Schwäbische Zeitung (Biberach)
Als Gesellen und Jungfrauen nicht spazieren gehen durften
Historiker Kurt Diemer spricht bei der Metallinnung über „Zünfte und damalige Gesellen“
FISCHBACH (aß) - Der Historiker und frühere Kreisarchivar Kurt Diemer hat bei der Lossprechungsfeier der Metallinnung in Fischbach einen Vortrag zum Thema „Zünfte und damalige Gesellen“gehalten. Dabei berichtete Diemer von zur Auswanderung gezwungenen Gesellen, von Vorteilen bei der Aufnahme in die Zunft, wenn vorher der Geselle die Witwe eines Meisters oder dessen Tochter geheiratet hat, oder über das Verbot für Gesellen, mit „Jungfrauen und Mägdelein“spazieren zu gehen.
Die Geschichte der Biberacher Zünfte reiche bis ins 14. Jahrhundert zurück, so Diemer. Von 1333 bis 1344 erstritten sich die normalen Bürger und die Handwerker von den Patriziern die Teilhabe an der Regierung der Stadt. Laut Ratsstatut von 1401 saßen dann den zehn Patriziern 14 Zunftangehörige, zwei von jeder Zunft, gegenüber. Den großen Rat bildeten 88 Räte: Je elf Räte aus den sieben Zünften und elf Patrizier. Zu den Zünften zählten die Schuhmacher, Schneider, Bauern, Bäcker, Schmiede, Metzger und Weber. Während der Reformationszeit verstärkten die Zünfte ihren Einfluss im Rat und verdrängten die katholisch gebliebenen Patrizier. Dem machte Kaiser Karl V. (Kaiser des Heiligen Römischen Reichs) 1551 ein Ende und verbot die Zünfte als politische Gruppierung, sie sollten sich auf wirtschaftliche Funktionen beschränken. Im Rat hatten dann die Patrizier wieder das Sagen.
Eine Liste über die Zunftangehörigen aus dem Jahr 1725 verrät, dass von den 542 Meistern 100 zur Schmiedezunft gehörten. Um den Arbeitsmarkt zu entlasten, wurde für die Gesellen nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) die Verpflichtung zur Wanderschaft eingeführt. Die Richtung der Wanderung richtete sich nach der Konfession. Die Katholiken zogen nach Bayern und Österreich und die Evangelischen nach Ost- und Norddeutschland.
Das Leben der Gesellen spielte sich in der Gesellenzunft unter Aufsicht des Zunftrats ab. So untersagte in Ravensburg die Weberzunft den Gesellen, mit „Jungfrauen und Mägdelein“spazieren zu gehen. Die Ablegung der Meisterprüfung und die Aufnahme in die Zunft waren am einfachsten, wenn der Bewerber vorher die Tochter oder die Witwe eines Meisters heiratete. 1862 wurden die Zünfte aufgelöst und die Gewerbefreiheit eingeführt. Aus Handwerksbetrieben entwickelten sich Industriefirmen. So ging aus einer 1868 gegründeten Wagenschmiede die Wagenund Chaisenfabrik Ottenbacher hervor und aus der 1873 entstandenen Metallgießerei die heutige Firmengruppe Handtmann.