Schwäbische Zeitung (Biberach)
Falsche Schwerpunkte
So fatal die Misere in der beruflichen Ausbildung für die Wirtschaft ist, so vielschichtig sind die Gründe für sie. Die eine Erklärung, die vor allem Gewerkschaften immer wieder anführen, warum Betriebe keine Auszubildenden finden und warum Lehrlinge die Lehre ohne Abschluss abbrechen, geht am Kern des Problems vorbei. Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht vor allem in den geringen Löhnen den Hauptgrund für die fehlende Attraktivität der beruflichen Ausbildung und fordert von der Bundesregierung, den geplanten Mindestlohn für Auszubildende zügig umzusetzen.
Doch der scheinbar naheliegende Zusammenhang zwischen geringem Lohn und Abbruch der Ausbildung ist so eindeutig nicht. Maurerlehrlinge, die während ihre Ausbildung vergleichsweise viel Geld erhalten, geben ihre Lehre häufiger auf als ihre Kollegen in anderen Gewerken. Hinzu kommt: Seit Langem ist der Ausbildungsmarkt ein Bewerbermarkt. Seit Jahren gibt es mehr Stellen als potenzielle Auszubildende, die nicht selten mehrere Verträge unterschreiben und sich ihren Ausbildungsplatz aussuchen, indem sie in der Probezeit kündigen, um doch bei einem anderen Betrieb unterzukommen, weil sie sich die Ausbildung anders vorgestellt haben. Nicht der Bewerber bewirbt sich, sondern der Betrieb bewirbt sich – oft mit außertariflichen Sondervergütungen, Handy-Verträgen oder Zuschüssen zum Fahrgeld.
Viel entscheidender ist es, dass die Bildungspolitik der dualen Ausbildung wieder einen höheren Stellenwert einräumt und die potenziellen Bewerber besser auf ihren Beruf vorbereitet. Ein Hauptgrund für die hohe Abbrecherquote ist, dass junge Leute mit völlig falschen Erwartungen ihre Lehre beginnen. Ein Grund ist, dass die Politik seit den Pisa-Studien die duale Ausbildung vernachlässigt und einseitig auf die akademische Bildung gesetzt hat. Die berufliche Bildung muss aber in gleichem Maße gefördert werden. Schließlich wird der zu erwartende Mangel in Ausbildungsberufen neuesten Prognosen zufolge in den kommenden Jahren zehnmal höher sein als in akademischen Berufen.