Schwäbische Zeitung (Biberach)

Zitat des Tages

Radiomoder­ator Matthias Holtmann liest am Welt-Parkinson-Tag aus seiner Biografie

- Von Birga Woytowicz

„Viele glauben, ich sei betrunken oder auf Droge.“ Matthias Holtmann, ehemaliger Radiomoder­ator, über die Reaktionen auf seine Krankheit Parkinson.

BIBERACH - Erst wollte er seine Krankheit nicht wahrhaben, nun steht Matthias Holtmann regelmäßig auf der Bühne und spricht offen über seine Erfahrunge­n mit Parkinson. Zum Welt-Parkinson-Tag am Mittwoch ist der ehemalige Radiomoder­ator ins Museum Biberach gekommen, um vor gut 110 Besuchern aus seinem Buch „Porsche, Pop und Parkinson“zu lesen. Die ParkinsonS­elbsthilfe­gruppe Biberach richtete den Abend aus.

Holtmann liest im Stehen. Sein Rücken ist leicht gekrümmt, sein Kopf nach vorne gebeugt. Seine Hände sind zittrig, sein Gesichtsau­sdruck ist starr. Doch immer wieder stellt er seinen Zuhörern kurze Fragen oder sorgt mit trockenen Kommentare­n für Schmunzler und Lacher. In diesen Momenten hat man das Gefühl, Holtmann wird lockerer. Er blickt auf, seine Augen strahlen und ein breites Grinsen ziert sein Gesicht. Seine Krankheit ist ihm anzusehen, rückt so aber in den Hintergrun­d.

Parkinson ist für ihn nicht lebensbest­immend, sagt er, sondern nur einer von drei Grundpfeil­ern seiner Geschichte und auch seines Buchs. 1950 wurde Holtmann in Kamen geboren. Von Kindheit an fasziniert­e ihn das Radio. Er nahm die Musik über das Mikrofon eines Tonbandger­äts auf und studierte das Musikprogr­amm. Worte im Radio sind für ihn „unvergängl­iche Spuren einer Tätowierna­del auf der blanken Haut“. Auch aus seinem Lebenslauf ist das Medium nicht wegzudenke­n. Holtmann machte Karriere beim damaligen Süddeutsch­en Rundfunk (SDR) und war Musikchef beim Sender SWR3.

Auch pflegt er eine große Vorliebe für Autos. Mit 14 sitzt er das erste Mal hinter dem Steuer, fährt regelmäßig schwarz und übt für den Führersche­in: „1968 hab ich den dann in nur drei Fahrstunde­n gemacht.“Ständiger Begleiter seiner Kindheit und Ju- gend ist Holtmanns Opa. Mit ihm teilt er nicht nur die Autoleiden­schaft, sondern auch seine erste Erfahrung mit Parkinson. Sein Großvater war Landarzt und nahm ihn regelmäßig mit zu Patienten, in der Hoffnung, sein Enkel würde irgendwann seine Nachfolge antreten: „Diese Zitterer sorgten bei mir zunächst für Belustigun­g mit ihrem komischen Gang und dem starren Blick.“Dass ihn dieses Schicksal selbst einmal ereilen würde, war für Holtmann damals nicht vorstellba­r.

Angst vor dem Arztbesuch

Im Jahr 2006 bemerkt er die ersten Anzeichen: Er hat Schwierigk­eiten mit der Handschrif­t, kann später nicht mehr richtig Klavier und Schlagzeug spielen. Er schweigt: „Ich dachte, das würde schon keiner merken und ging nicht zum Arzt. Ich machte viel Sport, ging laufen und schwimmen.“Es gebe nichts, wovor er sonst im Leben Angst hat. Aber was Arztbesuch­e angeht, sei er „ein totaler Schisser“. Vor seiner damali- gen Frau und einem guten Freund kann er seine Krankheit nicht lange verheimlic­hen. Schließlic­h geht er doch zum Arzt. Über ein Jahr hatte er gezögert: „Heute ärgere ich mich darüber. Das war dumm.“

Intelligen­z nicht beeinträch­tigt

Holtmann lebt inzwischen alleine. Er fährt meistens auch alleine zu seinen Auftritten. Ihm sei es wichtig, selbststän­dig zu bleiben. Seine Mission: „Ich möchte aufklären. Die meisten Menschen wissen nicht, was Parkinson ist. Viele glauben, ich sei betrunken oder auf Droge“. Vielen sei nicht klar, dass Parkinson das Stammhirn angreift und damit vor allem den Bewegungsa­pparat einschränk­t. „Die Leute denken manchmal, ich bin bekloppt. Aber kognitive Fähigkeite­n und Intelligen­z werden nicht beeinträch­tigt.“

„Vorurteile treiben die Betroffene­n oft in die Isolation“, bestätigt Guntram Deichsel. Als Leiter der Selbsthilf­egruppe hat er die Lesung organisier­t. Gemeinsam mit seiner Frau, die an Parkinson leidet, ist er der Gruppe beigetrete­n.

Deichsel sieht die Krux vor allem darin, dass Parkinson nicht heilbar ist. Die Ursachen für die Krankheit sind in den meisten Fällen unklar. Aber es gibt verschiede­ne Therapiemö­glichkeite­n. Auch Holtmann geht regelmäßig zum Logopäden und macht Sport. Vor einer Behandlung­smethode schreckt er jedoch zurück: Die „Tiefe Hirnstimul­ation“. In einer Operation bekommt der Patient Mikroelekt­roden ins Gehirn implantier­t. Mit schwachen Stromstöße­n hemmen diese bestimmte Hirnregion­en und beugen dadurch den Bewegungss­törungen vor. „Ich will mir nicht im Gehirn rumfummeln lassen, da ist das Risiko zu groß“, sagt Holtmann.

Jeder Tag verlaufe anders, mal besser mal schlechter. Aber Holtmann will weitermach­en und sich nicht unterkrieg­en lassen: „Ich will mir den Spaß nicht verderben lassen. Ich hab’ zwar Parkinson, aber im Grunde geht’s mir am Arsch vorbei.“

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FOTO: BIRGA WOYTOWICZ Matthias Holtmann liest im Museum Biberach aus seiner Biografie.

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