen mit dem Scheinriesen Tur Tur. Milan Peschel spielt mit Hingabe einen todtraurigen Menschen, der nur aus der Ferne riesengroß und furchteinflößend ist, in der Nähe aber auf Normalgröße schrumpft. Ebenso liebevoll gestaltet ist die Szenerie in Ping, der Hauptstadt von Mandala.
Nun, 25 Millionen Euro an Produktionskosten sind für einen deutschen Film enorm viel. „Jim Knopf“ist demnach der teuerste deutsche Kinderfilm. Dennoch verhindert der angenehm altmodische Look auch in den Actionszenen, dass die Computertechnik die Darsteller in den Schatten stellt.
Alles perfekt also? Nicht ganz. Denn der respektvolle Umgang mit Michael Endes Romanvorlage ist gleichzeitig auch eine Schwäche des Films. Um ja keine Station auf der Reise auszulassen, hetzen die beiden Helden atemlos von einem Abenteuer zum nächsten. Doch das Drehbuch zu einem Film sollte nicht eine Einszu-Eins-Adaption des Romans sein. Den eigenen Erzählrhythmus für eineinhalb Stunden Film haben Regisseur und Drehbuchautor allerdings nicht gefunden.
Dennoch: „Jim Knopf“ist ein temporeiches, liebevoll ausgestattetes Märchen für die ganze Familie, für Nostalgiker, die der legendären Aufzeichnung der Augsburger Puppenkiste nachhängen ebenso wie für Neulinge. Zudem kommt die Botschaft auch im Film an: Platz ist auf der kleinsten Insel. Und Familie ist da, wo Menschen füreinander sorgen.
Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer. Regie: Dennis Gansel. Mit Henning Baum, Solomon Gordon, Annette Frier, Christoph Maria Herbst. Deutschland 2018. 110 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.