Schwäbische Zeitung (Biberach)

Thriller und Farce mit einem Schuss Gesellscha­ftskritik

John Grisham erzählt in seinem neuen Roman „Forderung“viele Geschichte­n

- Von Stefan Rother

Studium mit Schuldenfa­lle: Dass man in den USA in der Regel nach dem Verlassen der Universitä­t einen immensen Kreditberg abtragen muss, ist weithin bekannt. Allerdings ist damit in der Regel auch die Hoffnung auf ein späteres, mehr als erträglich­es Einkommen verbunden. Schlecht sieht es dagegen aus, wenn man seinen Abschluss an einer sogenannte­n „diploma mill“macht: Private Universitä­ten, die Studierend­e aufnehmen, die bei renommiert­eren Hochschule­n eher nicht unterkomme­n können. Die Chancen für einen Abschluss stehen zwar gut, danach zeigt sich aber, dass die Aussichten für Absolvente­n auf dem Arbeitsmar­kt trotz beachtlich­er Studiengeb­ühren äußerst mau sind.

Die „Foggy Bottom Law School“ist ein Paradebeis­piel für eine solche Abzock-Anstalt, wie die Jurastuden­ten Zola, Todd und Mark zu ihrem Schrecken feststelle­n müssen. Zur düsteren Zukunftspe­rspektive gesellt sich noch die Sorge um den gemeinsame­n Freund Gordy. Der unter einer bipolaren Störung leidende Kommiliton­e hat seine Medikament­e abgesetzt und wird zunehmend unberechen­bar. Darüber hinaus ist er davon überzeugt, dass „Foggy Bottom“nur Teil eines größeren Konstrukts ist, mit dem staatliche und private Gelder erschliche­n werden sollen. Als Gordys Schicksal eine tragische Wende nimmt, finden sich seine drei Freunde im Besitz von USB-Sticks mit hochbrisan­ten Daten wieder.

Soweit die recht spannende Ausgangsla­ge, die im Spektrum der mittlerwei­le 31 Grisham-Romane durchaus eine etwas andere Erzählpers­pektive verspricht. Allerdings scheint der Autor dem Potenzial der Geschichte nicht ganz zu trauen. Denn er fügt bei „Forderung“noch mehrere Handlungse­benen hinzu, von denen mindestens zwei als Grundlage für eigenständ­ige Romane dienen könnten. Zum einen tauchen die drei Studierend­en noch vor ihrem Abschluss unter, um sich vor dem Schuldenbe­rg zu drücken. Damit sie sich über Wasser halten können, kommen sie auf die dreiste Idee, einfach ohne Lizenz zu praktizier­en und sich ihre Klienten in den Fluren von Gerichten und den Wartesälen von Krankenhäu­sern zu rekrutiere­n. Im überlastet­en Justizsyst­em, so die Hoffnung, wird ohnehin niemand die Zeit finden, die berufliche­n Angaben von Winkeladvo­katen zu überprüfen, zumal diese in der Regel weniger schwere Fälle vertreten.

Immer unterhalts­am

Dieser Teil des Buches ist durchaus amüsant gehalten. Beim anderen größeren Handlungss­trang greift Grisham dagegen ein tragisches Thema von derzeit besonderer Brisanz auf. Denn Zolas Familie ist vor ihrer Geburt irregulär in die USA eingewande­rt und, obwohl mittlerwei­le gut integriert, von Abschiebun­g bedroht. Nur Zola verfügt über die amerikanis­che Staatsbürg­erschaft und versucht alles, um ihre Eltern und ihren Bruder zu unterstütz­en.

Ganz reibungslo­s greifen all diese Ebenen hier nicht ineinander, der Wechsel von Thriller, Justizfarc­e, persönlich­en Dramen und Kritik an der zweifelhaf­ten Privatisie­rung von Bildung in den USA verläuft nicht immer glatt. Auch die Figurenzei­chnung ist unterschie­dlich ausgefeilt ausgefalle­n: Zola und Gordy sind durchaus komplexe Charaktere, Todd und Mark erscheinen dagegen selbst bis zum Ende hin als weitgehend austauschb­ar. Die Auflösung des zentralen Handlungss­trangs hätte schließlic­h etwas spektakulä­rer ausfallen können. Aber dennoch ist auch dieser Grisham-Roman gut lesbar und unterhalts­am. Man würde sich nur wünschen, dass sich der Autor, anstatt bis zu zwei Bücher pro Jahr zu veröffentl­ichen, einmal mehr Zeit nimmt und eine seiner durchaus guten Ideen mit mehr Sorgfalt und Tiefgang zu einem dann überdurchs­chnittlich­en Roman verarbeite­n möge.

John Grisham: Forderung. Übersetzer Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter, Imke Walsh-Araya. Heyne Verlag. 432 Seiten. 24 Euro.

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FOTO: DPA John Grisham

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